Ort: FZW, Dortmund
Vorband:

Swans

Um 2 Uhr habe ich keine Lust mehr. Ich stehe vor der allergrössten Primavera Sound Festivalbühne ever und sehe seit guten 20 Minuten die britische Band Blur, die hier und jetzt ihr Headlinerkonzert spielt. Es ist voll, zu voll und ich bekomme immer weniger Lust, mir von der Mitte des Platzes aus Damon Albarns rumgehopse anzusehen. Gibt es eine Alternative? Die muss es geben, das Festival ist noch im vollen Gange. Ich blicke auf den Zeitplan, neben einigen kleinen Bands spielen auf der Ray-ban Bühne die New Yorker Swans. Mhh, denke ich, da bin ich sicher näher dran und es ist sicher nicht so voll.
Also mache ich mich auf den Weg; es dauert lange, sehr lange, bis ich aus dem Menschenpulk herauskrabbeln kann. Auf dem Weg zum anderen Ende des Geländes kommen mir immer noch Menschen entgegen. Eigentlich kommen mir nur Menschen entgegen, ich scheine der einzige zu sein, der die entgegengesetzte Richtung gewählt hat.
Die Swans haben schon längst angefangen, vielleicht 400 Leute stehen vor der Bühne. Die Strahlkraft der zweitbesten britischen Band der 1990er schien zu hoch, alle wollten Blur sehen.
Ich hole mir was zu trinken, Müdigkeit steckt schon seit ein paar Stunden in meinen Knochen. Es ist der dritte lange Festivalabend, das hinterlässt in meinem Alter Spuren. Definitiv.

So stehe ich etwas verlassen vor der Bühne und denke „was um Himmels Willen machen die da?“. Ich höre irgendwelchen Lärm, Songstrukturen sind nur vage auszumachen. Aber der Reiz des Interessanten hat mich gepackt, ich gehe nicht weg, ich setze mich auch nicht auf die kreisrund angelegten Steinstufen im hinteren Bereich. Ich bleibe vor der Bühne stehen und gucke paralysiert (oder vielleicht auch nur müde) den Swans zu.
Eine halbe, dreiviertel Stunde geht das Spektakel noch und seit diesem Augenblick habe ich mir fest vorgenommen, Swans nochmal zu sehen. Dann in voller Länge, dann im ausgeschlafenen Zustand.

2 Jahre später kurz vor 20 Uhr. Es ist es soweit. Die Bühne ist etwas kleiner, die Zuhörerzahl ungefähr gleich.

Nach 45 Minuten ist erstmals Stille. Die erste Passage des Swans Konzertes ist gerade vorbei. Ich war etwa 10 Minuten zu spät, der Aushang verriet einen Konzertbeginn um 19.45 Uhr. Verpasst habe ich aber wohl nur das Intro, ein monotones Schlagen auf einen großen Gong und dazu wabernde Gitarren. Die letzten Ausläufer dessen bekam ich noch mit. Nach und nach verstärken Michael Gira, Kristof Hahn, Norman Westberg, Chris Pravdica und Phil Puleo ihre Instrumente immer mehr. Das warm-up der Band schien in vollem Gang. Ich bildete mir ein zu bemerken, dass die Musiker erst selbst den Zugang zu diesem Abend suchen müssen, um dann – nach ein paar Minuten – immer tiefer in ihren Sound einzutauchen. Das machten sie gut, nach kürzester Zeit gewann ich den Eindruck, sie würden schon ewig spielen. Was ich mir allerdings nicht einbildete war die immense Lautstärke, mit der die Swans den Klub beschallten.

Lasst mich über den Lärm reden. Er war irgendwann da. Ungefähr zur Hälfte des ersten Songs erreichte er seinen Hauptpegel und ab diesem Augenblick ging er nicht mehr weg. Selbst in den fünf Songpausen des Konzertes hallte er in meinen Ohren nach.
Dabei tat der Lärm nicht punktuell weh; es war nicht so wie ein zu hoher Ton oder ein schlecht und zu stark ausgepegeltes Mikrofon oder Instrument. Es war auch nicht so wie bei einem Technobass, der tief und stark im Magen wummert. Hier war es vielmehr die Wucht des Ganzen, die, so kann ich es vielleicht am besten beschreiben, in Wellen auf meinen Körper prallte. Ich habe sowas zuvor bei einem Konzert noch nicht erlebt, aber genauso wie ich mich vor der Bühne fühlte, muss sich eine Brille in einem Ultraschallreinigungsgerät fühlen: Immer und immer wieder kleinen (Druck)wellen ausgesetzt, die einen durchschütteln.
Als ich mich nach einigen Momenten daran gewöhnt hatte, empfand ich es als durchaus angenehm. Es fühlte sich nicht nervend an, aber es war irgendwie fordernd. „Ich bin platt“, so oder so ähnlich hörte ich es nach dem Konzert im Vorraum öfter. Und ja, auch fühlte mich erschlagen. Zweieinhalb Stunden Lärm sind scheinbar doch nicht ohne.

Das Konzert selbst war keine Minute langweilig. Ich betone das so, weil ich es mir vorher nur schwer vorstellen konnte, dass mich die Swans über eine komplette Konzertlänge fesseln können. Aber sie konnten. Zwischendurch fragte ich mich zwar erneut, was die da machen. Was um Himmels Willen mag man mit solch einer Musik anfangen? Sie beim Abwasch hören? Wohl kaum. Sie beim Autofahren hören? Das funktioniert doch nicht. Und dazu tanzen kann man auch nicht wirklich. Im Prinzip kann man nur zuhören. Ohne Ablenkung einfach nur zuhören. Aber ist das nicht das beste Kompliment, was man einer Musik machen kann? Und gelingt es, sich voll und ganz auf die Musik der Swans einzulassen, wird man mit einer unendlichen Vielfalt von Klängen und einer unendlichen Intensität von Gitarren sehr belohnt.

Mich packte das alles nach kürzester Zeit. Ich merkte gar nicht, dass der erste Song, oder diese erste Passage beinahe 45 Minuten andauerte. Es war keine Spur langatmig, ein sicheres Zeichen dafür ist, dass ich zwischendurch nicht auf die Uhr geschaut habe. Es war toll, und ich war sogar etwas enttäuscht darüber, dass die nächsten beiden Songs um einiges kürzer waren.
Nach dem insgesamt dritten Song hielt Michael Gira dem Schlagzeuger vier Finger entgegen. Noch vier Songs? Vielleicht.
Zunächst einmal ging es im 15 Minuten Takt weiter. Nach einer weiteren Stunde stellten sich bei mir dummerweise leichte Kopfschmerzen ein. Das Konzerts hinterließ bei mir erste Spuren. Aber die Swans spielten bereits weit über 90 Minuten, lange konnte es nicht mehr gehen und die Option weiter nach hinten zu gehen, bestand somit nicht wirklich. Zumal sie an der Gesamtsituation nichts geändert hätte. Und den Saal verlassen kam überhaupt nicht in Frage. Das Konzert war zu gut! Also blieb nur ausharren und die Druckwellen am Rumpf und an den Beinen mehr zu genießen als die leichte Kopp-Piene.
Nach dem vierten Song war jedoch noch nicht Schluss. Auf einem Notenständer vor ihm hatte Michael Gira die Songtexte auf einzelnen Blättern sortiert. Nach jedem Stück nahm er einen Zettel  herunter und legte ihn beiseite. Solange also Zettel auf den Ständer geklemmt waren, gab es Musik. Nach dem vierten Song klemmte dort noch ein Blatt Papier. Das Finale kündigte sich an, „Bring the Sun/ Black Hole Man“, wenn ich das im Nachgang recht zusammenbringe. Dass die Swans eine Zugabe geben würden, hielt ich für unwahrscheinlich. Das würde nicht passen. Machten sie dann auch nicht.
Bravo!

„Nach zwei Stunden im psychedelischen Noise-Orkan von Swans hat man entweder den Verstand verloren oder ist ein neuer, seelisch gereinigter Mensch. Beides super.” (Spiegel Online)

Beides super!

Kontextkonzerte:
Swans – Primavera Sound Festival – Barcelona, 24.05.2013

Fotos:

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. sir robert kirk conrad keely

    hi…ich war auch da. fand die swans aber eher leise. hab sie vor längerer zeit im gebäude 9 gesehen. stand dort direkt vor dem mischpult und meine innereien haben sich zum wall of sound klasse bewegt. ansonsten sehr treffende kritik. wie eigentlich meistens. weiter so ! …einen netten gruß

  2. frank

    Ahh okay. Mir war das eigentlich schon laut genug!
    Vielen Dank, schön, dass ich die Swans nicht ganz falsch gesehen habe.

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