Ort: Heineken Music Hall, Amsterdam
Vorband: Dinosaur Pile-Up

Weezer

Als Windows 95 auf den Markt kam, war es quasi das erste Multimedia Betriebssystem, das ich besaß. Ich probierte zuvor schon IBMs OS/2, aber das System hatte Macken, die Optik war suboptimal und Multimedia ging nicht wirklich. Windows 3.11 war da schon besser, aber erst mit Windows 95 funktionierte Multimedia auf dem PC so richtig. Um die Videofunktionalitäten von Windows 95 direkt von der frischen Installation weg demonstrieren zu können, legte Microsoft auf seiner Installations-CD zwei Beispielvideos bei, die man sich zuhause reinziehen konnte. Mal eben Videos auf youtube angucken oder eine DVD am Rechner angucken, das ging noch nicht. All das musste ja noch erfunden werden.
Also blieb einem nicht viel übrig, als sich mit den Videos und der Musik von der Windows 95 CD zu vergnügen. „Good Times“ von Edie Brickell und Weezers „Buddy Holly“ waren die von Bill Gates (oder seinen Programmiernerds) auserwählten Videos, die nun Millionen von Menschen an ihren Rechnern sitzend ansahen und über die Leistungsfähigkeit ihrer Heimcomputer staunen ließen. Oh ja, so ein 486er war schon flott unterwegs. (Und sauteuer!)
Damit waren Weezer endgültig im Mainstream des College Rock angekommen. Ein Jahr zuvor erschien ihr blaues Album, es war der Knüller der Saison. „Buddy Holly“, „My name is Jonas“, „Undone – The sweater song“ oder “Say it ain’t so”, Weezer waren die logische Verknüpfung von Pavement (die damals noch sehr Indie waren) mit Bands wie den Presidents of the United States und anderen one-hit-Collegerockbands.
Natürlich verliebte ich mich seinerzeit sofort in die Songs, die auch für mich diese Lücke zwischen amerikanischem Indie und radiotauglichem Collegerock füllten. Überdies lehrte Rivers Cuomo mich zwei andere Dinge: man kann durchaus einfarbige Polohemden über karierten langärmligen Hemden tragen und schwarze Hornbrillen sind nie aus der Mode, selbst wenn sie aus der Mode sind. (So wie in den 1990ern).
Das blaue Album war toll, aber besser fand und finde ich den Nachfolger Pinkerton. Pinkerton ist nicht ganz so viel Sonne, Sommer, Leichtigkeit, sondern melancholischer und verbitterter. In den letzten Wochen hörte ich es sehr oft bei meinen Laufeinheiten, Pinkerton ist trotzig und ein Album voller tragischer Liebeslieder. Nahezu jeder Song dreht sich um Liebeskummer, vertane Möglichkeiten, dem Nachtrauern von gescheiterten Beziehungen oder, in vier Worten, der gesamtumfänglichen Tragik einer Liebesbeziehung. Pinkerton ist mein liebstes Weezeralbum, ich erinnere mich, dass ich es früher rauf und runter hörte.

2001 sah ich Weezer zum ersten Mal live. In Dortmund, im Soundgarden. Erinnerungen habe ich an das Konzert keine mehr, ich musste sogar lange nachdenken, bis es mir wieder in den Sinn kam. Von damals blieb nur ein T-Shirt, das aber mittlerweile auch verschwunden ist.
2001 war auch das letzte Mal, dass Weezer in den Niederlanden live zu sehen waren. So erzählte es mir zumindest die LED Leuchtwand in der Heineken Music Hall vor dem Konzert. Überdies erwies sich die Anzeigetafel als Informationsquelle zum ‘schnell noch mal nachlesen‘. Über fünf Anzeigeseiten wurde kurz die Bandgeschichte präsentiert. Ein schöner Service gegen die Umbaulangeweile.

Oft waren die Amis seitdem nicht mehr in Europa. In Deutschland spielten sie schon rein gar nicht.
Als ich vor einigen Wochen die Info bekam, dass Weezer Europakonzerte in Amsterdam spielen würden, war es sonnenklar, hinzufahren. Weezer auf dem europäischen Kontinent, und dann noch in Reichweite eines Freitagabendausflugs, das konnte ich mir nicht nehmen lassen. In England, wo Weezer zwei weitere Konzerte auf diesem Tour-Kurztrip spielten, waren die Tickets ruck zuck weg und die Konzerte ausverkauft. Na ja, in England ist das mit der Musik ja eh intensiver. Tickets für Amsterdam gab es noch an der Tageskasse.
Viel los war nicht, als die Vorband Dinosaur Pile-Up auf die Bühne kam. Die Band aus England outete sich als große Weezer Fans. mynameisjonas@… sei lange Zeit seine Emaildresse gewesen, ließ uns Sänger und Gitarrist Matt Bigland wissen. Eine gute Idee, ich werde das im Kopf behalten. Musikalisch sind Dinosaur Pile-Up im Terrain zwischen Nirvana, den Foo Fighters und Japandroids unterwegs. Das ist nett und für eine gute halbe Stunde reichen die Song- und Hitdichte locker aus.
Dass sich die Halle, die übrigens sehr verkehrsgünstig im Süden von Amsterdam liegt – wer Lust hat, kann zuvor ein paar Autofahr-Runden unter dem nebenan befindlichen Ajax Stadion drehen; der vierspurige Autobahnzubringer verläuft direkt unter dem Stadion (ich hatte keine Lust) -, in der Umbaupause doch noch sehr beachtlich füllte, ist dann gut und hob die Stimmung enorm an. Um mich herum tummelten sich allerlei Volk, überwiegend aus Großbritannien und Deutschland. Dieses Weezerkonzert hat nicht nur mich in die niederländische Stadt gezogen, wie es scheint.
Die Band um den kleinen Rivers Cuomo (gefühlt wurde das Mikrofon auf einer Höhe von 1,5 m positioniert) spielt seit Jahren in unveränderter Besetzung mit Brian Bell an der Gitarre, Scott Shriner am Bass und Schlagzeuger Patrick Wilson. Live steht allerdings nur Rivers Cuomo im Rampenlicht. Und das sprichwörtlich. Bassist Brian Bell ist nahezu das gesamte Konzert über im Halbdunkel unterwegs, Scott Shriner hat immerhin seinen Spotlightmoment, als er vor „Do you wanna get high?“ in einem Instrumentalstück die doppelarmige Bass/Gitarre mit durchsichtigem Korpus umschnallt und wahlweise den oberen Bassarm oder unteren Gitarrenarm bedient. Gerne sagen Sänger dann sowas wie ‘this is my band‘, und das optische wird durch das gesprochene Wort quasi unterstützt bzw. bestätigt. Für mich sagt das dann immer etwas über das Bandgefüge aus, wenn der Singular anstelle des Plurals ‘we are…‘ verwendet wird. Bei Weezer ist das nicht so, hier scheint das helle Licht nur auf den Sänger keine doppeldeutige Bedeutung zu haben. Denn Rivers Cuomo sagte irgendwann ‘Hallo, wij zijn Weezer. Ik ben Rivers, welkom bij het concert‘, und er sagte es auf Niederländisch. Wie alle seine Ansagen an diesem Abend auf Niederländisch waren. Na ja, Harvard Student eben.

In Amsterdam präsentieren sich Weezer in guter Form. Das Publikum auch. Erwartungsfreudig ist es schon während der Umbaupause, lautstark mitsingen werden der Vater mit seinem Sohn vor mir und das britische Pärchen links von mir spätestens ab „My name is Jonas“.
Dass Weezer perfekte Mitsingsongs haben und wie schön man Weezer Songs mitsingen kann, zeigte und hörte ich in den nächsten gut 90 Minuten. Alles, aber auch ausnahmslos alles wurde von dem Pärchen neben mir mitgesungen. Selbst bei weniger bekannten Sachen oder den neuen Stücken, Weezer spielten insgesamt fünf neue Songs, stiegen sie – wie der Vater mit dem Sohn oder die beiden hinter mir – nicht aus. Die Stimmung war also on top, und bereits zu „My name is Jonas“ grinsten viele von einem Ohr zum anderen.
„Hash Pipe“ im Anschluss setzt den nächsten Höhepunkt. Dieser als Persiflage auf den 80er Jahre Hardrock gedachte Song (so wurde damals gemutmaßt, weil er so gänzlich unpoppig und anders war als die bisherigen Weezer Sachen und weil man Rivers Cuomo solch einen Schelmenstreich durchaus zutraute), ließ in der Heineken Music Hall erstmals so richtig die Gitarren hämmern. Hach, dieses Gitarrenriff zu beginn, ich hatte es völlig vergessen.Weezer

Vor dem Konzert wusste ich nicht so recht, was für ein Konzert mich erwarten würde. Ein Best-of Sammelsurium, weil die Band so selten in Europa ist und ihren Fans nun ein Spektakel mit altbekanntem zeigen möchte, oder doch ein ganz normales Tourkonzert zu einer neuen Platte. Das weiße Album haben Weezer erst dieser Tage veröffentlicht, daher wäre auch letzteres möglich gewesen.
Nun, es wurde von beidem ein bisschen. Fünf neue Songs schlichen sich in die Setlist, der Rest war altbekanntes und es waren alle Hits. Aber egal ob alt oder neu, der Weezersound hat sich über die Jahre nicht geändert. Es ist und bleibt sehr zeitloser Indierock mit tollen Refrains und Mitsingsequenzen. Das gilt auch für das aktuelle Album, mir gefällt es besser als das rote Album und seine Nachfolger.
Und so gehen „La Girlz“, „California Kids“, „Thank God for Girls”, „Do you wanna get high“ und „King of the world“ Hand in Hand mit „Undone – the sweater song“, „El Scorcho“, „The good life“, “Say it ain’t so” und “Island in the sun”. Es fehlte nichts. Selbst die B-Seite „You gave your Love to me softly” sprang auf die Songliste.
„Thank God for Girls“, meiner Meinung nach der beste Weezer Song seit langem, läutete gefühlt das Finale ein. „Say itain’t so“, „The good life“ und „Island in the sun“, es war ein riesiges Fest das nun wirklich jeden von den Füssen riss. Es war ein Finale voller alter und guter Erinnerungen.

Der kleine Junge auf Papa’s Arm sang fröhlich mit:

‚On an island in the sun
We’ll be playing and having fun
And it makes me feel so fine
I can’t control my brain‘.

Ja ja, „Island in the sun“ begeistert jeden! Das Familiendrama spielte sich denn auch vorher hab. Der kleine Junge hat noch einen Bruder, vielleicht zwei Jahre älter und acht Jahre alt. Ihm wurde schon während der Umbaupause langweilig und er quengelte rum, bis seine Mutter mit ihm auf der Tribüne im hinteren Bereich der Halle einen Sitzplatz suchte. Dem Vater war’s egal, er sagte nur ‘it‘s up to you‘. Ob er sich in späteren Jahren mal darüber ärgern wird? Ich fürchte…

Zur Zugabe dann nochmal Kalifornien, und der Kreis zum Beginn war geschlossen. „ Beverly Hills“ und – klar, das fehlte noch – „Buddy Holly“. Nach „Buddy Holly“ strahlte definitiv die gesamte Halle.

Zum Ende formten viele ihre Hände zu einem W. Großer Abend. Großes Konzert. Beste Unterhaltung und die Anfahrt allemal wert!

Setlist:
01: California Kids
02: My name is Jonas
03: Hash Pipe
04: Back to the Shack
05: L.A. Girlz
06: El Scorcho
07: Troublemaker
08: Pork and Beans
09: (If you’re wondering If I want you to) I want you to
10: Do you wanna get high?
11: Cleopatra
12: The Waste Land
13: Thank God for girls
14: Say it ain’t so
15: The good life
16: You gave your love to me softly
17: King of the world
18: Island in the sun
19: Undone – The Sweater song
Zugabe:
20: Beverly Hills
21: Buddy Holly

Multimedia:

 

Schreibe einen Kommentar