Ort: Gewölbe, Köln
Vorband: Magic Island
Es ist die skurrile Szene des Abends: Stell‘ dir vor, du bist Sängerin und spielst gerade ein Konzert. Für einen Song gehst du in den Zuschauerraum, um ihn dort zu performen. Da stehst du nun und siehst, wie die Frau neben dir – die sicherlich auch Eintritt bezahlt hat, also grundsätzlich Musik mag und somit kulturell interessiert sein muß – dir den Rücken zuwendet und mit den Armen wild gestikulierend ihrer Freundin von einem Jahre zurückliegenden Skunk Anansie Konzert erzählt, dass es alle umstehenden locker mithören können. Dich, die Künstler*in, ignoriert sie dabei völlig und das völlig bewusst. Was machst du dann? Hörst du zu, weil dich der Konzertbericht auch interessiert? Stellst du eine schlaue Frage? Machst du eine abfällige Bemerkung darüber, wie man ausgerechnet zu einem Skunk Anansie Konzert gehen kann? Oder singst du einfach weiter und ignorierst diese unhöfliche Person weitestgehend?

Die kanadische Sängerin Emma Czerny sang einfach weiter, und ließ sich von Mittvierzigerin und ihrer älteren Freundin nicht sonderlich beeindrucken. Ein kleiner Taps auf die Schulter wäre allerdings auch eine lohnende Aktion gewesen. Mich störte das Geplapper der beiden nicht mehr wirklich. Ich fand es nur noch unhöflich und extrem arrogant. Denn seit Konzertbeginn von Magic Island konnte die Frau nicht anders, als hochgradig selbstverliebt Terminplanungen und Anderes in hörbarer Lautstärke (klar, wenn die Musik laut ist, muss man lauter reden!) mitzuteilen und allen anderen in den Songpausen zu verstehen zu geben, dass man das, was auf der Bühne passiert, absolut nicht mag.
Aber diese körperlich demonstrative Ignoranz der Künstlerin gegenüber war die Speerspitze der Respektlosigkeit, die ich so noch nie erlebt hatte und die ich von Menschen dieses Alters eigentlich nicht erwarten würde. Wenn ich die Vorband nicht hören mag, gehe ich halt raus. Manchmal ist es doch ganz einfach! Schade, dass diese einfache Möglichkeit nicht von allen erkannt und genutzt wird. Doppelt schade ist, dass man dann in ein Teenagergehabe verfällt, das vollkommen fehl am Platz war. Act you age, kann ich da nur sagen. Und den Kopf schütteln.

Der Lo-Fi Dream Pop von Magic Island war toll. Zeitweise erinnerte er mich an Künstlerinnen wie Annika oder Tellavision. Als ich mir mittags ein paar Videos der Künstlerin ansah, befürchtete ich noch ein enorm anstrengendes Vorprogramm. Die Songs wirkten auf mich sehr bemüht und abstrakt komponiert. Live war das dann Gott sei Dank anders. Das Set war natürlich immer noch technolastig, aber viel leichtfüßiger, als es die Videos andeuteten. Nach ein paar technischen Schwierigkeiten mit den Monitorboxen legte Emma Czerny ein kurzweiliges Programm vor, in dem sie im Halbplayback – die Band und Sounds kam aus dem Apple-Computer – ihre Songs sang.
Einen triftigen Grund, den Auftritt abfällig zu ignorieren, sah ich nicht.

Als Xiu Xiu die Bühne betreten, wird es voll im Gewölbe. Mehr Licht forderte gleich zu Beginn Jamie Stewart, und er schien von irgendetwas bereits leicht genervt zu sein. Dies sei bereits seine dritte Bitte um mehr Licht, und nicht die letzte. Er wurde erhört und das blaue Bühnenlicht etwas verstärkt.
Na dann konnte es ja losgehen. Aber mit was eigentlich? Indiekrach? Noise? Prog-Indie? Bands und Musiker wollen in Schubladen gesteckt werden, damit wir auch ungehört eine Ahnung davon bekommen, welche Musik der jeweilige Künstler spielt. Sagt jemand ‘Radiomusik‘, weiß ich, was gemeint ist; sagt jemand ‘shoegaze‘, weiß ich auch, was mich erwartet. Bei Xiu Xiu ist das nicht ganz so einfach, die Band in irgendeine Schublade zu packen. Nicht, dass das notwendig wäre, aber es macht es halt leichter, um zum Beispiel meinem Nachbarn zu erläutern, wo ich hingehe und wen ich sehe. Sage ich dann nur Xiu Xiu, würde ich Fragezeichen ernten.

Im Internet finde ich Angaben wie

“…he compared Stewart’s voice to a combination of Robert Smith’s fragility and The Downward Spiral-era Trent Reznor’s anger, …”

oder

„…it will be a mean, tight hearted, blackness of Neubauten vs Suicide vs Nico.“

Das klingt ein wenig willkürlich, nach Suicide klingen ja irgendwie alle Bands. Tatsächlich empfinde ich Xiu Xiu als ein lärmendes Duo, das in vielen Genres wildert. Inklusive im Genre der lässiger Gitarrennummern. Ein Umstand, den man mit Suicide oder den Nine inch nails nicht unbedingt verbindet. „Get up“ heißt die Nummer und sie ist auf dem aktuellen Album Forget, das ich übrigens, nachdem ich es gestern ein paar Mal gehört habe, hervorragend finde.  „Get up“ hat diesen tollen Basslauf und zum Ende hin diese kleine Steigerung, die aber nicht in einer totalen ‚ich verliere komplett die Beherrschung‘- Krachorgie endet, sondern lieber Popsong bleibt. Wunderschön!

Musikalisch die Beherrschung verliert Jamie Stewart live dagegen häufiger. Während seine Partnerin Shayna Dunkelman mitunter stoisch hinter dem Keyboard steht, Kick boxt Jamie Stewart das Becken, dass in Kopfhöhe am Bühnenrand steht oder wirft in Ekstase den Drumstick nur knapp an der ersten Publikumsreihen vorbei gegen die Wand (dies aber nicht, um nachher entschuldigend die Hand zu heben), schmeißt sich auf den Boden, schreit, trommelt und ist nach drei Liedern bereits nassgeschwitzt. Shayna Dunkelman kommt immer dann in Regung, wenn sie sich hinter ihr Schlagzeug stellt und wie wild auf Trommeln und Becken drischt. Das kann sie nämlich auch und steht hier ihrem Kollegen in nichts nach.
Das Konzert ist – analog zum Bewegungsdrang von Shayna Dunkelman – zweigeteilt. Es ist laut und wild, wenn sie hinter dem Schlagzeug steht, es ist ruhiger und zahm, wenn sie andere Percussioninstrumente oder die Elektronik bedient. Der Abend lebt von diesen beiden Gegensätzen: Nach „Wondering“, einer eher ruhigen Popnummer folgt „I luv abortin“, ein industrial-artiger Stampfer, der kurz Gedanken an Atari Teenage Riot aufkommen lässt. Und weil das nicht schon Kontrast genug ist, streuen sie dazwischen immer mal wieder verklärte Gitarrenmomente wie in „Get up“. So wurde es ein schönes, weil musikalisches sehr abwechslungsreiches Konzert.

Noch ein abschließendes Wort zum wirklich leicht merkwürdigen Publikum an diesem Abend. “I luv the Valley OH!” wurde sehr penetrant in abstrusen Zwischenrufen von irgendwem gewünscht. Hinter mir munkelte man, es läge an den falschen Drogen am Nachmittag. Diesen Wunsch haben Xiu Xiu nicht erfüllt und ich fragte mich den ganzen Heimweg , ob der Rufer die schöne Shearwater Version des Songs kennt. Die möchte ich ihm ans Herz legen.

Kontextkonzert:

Video:

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