Ort: Luxor, Köln
Vorband: Swearing at Motorists

Evan Dando„Oh, Dortmund führt 1:0.“ Einen Satz, den ich nicht hören wollte. Ich stieg gerade aus dem Zug aus, als ich im Vorbeilaufen auf dem Bahnsteig diesen Gesprächsfetzen unfreiwillig aufschnappte. So hatte ich mir das an diesem Abend nicht vorgestellt. Den ganzen Tag hatte ich mit mir gerungen, ob ich am Abend des Pokalendspiels, des spannendsten, ausgeglichendsten und herausragendsten der letzten Jahre, zum Lemonheads Konzert fahren solle oder nicht. Würde ich historisches verpassen? Wäre es nicht besser, live die Fernsehübertragung zu verfolgen als mich in einem Club rumzutreiben und die Lemonheads zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit zu sehen?
Nicht leichter machte mir die Entscheidung der Luxemburger Abend am Ende des letzten Monats, als Evan Dando und Band ein wirklich tolles Konzert spielten, das unbedingt große Lust auf mehr machte. Und vielleicht wiederholen sie das ja an diesem Abend. Es später nur nachlesen zu können würde mich dann ziemlich ärgern. Überdies lag das Ticket im Korb, schon seit Wochen. Eine Zwickmühle, in der ich saß, die mich jedoch dazu trieb, gegen halb acht in den Zug zu steigen und Richtung Köln zu fahren. Für einen Samstagabend war der Nahverkehr spärlich besucht, und – bildetet ich es mir nur ein, oder war der Frauenanteil im Wagon wirklich deutlich höher als an anderen Tagen. Es war wahrscheinlich Einbildung, denn als ich in Köln ankam schien alles so wie immer. Klar, der Kölner ist wahrscheinlich nicht in erster Linie Borusse oder Bayern-Fan, der Lokalkolorit im Fantum ist auch in der selbsternannten fröhlichsten Stadt Deutschlands stark ausgeprägt, selbst wenn es derzeit fussballtechnisch wenig zu lachen gibt. (Woran auch Herr Stanislawski wenig ändern wird!)

Mein Plan war der, mir das Pokalspiel im Anschluss an das Konzert aus der Konserve anzuschauen und bis dahin nichts von Ergebnissen oder Tendenzen aus Berlin an mich herankommen zu lassen. Dass dieser Plan schon nach wenigen Minuten scheiterte, war ein blöder Umstand. Auf der anderen Seite waren erst wenige Minuten gespielt, das machte den Videoabend nur bedingt kaputt. Gott sei Dank – damit dann auch genug des nicht musikalischen Berichtteils – sollte es die letzte Wasserstandsmeldung bleiben, die ich mitbekam.
Die Lemonheads also. Zum zweiten Mal wollte ich mir das Über-Album It’s a shame about Ray live anhören. Laut und in voller Länge.
In Luxemburg war es ein herausragender Abend, eingerahmt von zwei Dando Soloparts, die das Album in einem sehr würdigen Rahmen erscheinen ließen, war das Konzert eine schlüssige Sache. Abschließend noch ein paar Hits in Bandbesetzung rundeten diesen Abend ab. Besser ging es nicht, frischer hatte ich Evan Dando in diesem Jahrtausend noch nicht gesehen. Können sie das wiederholen? Können sie das vielleicht sogar toppen? Fragen, die mir direkt nach dem Abpfiff in Luxemburg in den Sinn kamen.

‚Wäre ich doch lieber zuhause geblieben.‘

Gegen neun Uhr und nach den ersten Minuten Konzert bereute ich vieles. Ernüchterung machte sich breit. Zwei Coverversionen und drei Lemonheads-Songs lang wirkte die Band desaströs, fahrig und verschlafen. Genau das hatte ich mir nicht erhofft, das wollte ich nicht sehen. Sollte sich die alte Konzertweisheit bestätigen, dass man sich nach einem guten Konzert einer Band ein zweites Liveerlebnis erst nach Wochen oder Monaten geben soll, um sich den guten Ersteindruck nicht zu zerstören. Eine Enttäuschung sei sonst vorprogrammiert, so der Hintergedanke, und nach einer großen Enttäuschung sah dieser Abend aus. Nach 20 Minuten starteten sie mit „Rockin Stroll“ ins Album, und noch immer passte nur sehr wenig. O je. Wo war denn hier bitte schön der Rahmen, das herausstellen der Albumsongs? Er war nicht da und er kam auch in den nächsten Minuten nicht. Die Lemonheads spielten weiter, und selbst die großartigen „Bit part“ und „It’s a shame about Ray“ liefen irgendwie an mir vorbei.
Ich wurde den Eindruck nicht los, daß das alles nichts mehr wird. Schludrig und fahrig kam mir die Band vor. Wohlgemerkt, im Hinterkopf hatte ich immer den herausragenden Luxemburgabend. Die, die den nicht hatten, waren guter Laune. Das gut gefühlte Luxor zeigte eine gute Stimmung, es wurde mitgesungen und getanzt. Und immer mittendrin der Sänger der Band Gary, der, aus völlig abstrusen Gründen noch vor dem Konzert unser Gesprächsthema war und jetzt mehrmals verschwitzt unseren Weg kreuzte. Dass diese Belanglosigkeit unser Hauptaugenmerk der ersten halben Stunde war, spricht Bände. An einem guten Abend hätten wir uns nicht so leicht ablenken lassen.
Irgendwann war das Album durch, und wiederum gab es keinen visuellen Bruch. Der kam erst später. Zuvor kamen noch meine persönlichen Bestätigung, dass ich doch am richtigen Ort war. Endlich. „Mallo cup“ und „Stove“, zwei Songs, auf die ich in Luxemburg vergeblich gewartet hatte, wurden gespielt. Und ab diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass das Konzert besser wurde. Scheinbar war Evan Dando jetzt aufgefallen, dass er wach ist. Der Haarteppich wurde aus dem Gesicht gelegt und hinters Ohr gestopft. Im nachfolgenden Solo-Block spielte er gefühlte 30 Songs und zeigte all das, was ich mir auch für heute erhofft hatte: „The outdoor type“ eröffnete den Reigen, gefolgt von „Being around“ und „Into your arms“. Ein besseres Triple gibt es nicht. Evan Dando war nun entgültig auf der Höhe. Mitten im Solopart wurde es dann auf einmal stockdunkel im Luxor. Dando spielte gerade die ersten Takte von „Impractical joke“, als gegen zwanzig nach 10 das Bühnenlicht ausging. Wir dachten erst, es sei ein Zeichen des Clubs, das Konzert jetzt zu beenden. An Samstagen wartet ja immer diese abendliche Discoveranstaltung, die aus gastronomischer Sicht wichtiger ist als ein Konzert. Aber dem war wohl nicht so, die absolute Bühnendunkelheit gehörte scheinbar zum Programm, denn Dando sich nicht beirren, spielte einfach weiter und setzte mit „It’s about time“, „Paid to smile“ und weiteren Perlen noch ein paar Songs oben drauf. Insgesamt 13 Solonummern machten diesen Block komplett. Dieses Konzert im Konzert war aber nicht noch nicht das Ende der Show. Die Band kam nochmal zurück. „Break me” und “If I could talk I’d tell you”, zwei weitere wundervolle und immer gern gehörte Songs, hoben meine Laune noch ein Stückchen höher, bevor mit dem Come on feel the Lemonheads Kracher “Style” der Abend nach knappen 100 Minuten ein Ende fand.
Wow, dieses Konzert hat hinten heraus Eindruck bei uns hinterlassen.

Den musikalischen Abschluss an diesem Abend setzten andere. ‚Peter Brings hat Locken.‘, so die überraschende Feststellung des Vierergrüppchens im Nachbarsitzblock des Regionalzuges. Wie ich heute las, waren sie auch auf einem Konzert. Brings und Co spielten am Samstag im Tanzbrunnen.

Multimedia:

Kontextkonzert:
The Lemonheads – Esch-Alzette, 27.04.2012 / Rockhal
The Lemonheads – Köln, 03.10.2008 / Gebäude 9
The Lemonheads – Köln, 27.10.2006 / Bürgerhaus Stollwerck

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