Ort: Gewölbe, Köln
Vorband: Stefan Schneider
Für Konzertpendler wie mich sind das die besten Konzertorte: raus aus dem Zug und rein in den Club. Möglichst ohne einen längeren Weg zwischen Wagon- und Clubtür. Daher gehe ich gerne in den Stadtgarten oder in das Luxor, auch der Club Bahnhof Ehrenfeld (in Verbindung mit einer kleinen U-Bahnfahrt) liegt gut, das Gebäude 9 immerhin noch in okayer Laufdistanz. Den Vogel hinsichtlich des Standortvorteils schießt jedoch das Gewölbe ab. Es liegt direkt unter den Bahngleisen des Bahnhofs Köln-West, der wiederum an meiner Bahnlinie liegt. Besser und näher geht es nicht. Das kann man wörtlich nehmen. So lande ich nach 35 Minuten Bahnfahrt bequem vor der Eingangstür des Gewölbes. Auf dem Ticket steht zwar 20 Uhr Beginn, aber aus der samstäglichen Gewölbe-live Erfahrung weiß ich, 20 Uhr meint 21 Uhr. Ich gehe hinein und schaue mich um. Es gibt ein paar Räume links und rechts des l-förmigen Flures, an dessen Ende der Saal liegt. Besucht ist der Saal zu diesem Zeitpunkt mehr als mau, als dritter betrete ich die Szenerie. Aber gut, es sind ja noch 20 Minuten bis Konzertbeginn.

Zu diesem Konzert kam ich durch einen wochenendlichen Zufall. Als ich mir auf der Ticketseite des Gewölbes eine Karte für Xiu Xiu gekauft habe, las ich auch von einem Konzert der Herren Sam Prekop und John McEntire. Bei dem Namen Prekop klingelte es noch, Mr. McEntire war mir da direkter ein Begriff. Tortoise. Letztes Jahr zweimal gesehen. Vielleicht war mir auch daher der Name schneller im Gedächtnis. Ich stutzte, klickte und sekündlich hellte sich meine Miene auf. Ja klar, Sam Prekop, der Sänger von The sea and cake. Und er gibt zusammen ein Konzert mit John McEntire?! Wow, dachte ich, Ostern und Weihnachten an einem Tag!
Irritiert und überrascht ob dieser Konstellation machte ich mich auf die Suche nach weiteren Informationen. Ich fand: nichts. Ein Album der beiden wurde nirgends beschrieben, einzig ein paar Videos von gemeinsamen Duoauftritten älteren Datums ließen sich ergooglen. Es wurde spannend, ich wurde neugieriger. Ich suchte weiter und las, dass Sam Prekop in den letzten Jahren elektronische Alben gemacht hat. The republic und Old punch card heißen sie. Das wusste ich nicht. Ein Link zum Deutschlandfunk Kultur war überschrieben mit

„Es ist schön, nicht mehr zu singen“.

Oh ha! Schade, ich mag seine sanfte Stimme.
Meine Verwirrung wurde damit jedoch nicht geringer. Mittlerweile war ich mir sicher, dass das Konzert kein ‘The sea and cake Songs akustisch‘ Event werden würde. Elektrokram statt Gitarrenpop. Das ist nicht schlimm, auch wenn ich die ollen Hits von Nassau gerne akustisch gehört hätte. Bestätigung bekam ich via E-Mail aus München, das auch auf dieser Tour bespielt wird. Zufällig stand dieses Konzert auf dem Zettel eines alten Studienkollegen:

Ja, ich gehe nächste Woche auch zu McEntire und Prekop. Da wirst Du keine Gitarre hören. Das wird eine Elektronik/Synthesizer-Show. Hat mir jedenfalls der Organisator des Münchner Events erzählt.

Immer noch dachte ich ‘wow!‘ und meine Spannung und Vorfreude wuchst weiter. Der Chicagoer Postrock wird ambient-experimentell. Na, wenn das nicht spannend ist, was dann.
Auf der Bühne empfängt mich Kabelsalat. Es ist ein Tisch aufgebaut, auf dem zwei elektronische Kisten übereinander stehen, die das Format von Midi-Computergehäusen haben. Aus diesen Kästen ragen Unmengen von Kabeln unterschiedliche Dicke und Farbe. Am Gehäuse selbst blinken in unregelmäßigen Abständen grüne, rote und gelbe Leuchtdioden. Die Apparatur sieht aus wie ein riesengroßer Zünder, wie man sie aus 1980er Jahre Filmen kennt. Eigentlich erwarte ich gleich den Entschärfungsspezialisten, der mit schwitzigen Fingern das richtige Kabel zum Durchtrennen und damit zum Entschärfen der Zündeinrichtung sucht und eine Sekunde vor Ablauf des Countdown auch findet. Neben diesem Modulator (ich habe keine Ahnung, wie man die Kiste nennt, in Physik bin ich eine Niete – aber Modulator klingt super!) steht auf einem Keyboardgestell weitere Elektronik, aus der weitere Kabel spieksen. Hier wird gleich Stefan Schneider 45 Minuten lang wunderbare sphärische Klänge herzaubern, dass nicht nur Klaus Fiehe das Herz aufgehen würde. Es ist ein schönes, unaufgeregtes Set, dass der To Rococo Rot und Kreidler Mann darbietet. Ein sanftes hineingleiten in den Abend. In meinem Kopf tanzt es, ein Sofa wäre jetzt nicht schlecht.

Anschließend betreten Sam Prekop und John McEntire die Bühne. Während John McEntire das ganze Set über Airdrums spielt, setzt sich sein Kollege vor die beiden Kisten und steckt Kabel um, dreht an Reglern und überprüft die Leuchtdioden. Die Szenerie erinnert mich an einen Hinterhofladen für Computerreparaturen (auch weil Tisch und Stuhl ein bisschen schäbig sind). Repariert werden muß hier aber nichts. Der Kasten erzeugt aber Tonwellen unterschiedlicher Couleur. Die Airdrum gibt dazu den Taktgeber.
Ich schließe die Augen, so wirkt die Musik besser und ich lasse mich treiben. Obwohl Takt und Tempo nur wenig variieren, entsteht keine Langeweile. Die Minuten verstreichen, in denen ich an nichts denke und nichts sehen muss. Ich verpasse nichts und versinke immer mehr in die Geräuschkulisse. Nach einiger Zeit öffne ich die Augen wieder und sehe, wie Sam Prekop mit übereinandergeschlagenen Beinen auf seinem Klappstuhl sitzt und weiter Stecker in Buchsen steckt und Drehknöpfe bedient. Er könnte das jetzt auch so auf seiner Veranda machen, denke ich. Völlig entspannt, mit einem Plan aber ohne Anleitung rumtüfteln.

Irgendwann werden die Tonschwingungen spärlicher und die Airdrum verstummt. Alle Geräusche werden langsam ausgeblendet. Das Konzert ist zu Ende. Wow!

Kontextkonzert:

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