Ort: E-Werk, Köln
Vorband: Jel

The Notwist
Keine Frage, es war ein gutes bis herausragendes The Notwist Konzert. Drei Zugabenblöcke, 2 Stunden Spielzeit. Ich fürchte, ich habe die Weilheimer live noch nie so lange am Stück spielen sehen.
Trotzdem fühlte ich mich gegen 23 Uhr bei weitem nicht so geflasht und euphorisiert wie noch am Samstagabend nach einem, subjektiv und sicherlich auch objektiv betrachtet nicht besserem Konzert der Belgier dEUS.
Wie kommt das? Wieso ist meine Wahrnehmung so unterschiedlich, obwohl in beiden Fällen absolute Lieblingsbands mit absoluten Lieblingsliedern auf den Bühnen standen? Liegt es an mir oder an der Umgebung?
Nun, die klare Antwort auf die letzte Frage ist: es liegt an mir. Es ist so einer dieser Konzerttage, die ich am liebsten auf dem Sofa verbringe. Die Band verspricht zwar einen unterhaltsamen Abend, aber man selbst möchte lieber die Füße hochlegen und Fernsehen schauen oder Zeitschriften lesen, als noch die Wohnung zu verlassen. Die ganze Vorfreude ist auf einmal weg, aber man hat da dieses Ticket, und „Gravity“ ist live doch so toll.
Also machte ich mich auf den Weg, halb tranig, halb lethargisch. An solchen Abenden komme ich gerne genau pünktlich, nicht länger raus als nötig. Auch an diesem Abend war ich erst um kurz vor acht am E-Werk. Beim letzten Notwist Konzert an gleicher Stelle war es voll, dieses Mal ist es eher halb leer. Problemlos gelange ich – während auf der Bühne ein DJ Platten auflegt und darüber rappt – nach vorne. 2 Meter Komfortzone direkt an der Bühne, es ist wirklich sehr leer. Und das ist angenehm, weil es mir heute so entgegen kommt

Der Alleinkünstler Jel bestreitet das Vorprogramm. In der Regel haben The Notwist immer gute Vorbands, ich erinnere da nur an Portmanteau vor einigen Jahren. Auch Jel hinterlässt bei mir einen positiven Eindruck. Sein Sound ist nicht zu kantig, die zusammengestellten Melodien interessant und gut anzuhören. Seien zwischendurch erzählten Geschichten zu den Songs scheinen auch sehr lustig zu sein, ich höre nur mit halben Ohr hin, gedanklich bin ich noch auf dem Sofa.
Als The Notwist gegen neun Uhr die Bühne betraten, ist es nicht viel voller um mich herum geworden. Wo sind all die Leute? Notwist Überdruss, weil man sie hier in der Gegend so oft sehen kann. Das neue Album doch top, wie ich überall höre, an der aktuellen Platte und einem Qualitätsverlust kann es also nicht liegen. Ich kenne Close to the Glass noch nicht, dafür ist dann bei diesem Konzert etwas Gelegenheit. Und das gleich zu Beginn. Auf der Bühne blinken kleine LED Flutlichter und sehen dabei aus wie Alienaugen in der Dunkelheit. Im Hintergrund läuft dazu “They follow me”, “Close to the Glass” und “Kong” und ich muss erkennen, dass die neuen Songs wirklich viel von dem halten, was ich über sie gelesen habe.
„One with the freaks“. Have you ever, have you ever been all messed up?, ach, wie ich diesen Refrain liebe, diese schnarchig-schnoddrige Gesangsstimme von Markus Acher. Wenn mich jemand fragen sollte, wie ich deutschen Indie definieren würde, dann würde ich diesen Refrain als Blaupause hernehmen.
Dazwischen liegen „Boneless“ und „Pick up the phone“, und mir fällt zum ersten Mal auf, dass ich dieses Notwist-typische Ausdünsten der Songs heute nicht so toll finde. Dieses Gefrickel und Getue störte mich enorm. Mir kommt das alles zu bekannt vor, obwohl die Band sicherlich von Tour zu Tour Nuancen ändert und es jedes Mal anders klingt. Ich fürchte, ich habe mich in den letzten Jahren daran sattgehört. In der Zugabe treiben sie es dann auf die Spitze: „Neon Golden“, „Different cars and trains“ und „Pilot“ in einer Art Medley sind so ineinander verwoben, dass es mir fast zu nervig wird. Nein, das geht an diesem Abend nicht für mich aus.

Dann dieses Mal schon lieber „Gravity“ und „Gloomy planets“. Diese Songs könnte ich 10mal nacheinander hören, es wäre mir nie zu viel. Ich mag diese ausufernden Gitarren, die schönen Melodien, die sie schon ab und an auf Nook (also zu ihrer wilden 90er Zeit) haben aufblitzen lassen. Und so hangelten mich diese Songs durch das Set, „Gravity“ als letzter Song vor den Zugaben, und „Gloomy Planets“ nach dem „Neon Golden“ Medley.
„Wir spielen noch einen schönen Song“, mit diesen Worten startet Sänger Markus Acher in die zweite Zugaberunde und normalerweise heißt das, okay, noch ein Stück.
Aber was ist das. Die Gitarre wird ausgetauscht. Noch nicht vorbei? Nein, “Chemicals” erschallt und nun darf Martin Gretschmann, der bei den alten Sachen öfters Pause hat und dann unter/hinters einem Elektrospielplatz-Tischchen kniet, wieder mittun. Sein Einstieg in die Band geschah erst mit Shrink, und in starkem musikalischen Maße auf Neon Golden. Apropos, die sagenhafte und schon oft erzählte Doku On/Off zur Entstehung dieses Wahnsinnsalbums ist extrem sehenswert. Sie zeigte auf gute und sympathische Art den gesamten Notwist Kosmos und gibt einen wunderbaren Einblick in die musikalische Welt der Band. Wer The Notwist ein bisschen verstehen möchte, schaue sich On/Off unbedingt an.
Mensch, dieser Abend scheint kein Ende nehmen zu wollen. „Chemicals“ und weiter geht’s. Nochmals ein Griff zurück zu Neon Golden. „Consequence“. Und ein noch weiterer Griff zurück. Die Band hatte immer noch keine Ruhe und legte nach: Im dritten Zugabenblock spielen sie zwei Stücke von 12, bevor der passende Rausschmeisser „Gone, gone, gone“ endgültig den Abend besiegelte. Und besiegte.
The Notwist überzeugten durch einen feinen Husarenritt durch ihre Alben. Das hatte ich in der breite so noch nicht bei ihnen gehört und erlebt. Das der Abend in meiner Erinnerung trotzdem einen ernüchternden Eindruck hinterlassen wird, lag einzig und allein an mir, keinesfalls an der Band.
Der Kölner Stadtanzeiger schreibt heute etwas vom ewigen Studententum, das die Band mit sich trägt. Ich muss immer an meinen nächsten Friseurtermin denken, wenn ich The Notwist sehe.

Kontextkonzerte:
The Notwist – Lüften! Festival Frankfurt, 22.06.2012
The Notwist – Nijmegen, 22.01.2012 Doornroosje
The Notwist – Rolling Stone Weekender Weissenhäuser Strand, 11.11.2011
The Notwist – Juicy Beats Dortmund, 30.07.2011
The Notwist & Andromeda Mega Express – Köln, 14.08.2009 Philharmonie
The Notwist – Köln, 14.04.2009 E-Werk
The Notwist – Melt!, 19.07.2008

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