Ort: Parc del Forum, Barcelona
Bands: The Babies, Merchandise, Sean Nicholas Savage, The Sea and cake, Wu-Tang Clan, Meat Puppets, Liars, Deerhunter

Deerhunter

„We are Band of Horses – the reckoning.“ (Bradford Cox)
Es ist der letzte Tag des Festivals. Der Rücken ächzt, die Füße schmerzen, die Spuren der vergangenen drei Tage haben uns nicht verschont. Durch den veränderten Standort der ATP fehlt eine Sitztribüne, an der Ray-ban waren wir so gut wie nie (auch mit Steintribünen), das ewige hin und her des gestrigen Tages sowie permanentes Stehen auf dem Asphalt und ungewohnt gefederte Hotelbetten geben ihr übriges. Oh ja, es ist jammern auf hohem Niveau. Wer Musik sehen will, muss leiden. Punkt.
Oder eben auch nicht. Am Nachmittag machen wir einen Abstecher in den Parc de la Ciutadella, ganz in der Nähe des Picassoviertels. Das Primavera bietet neben dem eigentlichen Festival auch eine Menge an kostenloser Musikshows in der ganzen Stadt an. Am Samstag und Sonntag zum Beispiel werden die beiden kleinen Bühnen im Parc de la Ciutadella von 17 Bands dazu genutzt, ihre Musik unters Volk zu bringen. Und so sitzen wir dann auf weißen Plastikgartenstühlen, holen uns einen leichten Sonnenbrand bei angenehmen 21 Grad und sehen kurz The Babies und länger Sean Nicolas Savage und erneut Merchandise.

The Babies

The Babies sind das Nebenprojekt der Vivian Girls Sängerin Cassie Ramone. Der leicht twee-ige und sixties angehauchte Rockpop der Amerikaner passt hervorragend in das Gartenkonzertambiente. Wir schauen entspannt zu, genießen das Wetter und richten uns später an der Nachbarbühne häuslich ein.
Sean Nicolas Savage schlurfte noch kurz zuvor mit seinem Gitarrenkoffer durch den Park, nun liegt er auf der Bühne und wartet darauf, dass nebenan der Lärm etwas nachlässt. The Babies sind noch nicht ganz durch, der Zeitplan hinkt, aber der Kanadier gibt sich entspannt. Warum auch nicht, „it’s a wonderful place“ und ein „sunny afternoon“. Recht hat er, also es gibt überhaupt keinen Grund, hektisch zu werden. Sein Solokonzert passt noch einen Tacken besser in dieses Umfeld. Ruhig und gelassen begleitet Savage sich auf der elektrischen Gitarre und singt von Herzschmerz und anderen weltlichen Wehwehchen. Da stört es überhaupt nicht, dass keiner der Umstehenden so genau weiß, wie lange das Konzert den gehen darf. Zweimal erkundigt sich Savage bei den Technikern, wie lange er noch spielen darf, zweimal erntet er ein Achselzucken als Antwort.

Sean Nicholas Savage

Und so spielt er einfach weiter, hängt einen Song an den nächsten und versprüht diese wohlige und entspannte Samstagsnachmittagsatmosphäre, die man erst nach einer zu kurzen Nacht so richtig schätzen kann. „You changed me“ bleibt mir im Kopf hängen, warum, ich habe keine Ahnung. Aber mir gefällt sein zeitgemäßer adult-Pop sehr, und so wird seine knappe Stunde eines der Konzerthöhepunkte des diesjährigen Primavera.
So perfekt Sean Nicolas Savage in den Parc de la Ciutadella passt, so fremd wirken Merchandise zwischen all den müden Konzertgängern und den Gewächshäusern. Ihr, ‘tschuldigung, vergleichsweise brutaler Lärm reißt die entspannte Ruhe förmlich entzwei. Merchandise verstehen sich jedoch gut in dem, was sie tun. Ihre Rockopern passen dann irgendwie doch hierhin, wie ich nach einigen Minuten feststellen muss. Der Platz vor der Bühne wird im Laufe des Sets dann auch zunehmend voller. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der die Band aus Florida an diesem Wochenende für sich entdeckt hat. Ach, was soll ich sagen, „Anxiety’s Door“ oder „Total nite“ sind einfach tolle Songs. Die funktionieren auch in Gartenstühlen sitzend.

Merchandise

Gut vier Stunden später stand ich wieder auf dem Festivalgelände. Allerdings eine Stunde zu spät. Wollte ich nicht Mount Eerie und / oder Adam Green zugesehen haben? Als wir uns gegen sechs im Hotelfoyer trafen wurde mir dieses schlagartig klar. Leider etwas spät. Aber gut, der Abend hatte noch genug Bands und Baustellen. Immer noch war ich unentschlossen. The Sea and cake oder doch Apparat im Auditori. Ich konnte mich nicht zu einer Entscheidung durchringen, da aber niemand meiner Konzertbegleiter mit ins Auditori wollte und ich alleine keine Lust hatte, blieb die ATP Bühne und The Sea and cake. Im Nachhinein möchte ich sagen, eine gute und die richtige Wahl. The Sea and cake sind mehr Institution als Band. Seit vielen Jahren macht die Band um Sam Prekop unaufgeregten Postrock. manchmal hört man auch kleine Jazz Anleihen heraus, so wie in „Earth star“, einem ihrer älteren Stücke. Dieses rein instrumentale Stück spielten sie auf der Festivalbühne jedoch nicht. Auf der ATP Bühne war der Fokus mehr auf den aktuelleren Platten Runner und Car Alarm. The Sea and cake haben vielleicht keine Überhits, aber ihre Songs sind allesamt Hits. Und so wurde es eine unterhaltsame und kurzweilige Stunde. Eine sehr solide und immer wieder gern anzuschauende Band, diese Sea and cake.

The sea and cake

Anschließend war mein Dilemma groß. Finale oder Wu-Tang Clan? Da die Band of Horses ihren Auftritt kurzzeitig abgesagt hatte, viel die dritte der möglichen Optionen Gott sei Dank ins Wasser. Nach einer nicht allzu langen Überlegung entschloss ich mich dazu, dem Fußball Vorrang zu geben. Doch wo gucken? Wenn nötig, musste ich eben ins Hotel zurück. Zufällig erfuhren wir jedoch davon, dass in einem der angrenzenden Hotels in der Lobby eine Leinwand installiert worden war, und man dort viel bequemer und mit weniger Zeitverlust das CL-Finale sehen konnte. Also vom Festivalgelände auschecken und in das zero-Hotels direkt auf der anderen Straßenseite. Wir waren nicht die einzigen drei Bayern Fans, mehr Dortmunder und ein paar objektive Gucker saßen bereits auf den Lederbänken der Lobby. Das Festival hatte für 90 Minuten Pause, und ein bisschen Wu-Tang Clan war nach dem Abpfiff auch noch drin. Es schien also nahezu alles perfekt. 94 Minuten später war es das nicht mehr ganz. Der Bayern-„Fan“ (darf man eigentlich von Fan sprechen, wenn jemand 10 Minuten vor der Halbzeit zur Zigarettenpause vor die Tür geht und erst lange nach der Halbzeitpause wieder zurückkehrt?) vor mir nervte die gesamten 90 Minuten und auch das Endergebnis des Spiels trug nicht zur guten Laune bei. Die Luft war danach irgendwie raus.
Trotzdem schaffte ich es, den Wu-Tang Clan unterhaltsam zu finden. Die New Yorker boten das, was ich von einer guten HipHop Konzert erwarte: die Hände zum Himmel und dann auf und nieder. Ich bin nicht sehr firm im Wu-tang’schen Backkatalog, aber „Gravel Pit“ kenne selbst ich. Und da es dieses Jahr gilt, 20 Jahre „36 Chambers“ zu feiern (gerne auch in der Spiegel Vinyl Classics Edition), fehlten auch „C.R.E.A.M.“ und andere Tracks des Albums nicht. Das der Wu-Tang Clan zu einem der wichtigsten HipHop Kollektiven gehört, ist unstrittig und so klar wie Kloßbrühe. Dass es sich bei den Künstlern jedoch nicht nur um nette Jungs handelt, konnte man vor einem guten Jahr überall nachlesen (ich tat das erst heute Mittag). Das FBI veröffentlichte seine Wu-Tang und Ol’Dirty Bastard Akten, in denen einen Vielzahl von Delikten rund um den Wu-Tang Clan dokumentiert sind.

Meat Puppets

Nun gut, nach dem kleinen HipHop Ausflug an die zweitgrößte Primavera Bühne war wieder 90er Jahre angesagt. Die Meat Puppets standen auf meinem Tagesprogramm. Die Meat Puppets könnte man von der 1993er Nirvana unplugged Session kennen. Sie war eine der Lieblingsbands von Kurt Cobain und so kam es, dass die Kirkwood Brüder Nirvana bei ihrem Akustikauftritt unterstützten und sie zusammen mit „Plateau“, „Oh, me“ und „Lake of fire“ drei Meat Puppets Songs spielten. Ihr in den USA weltbekanntes Album „Too high to die“ aus dem Jahr 1994 ist ihr erfolgreichstes, es errang Goldstatus und machte die ehemalige SST- Band und ihren sogenannten Cow-Punk (was es nicht alles an Musikgenres gab!) kurzzeitig sehr bekannt.
„Plateau“ und „Lake of fire“ spielten sie auch beim Primavera Konzert, das ansonsten ein komisches war. Es war extrem leer vor der ATP Bühne, scheinbar war die zeitgleich angesetzte Konkurrenz mit Nick Cave und Camera Obscura zu stark, oder aber die Meat Puppets zu unbekannt und zu unterschätzt. So wurde es um Mitternacht eine kühle Angelegenheit; der Wind wehte kräftig um die Bühne und es fehlten wärmende Menschen um mich herum. Ja, es gab viel Platz, die Komfortzone war groß wie nie bei dem diesjährigen Primavera. Die Meat Puppets spielten ein zweigeteiltes Set. Es gab Blöcke von neueren Songs, die eher nach Country und Squaredance klangen, und es gab die rockigeren-punk-grunge Songblöcke. So bildete sich eine krude Mischung aus zwei völlig getrennten Konzerterlebnissen, die so überhaupt nicht zusammenwachsen wollten.
Um eins war die Luft dann endgültig raus. Zwar schauten wir noch kurz bei den Babies, aber viel hängen blieb nicht mehr. Und so blieb denn auch eher das Thekengespräch mit einer finnischen Konzertgängerin in Erinnerung als das anschließende Liars Konzert auf der Pitchfork Bühne.
Es war an der Zeit, das diesjährige Primavera Festival zu beenden. Ruhigen Gewissens konnte ich Crystal Castles und My bloody Valentine sausen lassen. Letztere hatte ich bereits zweimal gesehen und werde dieses Jahr voraussichtlich noch zweimal sehen, so dass ich mir die Festivalshow der Briten, von der ich eh nie glaubte, dass sie so gut funktioniert wie ein Klubkonzert, aus dem Hotelzimmer anhörte.

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