Die Sonne scheint. Zeitweise zumindest. Na dann kann ich ja laufen gehen. Es ist halb elf morgens. Das Frühstück liegt wenige Sekunden hinter mir, die sonntäglichen Routinehausarbeiten wie staubputzen und saugen liegen noch vor mir.
Das geht jeden Sonntag so, frühstücken, putzen, laufen. Letzteres aber nur, wenn es nicht in Strömen regnet. Handlungsroutinen gliedern meine Zeit bis eins. Irgendwo habe ich gelesen, dass wiederkehrende Tageshandlungen dem Menschen Sicherheit und Halt geben, dass wir sie unbewusst bewusst einsetzen, um unser Leben, unsere Tagesabläufe, die eh’ meistens total strubblig und verquer sind, ein klein wenig in den Griff und unter Kontrolle kriegen.
Und abgesehen davon, irgendwann muss die Wohnung ja auf Vordermann gebracht werden, und der sportliche Ausgleich nach der innerwöchentlichen Bürotätigkeit ist so verkehrt nicht. Da ich seit langer Zeit kein Messdiener mehr bin und den sonntäglichen Kirchgang meide, bietet sich diese Zeit förmlich dafür an. Die spannendste Frage in diesen so gleichförmig ablaufenden Minuten (mehr Zeit bringe ich für das bisschen Haushalt nicht auf!) ist die, welche Musik ich in der Stunde Frühsport mit dem IPod höre. Ich kann mich nie entscheiden, und meistens höre ich dann immer das gleiche. Heute Morgen aber dachte ich, da heute Abend der Besuch des Yo la Tengo Konzerts ansteht, hörst du was zur Einstimmung. Sonic Youth wäre nicht schlecht. Die sind doch seelenverwandt. Zum Beispiel diesen wunderbaren Konzertmitschnitt aus Washington, den ich über npr.com als Podcast gedownloadet hatte. Das wäre doch genau das richtige. Dass ich dann doch zum wiederholten Male bei Archives neuer CD „Controlling crowds“ gelandet bin, kann ich mir auch nicht erklären…
Yo la Tengo begleiten mich schon eine lange Zeit. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie wir uns kennengelernt haben. Es muss während des Studiums passiert sein, denn das erste Mal habe ich euch live in der Bochumer Zeche gesehen. Ich weiß gar nicht mehr, wann das war. ’96 oder ‘97 tippe ich mal. Seitdem habe ich euch immer beobachtet, eure Platten gekauft und eure Musik gehört. Mit der Zeit wurdet ihr ruhiger, eure Musik glatter. „And then nothing turned itself inside-out“ klang so anders, und auch „Summer sun“ hielt mehr inne, als das es lospolterte. Anfangs hat mich das irritiert, ich vermisste das krachende von „Sugarcube“ oder „Little Honda“, aber euer Charme obsiegte, und „Summer sun“ wurde zu einer meiner Lieblinge.
Und jetzt habt ihr wieder E-Gitarren! Und ihr schreibt fantastische Album- Opener! Gibt es bessere als „Pass The Hatchet, i think i’m Goodkind“ (vom 2006er Album I am not afraid of you and i will beat your ass) oder „Here to fall“ (vom aktuellen Album „Popular“)? Wohl kaum, und da „Popular“ noch die ein oder andere Perle bereit hält, war es keine schwere Entscheidung (natürlich nicht!), ins Düsseldorfer zakk zu fahren um euch live zu hören.
Der Abend beginnt mit dem Duo Wreckless Eric & Amy Rigby. Alte Freunde von Yo la Tengo, die in Deutschland den Support bestreiten. 2 Gitarren und Drums aus dem Laptop erzeugen, zusammen mit launigen Geschichten über Gott und die Welt, einen entspannten Einstieg. „Ich habe meine Setlist verloren, ich weiß gerade nicht wie es weitergeht, und dabei sollen wir doch genau 45 Minuten spielen!“ sagt Wreckless Eric, der mit bürgerlichem Namen Eric Goulden heißt, mit einem Lachen irgendwann. Ja ja, die Atmosphäre war okay und die beiden auf der Bühne hatten Spaß. (wir davor übrigens auch!)
Wenn nach der Vorband die Roadies die Bühne stürmen, um schnell das Schlagzeug wegzuräumen, die Gitarren einzustöpseln und wichtige Ton- und Mikrofontest durchzuführen, kommt je nach Coolnessgrad der Protagonisten mehr oder weniger hektische Betriebsamkeit hoch. Die beiden Roadies von Yo la Tengo jedoch sind, genau wie die Band für die sie arbeiten, total uncool. Während der eine die Effektstecker einstöpselt und jedes Pedal einzeln antestet, was eine halbe Minute dauert, klimpert der andere auf den Keyboards herum und sortiert die vier Gitarren. Zwischendurch ein kleines Schwätzchen mit dem Kollegen, ein Grinsen Richtung Mischpult, dann ist der Job getan. Und getan meint getan. Keiner der beiden prüft doppelt, keiner rennt zigmal über die Bühne um noch irgendwas eizustellen. Stattdessen lehnen sie entspannt am Geländer, schauen umher und warten. Das ist toll und wirkt ungemein sympathisch unprätentiös.
Dann kommen die Converseträger auf die Bühne. Rot, rosa und grün sind die Farben ihrer Schuhe, weite Hemden und Jeans bzw. eine schwarze Cordhose ihr Outfit. Und als Maureen Tucker Georgia Hubley nach 25 Minuten als drittes Stück „Today is the day“ singt, ist mir klar, es wird ein toller Abend. Wie komme ich jetzt auf Velvet Underground?! Blöde Frage!
Zwei Stunden 15 Minuten werden sie spielen. Mehr als ich erwartet hatte. Die Setlist ist herzzerreißend. Da ich nach zwei dritteln des Konzertes ein Leben „rettete“ bekam ich leider nicht mit, wer die Zettel vom Bühnenboden entfernt hatte und aus dem Gedächtnis heraus ist es mir unmöglich, mehr Details als diese zu berichten: „Here to fall“ kam nach etwa einer Stunde, auch „Nothing to Hide“, „More Stars Than There Are in Heaven“, „When It’s Dark“, „If It’s True“ und „Periodically Double or Triple“ spielten sie. „Autumn sweater“ habe ich auch in Erinnerung.
Zwischendurch erzählte Ira Kaplan Konzertgeschichten. Über ein Konzert im Kölner Rose Club oder wie er in Köln fast seinen Ausweis verloren hätte. Auf den Zwischenruf, wir seien hier nicht in Köln, entgegnet er, dass er keine lustigen Düsseldorfgeschichten auf erlebt habe und Köln nun mal so nahe sei. Aber man könne ihm ja eigene Düsseldorf Storys mailen, die er dann beim nächsten Düsseldorfkonzert als die seinen erzählen werde.
Genau, es war sehr unterhaltsam!
Die abschließenden zwei Zugabeblöcke werden hauptsächlich mit Fremdmaterial bestückt.
Im ersten Teil müssen die Kinks und die Ramones herhalten. Komplettiert wird dieser Block durch „Black Flowers“, ein Wunsch des Publikums, das direkt umgesetzt wird. Publikumswünsche erfüllen, das machen Yo la Tengo des Öfteren.
Damit nicht genug. Sie kommen noch einmal zurück und spielen Sun Ra’s „Nuclear War“. Es wird ihr Abschiedslied. Und was für eins! Teils im Kanon, teils als Echo singen Ira und Georgia die Textvorgaben des Bassisten James McNew, der jetzt an einer zweiten Trommel sitzt, nach: goodbye – goodbye – goodbye; farewell – farewell – farewell; see you – see you – see you, hallt es durchs zakk. Es ist toll, alle lachen.
Zu den letzten Echos verlassen sie nacheinander rhythmisch klatschend die Bühne. Was für ein phänomenaler Abschluss eines zauberhaften Konzertes.

Multimedia:
Fotos: frank@flickr

Kontextkonzerte:
Yo la Tengo – Düsseldorf, 22.11.2006
(ach, auf den Tag genau!!!)

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. e.

    da klingt es heuer aber wesentlich begeisterter als zur 06er tour. ich danke dir für deine eindrücke, die komplettieren, dass mir meine liebste kapelle in diesem jahr mal so richtig durch die lappen gegangen ist.

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