Ort: Trix Musikzentrum, Antwerpen
Vorband: PINS

Sleater-Kinney

Erneut habe ich mir auf der Fahrt zum Musikzentrum Trix in Antwerpen die Frage gestellt, wie das ist, eine Band innerhalb von vier Tagen ein zweites Mal zu sehen. Und erneut kam ich zu der Antwort, dass es weder langweilig – weil die Show bekannt – noch übertriebener Aktionismus ist.
In Fall von Sleater-Kinney ist die Situation anders als zum Beispiel bei einem achten oder neunten Get well soon Konzert, wo ich bei mir bereits einen leichten Sättigungsfaktor ausmache. Gut, zweimal ist natürlich eine andere Hausnummer als acht oder neunmal, aber vom Grundgedanken her sehe ich das so, dass man tiefherzigste Lieblingsbands eigentlich jeden Tag sehen könnte. Und dass Sleater-Kinney in diese Kategorie gehören, ist unbestritten. Somit scheint zwischen tiefherzigster und herzigster Lieblingsband ein bedeutsamer Schritt zu liegen.
Sleater-Kinney werde ich wohl in Zukunft nicht mehr allzu oft sehen und ich habe sie in der Vergangenheit noch nicht so oft erleben dürfen. Damit sind zwei längere Konzertausflugsfahrten mehr als gerechtfertigt.

Die Amerikanerinnen begleiten mich schon etliche Jahre, nahezu mein halbes Leben. Ich entdeckte sie mit ihrem zweiten Album Call the doctor und dem Hit „I wanna be your Joey Ramone“.
Genauso wie ein paar Tage zuvor in Berlin spielen sie es auch in Antwerpen, und genauso wie Tage zuvor in Berlin verändern sie auch beim einzigen Belgienkonzert der Tour die Liedzeile „I wanna be your Joey Ramone“ in „I wanna be your Kim Gordon“. Diese kleine feine Geste sagt sehr viel über Sleater-Kinney und zeigt, dass sie eigentlich nie weg waren, dass sie genau wissen, wer wie wichtig ist. Das ebenso im Song vorkommende „I wanna be your Thurston Moore“ lassen sie dagegen hinten runterfallen. Ich denke, es ist richtig, sich auf die Seite von Kim Gordon zu stellen.

Antwerpen ist das letzte von drei Reunionkonzerten in Mitteleuropa. Im Mai kommen sie nochmal kurz fürs Primavera zurück, ich hoffe, ich sehe sie dort erneut. Denn Antwerpen war natürlich genauso schön und wunderbar wie Berlin und ich bin noch nicht müde, die drei Damen nochmal zu sehen. Vielleicht war es sogar noch schöner, weil die Rahmenbedingungen besser waren.

Im Vorfeld unterhielten wir uns relativ ausführlich über das unterschiedliche Publikumsverhalten in verschiedenen Städten. Konzerte in Berlin sind tendenziell eher anstrengend, weil – so unsere subjektive Einschätzung – ein größerer Anteil von Laufkundschaft (= eher gleichgültig aufmerksam) – bedingt durch eine größere Menge an Gästelistenplatzvergaben und -gewinnen – den Veranstaltungen beiwohnt.
Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass z. B. in Städten wie Antwerpen die Fandichte (= eher aufmerksamer Zuhörer) im Publikum höher ist und ein Konzert so mutmaßlich weniger durch Nebengeräusche gestört wird.
Meine Denkweise klingt einfach gestrickt, sicher ist sie das auch. Was ich festhalten möchte ist, dass die Nebengeräusche in Antwerpen viel geringer waren als in Berlin. Und das war das, was dieses zweiter Sleater-Kinney Konzert für mich auszeichnete.

Das TRIX ist eines dieser Musikzentren, oder Muziekcentrum, die es in Belgien und in den Niederlanden in jeder mittelgroßen Stadt gibt und in Deutschland überhaupt nicht. Ein Gebäude mit ein, zwei Konzertsälen, für Konzerte konzipiert und gebaut. Konzerte in diesen Hallen, egal ob in Heerlen, Hasselt, Eindhoven, Tilburg oder eben Antwerpen machen einfach Spaß und lassen die manchmal längere Anreise schnell vergessen.
Das Programm war identisch zu dem in Berlin: Auch im TRIX standen nur Frauen auf der Bühne. Fünf bei der Vorgruppe PINS, die mir beim zweiten Mal noch besser gefielen, und vier bei Sleater-Kinney.

PINS. Bereits in Berlin merkte ich bei Songs wie „Lost lost lost“ oder „Oh Lord“ aufmerksam auf. Letzteres war das Kernstück des Kurzauftrittes, mit tollen Gitarren- und Basspassagen. Ja, die englische Band machte erneut einen guten Job und pendelt mit ihren Songs zwischen den Sex Pistols und Savages im schönsten britischen (Post)Punk. Alle Songs sind sehr gitarrenlastig und teilweise enorm hitverdächtig. Das kurze Abdriften in Cyndi Lauper Sphären beim Refrain des letzten Songs „Girls like us“ passte gut ins Bild und wirkte überhaupt nicht albern.
PINS haben ohne Zweifel Talent. Sie werden für die nächsten Tage meine Lieblingsband.
Leicht obskur empfand ich nur eines: Sängerin Faith fotografieren mit ihrem Mobiltelefon die ersten Reihen, während sie nebenbei ins Mikrofon den Refrain zu „Waiting fort he end“ sang. Ha, schöne moderne Welt.

Scheinbar sind von der 1990er Rockbands nur Citizen Dick in Belgien groß (Beweislink).

„Aber in Belgien sind wir groß.“

Sleater-Kinney können das von sich nur bedingt behaupten. Das TRIX ist ein relativ kleiner Saal und nach meinem Empfinden nicht ausverkauft. Was aber nicht stört, weder mich noch die Band. Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss liefern unverändert großartiges ab. Im Vergleich zu Berlin haben sie ihre Setlist leicht verändert, spielen aber dennoch alles Wichtige und leider wieder nicht „All hands on the bad one“. Dafür klingt „One more hour“ als letzter Song noch schöner als zuvor und „Oh!“ als dritter Song im Konzert und erster alter Gassenhauer noch enthusiastischer.
Der Rest war genauso überragend wie in Berlin. Sleater-Kinney haben alles richtig gemacht.

Kontextkonzerte:
Sleater-Kinney – Berlin, 18.03.2015 / Huxley’s neue Welt
Wild Flag – Köln, 05.02.2012 / Gebäude 9

Fotos:

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