Ort: Magnet Klub, Berlin
Vorband: Jealousy Mountain Duo

Speedy Ortiz
“American Horror” heißt ein Song auf der neuen Speedy Ortiz EP Real hair. Karneval Horror ist das, was sich alljährlich vor der Haustür ereignet. Traditioneller und historischer Straßenkarneval her oder hin, denn das, was sich alljährlich zu Weiberdonnerstag sehe, hat damit überhaupt nichts zu tun. Spätestens ab dem späten Nachmittag wird es dann nämlich fürchterlich anstrengend und uncharmant. Als Westfale gehe ich zum Lachen in den Keller (wie man hier so sagt) und das mag als Entschuldigung herhalten, aber lustig ist diese Art von Weiberdonnerstag nur bedingt.
Als ich am Donnerstagabend nach Hause gehe, hält vor mir am Straßenrand ein Fahrzeug. Die Beifahrertür geht auf und ein Clown kotzt halb auf die Straße halb an die Türinnenverkleidung. Das sieht lustig aus, passt also zum Clownskostüm, lässt mich jedoch ungefragt sprachlos zusehen. Später im Hausflur bekomme ich – wieder unfreiwillig – ein Gespräch aus der Nachbarwohnung mit: „Und anschließend besaufen wir uns morgen so richtig.“
Es ist also wieder soweit, und da kann mir jeder noch so viel über den traditionellen Karneval erzählen, seit 15 Jahren sehe ich den nur bedingt. Weder hier noch anderswo.
Am Freitagmorgen hält auf dem Bahnsteig gegenüber ein Zug aus der Schweiz, aus dem eine Gruppe Frösche und Musketiere klettert. Bierpulle in der Hand und laut „Kölle Alaaf“ brüllend entern sie den Bahnsteig. Tja Jungs, einen Tag zu spät für das ganz große Besäufnis.
Um 10 Uhr morgens findet das übrigens auch der Kölner nicht lustig, wie ich beruhigt feststelle. Diese Art von Karnevalstourismus ist schlimm und nah dran an Oktoberfestfahrten. Aber so ist das, ändern kann das niemand mehr. Und wer das nicht so toll findet, muss dem entfliehen.
Für mich stand schon längere Zeit fest, am Karnevalswochenende einen Ausflug nach Berlin zu unternehmen. Dreimal habe ich in den Jahren zuvor dem Karneval eine reelle Chance gegeben, dreimal hat er sie nicht genutzt. Und jetzt möchte ich nicht mehr, und der Berlintrip war sowas wie zwei fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen ist in Preußen der Jeck überschaubar, und zum anderen spielten an diesem Wochenende die must-see Band Speedy Ortiz. Es gab für mich keine Widerrede, Berlin und gut ist.
Speedy Ortiz sind Sadie Dupuis, Matt Robidoux, Darl Ferm und Mike Falcone oder musikalisches gesagt: eine Pavement Reinkarnation in Vollendung. Major Arcana ist das Debütalbum der Mittzwanzigjährigen aus Massachusetts und es schreit förmlich nach Pavement. Es besteht einfach gesagt nur aus Hits und ist eines meiner Lieblingsalben des letzten Jahres. Speedy Ortiz machen darauf, und auch auf der nachfolgenden und nicht minder schlechten Sports-EP schnörkellosesten 90er College- und Indierock. Das muss ich mögen und folgerichtig standen Speedy Ortiz auf dem Plan der zu sehenden Bands 2014 ganz weit oben.
Nachdem ihre aktuelle Europatour einen großen Bogen um die nahegelegenen Konzertorte machte, muss der Prophet eben zum Berg, sprich, ich nach Berlin. Und da das Karnevalswochenende in dem Rheinland für mich eher anstrengend als interessant ist, stand meinem Ausflug in die Hauptstadt nichts im Weg. Bestärkt wurde die Idee noch dadurch, dass am darauffolgenden Tag of Montreal ebenfalls in Berlin einen Auftritt im Lido geben sollten. Also, die Abendprogramme waren gesichert, die Reise schnell gefixt.

Die späte Anfangszeit (22 Uhr im Magnet Klub) des Konzertes ließ den Abend wenig hektisch beginnen, und so kamen wir gut gestärkt durch bestes türkisches Essen des Adana Grillhauses, in dem vor nicht allzu langer Zeit bereits Ilkay Gündogan zu Gast war, in dem noch überschaubar gefüllten Klub an. Speedy Ortiz sollten um 23 Uhr beginnen, davor spielte die uns unbekannte deutsche Band Jealousy Mountain Duo.
Als die beiden älteren Herren die Bühne betraten war der erste Gedanke, so sehen also die Japandroids in 20 Jahren aus. Der zweite ließ noch etwas auf sich warten, denn das Jealousy Mountain Duo spielte einen experimentellen Krach, oder Instrumentalrock, den ich erst einmal verarbeiten musste. Ihr erster Song dauerte gefühlte 20 Minuten und zeigte, was eine Gitarre und ein Schlagzeug imstande sind, aufzubieten. Das ist Math-Rock-Jazz, dieser zweite Gedanke setzte sich sehr schnell in meinem Kopf fest. Die beiden Musiker fesselten mich durch das schweißtreibend-wuchtige Schlagzeugspiel und die dagegen eher unaufgeregt gespielte Gitarre enorm. Das ihr Auftritt eine knappe dreiviertel Stunde lang war, merkte ich überhaupt nicht.
Meine Augen richteten sich immer wieder auf das Schlagzeug. Was da in diesen Minuten passierte, war fast einzigartig und ist kaum beschreibbar. Mit einer sagenhaften Präzision feuerte der Schlagzeuger einen Kanonenschlag nach dem nächsten ab. Das Schlagzeug war definitiv das Hauptinstrument der Band, wenn man so sagen möchte, der Jazz Anteil in der Musik des JMD. Die Gitarre wirkte dagegen eher begleitend, untermalend. Sie war dabei weder schrammelig noch rockig, auch technische Spirenzkes wie Loops, Verzerrungen und anderes hielten sich in Grenzen.
Schlagzeuger beim Jealousy Mountain Duo zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Soviel ist klar. Selbst wenn dies die alleinige Erkenntnis dieses Auftritts bleibt, denn herrje, ich weiß immer noch nicht, wie ich ihren Sound passend beschreiben kann. Noise? Wegen meiner, aber der dann sehr experimentell sperrig und einzigartig. Und das alles enorm laut.

Speedy Ortiz brachten uns danach wieder auf den 90er Jahre Indierockboden zurück. Ihr Sound klang wohlvertraut und es wurde das erwartete Konzert. Die Songs wie das tolle „Tiger Tank“ und „Casper 1995“ vom im Vorjahr erschienen Debüt „Major Arcana“ sind zunächst einmal laut und schräg. Erst mit dem einsetzenden Gesang Sadie Dupuis kommen die melodische Momente zu Speedy Ortiz. Zumindest auf Platte. Live blieb es eher bei laut und krachig, zumindest vorne links im Magnet Klub. Obwohl die Frontfrau nur ein, zwei Meter von uns entfernt stand, hörten wir ihre Stimme kaum. Im Vergleich zu den Instrumenten schien sie zu wenig ausgesteuert zu sein. Das ist blöd, ging doch so jedem Stück etwas von seiner Schönheit ab.
Gerade am Anfang des Konzertes viel es uns schwer, die Stücke zu identifizieren. Zu ungewohnt klangen sie ohne hörbare Gesangsstimme. Nach dem Konzert kamen wir zu dem besser erklärenden Schluss, dass wir sie vielleicht überhaupt nicht kennen können, da sie vom uns unbekannten ersten Album The death of Speedy Ortiz oder aber von der neuen Real hair-EP stammen. So blieb „Basketball“ nach drei, vier Stücken das erste Lied, was mir definitiv bekannt vorkam. Es folgten in den restlichen 50 Minuten jedoch noch mehr, „Hitch“, „No below“ und die oben schon genannten „Tiger tank“ und „Casper 1995“. Zusammen mit den unbekannten Songs reichte das für einen fulminanten Konzertabend allemal.

Speedy Ortiz überzeugten auf ganzer Linie. Matt Robidoux an der Gitarre und der herausragende Bassist Mike Falcone schafften es immer wieder, Retromomente abzurufen. Von Sadie Dupuis ganz zu schweigen. In ihrem gepunkteten Kleid und den flachen Leinensneaker wirkte sie so unscheinbar schön old-fashioned (das deutsche Wort altbacken klingt mir hier zu negativ), dass es perfekt zur Musik und zum gesamten Auftreten der Band passt.
Speedy Ortiz sehen so aus wie ihre Musik klingt. Und das ist gut so! In Barcelona werden wir sie wiedersehen. Dann hoffentlich mit besseren Sound und nicht zu einer allzu frühen Uhrzeit oder aber in Konkurrenz zu anderen sehenswerten Bands. Das wäre schade, denn Speedy Ortiz sind immer ein Konzert wert.

Aber gleichermaßen blitzte das Melodieverständnis dieser Mitzwanziger von der ersten Sekunde an auf. Es sind Feinheiten, ein kleiner Schlenker hier, eine gefühlvolle Gesangslinie dort, die im kompakten, meist dreiminütigen Krach quasi Lichtblicke bilden und den nächsten Ausbruch noch direkter erscheinen lassen. (Internet).

Fotos:

und auf Flickr.

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