Ort: Juicy Beats Festival, Dortmund

„Es begrüßt euch die Band Tocotronic. Seid willkommen und habt Spaß.“ Puhh, die Tocos können live sehr anstrengend sein. Bei keinem anderen Konzert ärgere und freue ich mich gleichzeitig so sehr wie bei einem Tocotronic Auftritt.
„Und nun heben wir alle die linke Hand, ballen sie zur Faust und rufen: „Aber hier Leben, nein danke!“
Ich muss das jetzt mal loswerden. Dirk, ich kann mit deinen ruhig vorgetragenen, sprachlich meist wertvollen Ansagen nichts anfangen und eure Bühnengestik geht mir gehörig auf die Nerven. Aber, und ist das nicht entscheidend, ich liebe eure Musik. Die alten und die neue Sachen. Die alten Protestsongs haben mir früher oft aus der Seele gesprochen und die neuen Sachen sagen mir, ja, nicht nur ich bin älter und ausgeglichener geworden. Und bisher hat mich die Liebe zu eurer Musik immer zu euren Bühnen treiben lassen. Ich vermute jetzt mal, dass es so bleibt.
So war es auch am Samstag. Tocotronic spielen, und wir sind zur Stelle. Gut, die Alternative war spärlich. Auf Wallis Bird hatte ich keine Lust, und für Bands, deren Namen Frittenbude oder Bratze sind, fühle ich mich zu alt.
Also die Tocos. Wieder einmal. Vor der Hauptbühne war es gut gefüllt, sag ich mal. Also bevor die Tocos angefangen haben. Die Ordner mussten ein waches Auge haben, um den ein oder anderen am Eintritt in den vorderen Bühnenbereich zu hindern. Nach zwei, drei Songs war dies Vergangenheit. Viele verließen ihren Platz und andere bekamen die Gelegenheit, bis in die ersten Reihen vorzudringen. Ich glaube, die, die gingen, waren verschreckt. Ich kann das verstehen, denn die, wie ich finde, sehr spezielle und tocotypische Livepräsentation kann einen irritieren. Tocotronic live und zuhause im Wohnzimmer sind zwei paar Schuhe. Oder aber sie hatten einfach Hunger, oder sie wollten zu Zoot Woman (warum eigentlich?), die jetzt auf einer der anderen Bühnen anfingen zu spielen.
Nun wir blieben. Und wir haben es nicht bereut. Denn ich fand Tocotronic am Samstag gut. So gut, dass ich mich nicht mehr aufgeregt habe als sonst. Das werte ich als gutes Zeichen und ja, die Stunde Tocotronic hat sich sehr gelohnt. Ihr Set war vergleichbar mit dem der letzten Tour, ein bequemer Mix aus den unterschiedlichen Tocotronic- Epochen. Das hat mir schon damals gefallen, und so wurde ihr Auftritt ein Abbild des E-Werk Konzertes, nur eben auf Festivallänge zurechtgestutzt.
Die Geschichte des Konzertes ist aber eine andere:
Wen entdeckte ich plötzlich nach einer Viertelstunde im Fotograben? Meinen alten Schulfreund Daniel Sadrowski. Mensch, wie lange habe ich ihn nicht mehr gesehen, 17 oder 18 Jahre bestimmt. Gott ist das lange her. Damals haben wir sehr viel gemeinsam unternommen, haben die gleiche Musik vergöttert und zu den gleichen Songs getanzt. Dann, nach der Schule, verloren wir uns aus den Augen. Wie das halt so passiert. Auf einmal ist man weg, nicht mehr so bedeutend. Und jetzt sehe ich ihn wieder und bin überrascht, wie wenig er sich verändert hat. Leider ist die Distanz zu groß, und als ich flux hinübergehen wollte, war er schon verschwunden. Schade, es wäre bestimmt lustig geworden, mich mit ihm nach all der Zeit zu unterhalten.

Setlist:
01: Eure Liebe tötet mich
02: Die Folter endet nie
03: Verschwör dich gegen dich
04: Die Grenzen des guten Geschmacks
05. Aber hier leben
06: Imitationen
07: Jenseits des Kanals
08: Jungs hier kommt der Masterplan
09: Let there be Rock
10: Mach es nicht selbst
11: Drüben auf dem Hügel
12: Stürmt das Schloß
13: Die Idee ist gut doch die Welt noch nicht bereit

Multimedia:
Fotos: frank@flickr

Kontextkonzerte:
Hundreds – Juicy Beats, 31.07.2010
Tocotronic – Köln, 04.03.2010

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