Ort: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20, Düsseldorf
Vorband:

‚Wie seid ihr denn an die Karten gekommen? Die Konzert waren ja schon nach einer halben Stunde ausverkauft?‘ Nach zwei Stunden Kraftwerk‘scher 3-D Animationen standen wir im Foyer des Museums K20 und erholten uns von den wundervollen und sprachlos machenden Eindrücken. ‚Konzert des Jahres‘ diese drei Worte fielen dabei sehr oft.
Die Frage nach den Karten stellte uns eine Reporterin irgendeiner Presseagentur. Das Foyer war mit Kamerateams und interviewwilligen Leuten übersät. An vielen Stellen leuchteten die grellen Kameralichter und Menschen mit Schreibblock in der Hand befragten Menschen ohne Schreibblock in der Hand.
Oh ja, die Kraftwerk Musikreihe scheint tatsächlich ein musikkulturhistorisches Ding grösseren Ausmaßes zu sein. Am Tag danach lese ich In jeder regionalen und überregionalen Zeitung einen Bericht vom gestrigen Abend, dem Auftakt der Kraftwerk Abende in Düsseldorf, in deren Folge sie ihre acht Alben an den folgenden Tagen zelebrieren werden. 12345678 nennt sich schlicht und einfach der ganze Batzen.
Kraftwerk machen dies im Kunstmuseum K20 und sie machen es in 3-D. Quasi standesgemäss, möchte ich sagen. Kraftwerk gehören viel eher ins Museum als in eine normale Konzerthalle. Diese Phase hat die Band weit hinter sich gelassen. Kraftwerk sind zu einem großen Kunstwerk geworden, sie sind nicht bloß vier Musiker. Sie sind zu ihrer eigenen Ausstellung mutiert. Und die kann man nun in Düsseldorf bewundern, nachdem sie vor gut anderthalb Jahren bereits im MoMa in New York zu besichtigen war.
Damals war das Ereignis weit weg, doch als vor einigen Wochen die Ticketbörse für die Düsseldorfer Abende eröffnete, war die Versuchung sehr groß (und auch der Wille), sich dieses quasi vor der Haustür stattfindende Ereignis unbedingt ansehen zu müssen.
Ich bin nicht der riesengroße Kraftwerk Fan, aber das wollte ich mir zumindest an einem Abend nicht entgehen lassen. Zu spannend finde ich Kraftwerk, zu neugierig war ich auf ihre Ausstellung. Als die Frage aufkam, zu welchem der acht Abende ich denn mitkommen wollte, entschied ich mich ohne zu zögern für Autobahn. Ich weiß nicht genau warum, es hätte auch jede andere Aufführung der früheren Alben sein können, aber ich entschied mich für das Album, mit dem der typische Kraftwerk-Sound seinen Anfang nahm. Und somit für den Eröffnungsabend der Reihe „12345678“.
Wie kann ich bloß einen perfekten Abend beschreiben?
Vielleicht beginne ich einfach mit meinen Erwartungshaltungen. Kraftwerk spielen also ihr Album Autobahn. Okay, es sollte ja nicht mein erstes Album-Konzert werden. Zuvor sah ich schon die Charlatans mit Some friendly, The Wedding Present mit Bizarro und noch ein, zwei solcher Abende mehr. Also, so mein Gedanke, wird es so sein, dass sie neben den Album Tracks noch eine Handvoll anderer Hits spielen werden. Autobahn dauert ca. eine dreiviertel Stunde, wir rechneten mit einem ebenso langen Best-of Teil und erwarteten folgerichtig anderthalb Stunden Kraftwerk. Dass es dann aber genau 2 Stunden werden würden, damit hätten wir zuvor nie und nimmer kalkuliert.
Zwei Stunden lang hatten wir begeistert diese Pappbrille vor unseren Augen, die jeder Gast am Eingang in einem schicken blauen Schieber überreicht bekam. Nur mit ihr auf der Nase konnte man den dreidimensionalen Eindruck der Videofilme erkennen, die im Raum umherfliegenden Vitaminpillen (bei „Vitamin“) oder den heranrauschenden Schnellzug (bei „TEE“). Es war sagenhaft schön und alles war traumhaft komponiert. Zusammen mit den elektronischen Klängen ließ ich mich sehr gerne in diese technoide Welt herabfallen, die nicht nur mich sichtlich in ihren Bann zog. Es herrschte eine nahezu sakrale Stimmung. Ein, zweimal blickte ich mich um und dachte, ‚oh Mann sieht das bescheuert aus, wenn 800 Leute mit silbernen Pappbrillen auf der Nase auf eine Bühne glotzen.‘ Geschenkt.
Es war ein großes Fest, das mit dem obligatorischen „Mensch-Maschine“ und „Wir sind die Roboter“ um Punkt acht eingeläutet wurde. Im Anschluss brummten die Motoren und ein alter VW Käfer setzte sich in Bewegung: „Autobahn“. Das Titelstück spielten sie verkürzt, oder kam es mir nur so vor? Bereits nach wenigen Sekunden war ich so fasziniert von allem, von den vier Pulten, den in hautengen Ganzkörperanzügen eingepackten Maschinenmenschen und von den Animationen, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren schien.
Obwohl wir erst um kurz vor acht den Saal betraten, hatten wir keine Mühen, bis ganz nach vorne zu gelangen. Und das hat sich sehr gelohnt. Auch aus der unmittelbaren Nähe wirkten die 3-D Animationen perfekt, und zusätzlich hatten wir nahen Blickkontakt zum Gründungsvater Ralf Hütter, der mit seinem Pult direkt vor uns Stand. In sein Kopfmikrofon brummte und sprechgesangte er „fahrn fahrn fahrn auf der Autobahn“. Brilliant! Es folgten die vier weiteren Stücke von „Autobahn“, „Kometenmelodie 1“, „Kometenmelodie 2“ , „Mitternacht“ und „Morgenspaziergang“ bevor es nahtlos in den Best-of Teil überging. „Radioaktivität“, mit neuzeitlichem Fukushima Part, war der erste Track, „Trans Europa Express“ der zweite. Wow, die Ausstellung bot also noch enormes Steigerungspotential. Sehr freute ich mich über den drei Songs großen Tour de France Block. Dieses Album ist vielleicht mein liebstes Kraftwerk Album. Anfang der 00er Jahre hielt ich „Tour de France“ lange für den perfekten Popsong. Ob das nur was mit meiner damaligen Begeisterung für das schönste Radrennen der Welt zu tun hat, ich weiß es nicht. Es ist aber auch egal. Und immer wieder gab es diese tolle Animationen. Viel von ihnen kannte ich aus den dazugehörigen Videos, ganz viele nicht.
Mit „Boing bum tschak“, „Technopop“ und „Music non stop“ beendeten Kraftwerk ihre Ausstellung. Es war mittlerweile kurz vor zehn und ehrlich gesagt, war es mir dann auch genug. Christoph schreibt nebenan von einer großen Reizüberflutung durch zuviele Hits, und er hat verdammt nochmal recht. Ich zumindest war nach dem Ende des Ereignisses nicht in der Lage, noch irgendetwas aufzunehmen. Diese zwei Stunden Kraftwerk waren so überwältigend, so besonders und einzigartig, dass wir uns nur noch fragten, wer um Himmels willen kann dieses Ereignis in diesem Jahr noch toppen. Blur? My bloody valentine? Ich kann es nicht glauben….
Jawohl, der Abend war mit Geld nicht zu bezahlen. Gott sei Dank kostete er dann doch nur 50 Euro.

PS:
Mein Münchener Studienfreund hätte dringend auch einen der Düsseldorfer Abende besuchen sollen. Dann würde er mir jetzt sicherlich zustimmen bei meiner These, dass Kraftwerk zu den wichtigsten drei Bands der Musikgeschichte gehören, die unsere aktuelle Musik mit am stärksten beeinflussen. Als wir vor knapp einem Jahr stundenlang darüber stritten, lachte er jedes Mal beim Namen Kraftwerk laut auf und schüttelte verständnislos mit dem Kopf.

Music, non stop.

Kontextkonzerte:

Multimedia:
flickr-Fotos

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Holger

    Großartiger Bericht. Da kann ich nur neidisch werden. Und natürlich: eine der drei wichtigsten Bands. Wie kann man daran nur zweifeln? ;)

    1. frank

      Vielen Dank!
      Ja, das Frage ich mich ja auch!!!!

  2. Christoph

    Genauso war es!

Schreibe einen Kommentar zu frank Antworten abbrechen