Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Lush, Dinosaur Jr., Tortoise

Dinosaur Jr.

Der Radiohead Tag. Also der Tag, an dem ich Radiohead nicht sehen werde. Früh stand für mich diese Entscheidung fest, statt Radiohead lieber Dinosaur Jr. und Tortoise anzuschauen. Es war so ein Bauchgefühl (und meine Vorliebe für Dinosaur Jr. Liveauftritte), das mich zu dieser Entscheidung kommen ließ. Und nein, bBeirren lasse ich mich nicht mehr. Radiohead, da war ich überzeugt, können nicht das auffahren, was ich vor einigen Jahren von ihnen in Köln gesehen hatte. Also, das Thema war erledigt. Punkt.

Es gibt wohl kaum eine andere Band, die seit gut 30 Jahren immer den gleichen Kram an Musik produziert und damit immer noch erfolgreich ist. Ich habe keine Ahnung wie J. Mascis und Lou Barlow das hinkriegen, aber sie machen das so. Mittlerweile gibt es von Dinosaur Jr. 10 Studioalben, eine musikalische Revolution blieb jedoch aus. Gut so! Immer noch ist es Gitarre mit Effektgeräten gekoppelt, Bass und Schlagzeug (Murph). Und ich denke, auch mit dem 11. Album Give a glimpse of what yer not, das im Herbst veröffentlicht werden soll, wird sich das nicht ändern.
Live haben sie immer noch diese knapp 2 Meter hohen Boxentürme hinter J. Mascis und ganz viel Lautstärke. Auch da alles beim alten.

Auf der Ray Ban Bühne spielen Dinosaur Jr. ein gutes Festivalset, Neues und Altes in guter Zusammenstellung. Überragt wurde das ganze Set durch das Songdoppel „Freak Scene“ und „Just like heaven“. Für mich sind das die zwei besten Gitarrensongs, die je geschrieben wurden. (Beziehungsweise fantastisch gecovert). Sie hier in direkter Abfolge live zu hören, ließen mir das Herz aufgehen. Hier fühlte ich mich musikalisch daheim, hier war ich in diesen 5 Minuten sehr, sehr glücklich. Dinosaur Jr. sind mir sehr wichtig, dieser Auftritt bestätigte das mal wieder ohne Maßen.

TortoiseIch muss über Tortoise reden. Ihr Konzert zu später Stunde auf der Primavera Bühne hat mich aus den Socken gehauen. In der Stärke, Wucht und Präzision hatte ich ihren Auftritt nicht erwartet. Ich dachte vielmehr an einen gemütlichen Abend, abseits der großen Bühnen bei sanften Gitarrenwänden und vertrackten, ewig langen Songs. Dass Tortoise aber in der Zwischenzeit – ich will es mal so nennen – beswingten Instrumentalpop können, dass wusste ich nicht. Warum ich das nicht wusste, ist schnell erläutert. Seit Ende der 1990er Jahre habe ich die Band nicht mehr auf dem Plan.

In den 1990er Jahren entdeckte ich Tortoise im Radio, Klaus Fiehe, seinerzeit noch beim WDR 1, spielte eines Abends in seiner unnachahmlichen Art zwei komische Bands hintereinander. Komisch deswegen, weil die Tracks von Trans AM und Tortoise für mich so neu, so anders klangen, dass ich unwillkürlich neugierig wurde. Instrumentalmusik mit Gitarren, eine Sache, die ich bis dahin noch nicht gehört hatte. Postrock, der später durch Mogwai bekannter wurde. Hätte ich damals schon Slint gekannt, wäre alles vielleicht anders gekommen. Aber Slint lernte ich erst viel später kennen. So wurden Trans AM’s The Surveillance und das Debütalbum Tortoise meine ersten beiden Instrumentalalben. Irgendwo zwischen Postrock, Jazz und elektronischen Elementen. Heute würde ich sagen: himmlisch schön. Damals empfand ich den Sound allerdings auf Plattenlänge anstrengend und langweilig. In den nächsten Jahren verlor ich so das Interesse an Postrock, und Tortoise verschwanden aus meinem Dunstkreis. Postrock tauchte irgendwann später mit Mogwai wieder auf, die Chicagoer Band blieb im hinteren CD Fach. Eigentlich bis heute, oder besser gesagt bis vor dem Primavera.

Die Rezensionen zu ihrer aktuellen Platte The Catastrophist las ich aufmerksam, zum reinhören reichte es jedoch nicht. Ich höre derzeit nicht so viel Musik, und wenn, dann konzentriere ich mich auf vorhandene, ältere Platten. Aber auf dem Primavera wollte ich sie mir anschauen, diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.

Und so stand ich vor der Primavera Bühne. John Herndon und John McEntire spielten Schlagzeug, doch der gesamte Tortoise Sound klang eher nicht postrockig. Wie er klang, vermag ich gar nicht zu sagen, es war gefühlt eine Mischung aus easy listening, Jazz und Postrock. Wobei der Postrock in meiner Wahrnehmung nur einen ganz kleinen Teil einnahm. „Swung From The Gutters“ gegen Ende war lärmig und so, wie ich mir Tortoise vorstellte. Alles andere war irgendwie anders. Und so stand ich fasziniert und mit großen Augen vor der Bühne, lauschte und grinste ob dieser wunderbaren Band. Genüsslich sog ich die einzelnen Songs auf und freute mich, nicht zu Radiohead gegangen zu sein.

Ein paar Stunden zuvor:
Der Tag begann wieder mit Anstehen. Anstehen am Haupteingang des Festivalgelände, anstehen am Ticketbüdchen für den Eintritt zur Hidden Stage. Was gestern Lee Ranaldo, sollten heute Lush übernehmen. Ein Konzert im kleinstmöglichen Rahmen.
LushLush, diese 1990er Jahre Shoegaze-Pop-Band wollte ich mir dann doch anschauen. Lush sind die Reunion des Jahres 2016 Nach den Reunions von Ride, Sleater Kinney und Slowdive in den letzten beiden Jahren scheint das die am wenigsten attraktive. Spielten Reunionbands bisher auf einer der großen Bühnen, so spielen Lush auf der kleinsten. Man könnte sich das natürlich mit Exklusivität und einem Hauch von besonderem schönreden, besser wird es aber dadurch nicht. 1990 sah ich Lush zum letzten Mal, damals hieß unser Fazit: Lush waren lasch. Ride, die am Tag zuvor zur nahezu gleichen Uhrzeit auf dem Giessener Bizarre auftraten, waren damals schon um Längen spannender. Geändert hat sich das in den letzten 26 Jahren nichts. Ride brillierten letzten Jahr auf dem Primavera, die Briten um Sängerin Miki Berenyi reißt mich auf der Hiden Stage nicht gnadenlos vom Hocker. Ganz nett war ihr Auftritt, „Ladykiller“ der Song, der nachhaltig in meinem Gedächtnis bleibt. Viel mehr war leider nicht. Sicher bin ich zu wenig Fan, um mich ausgiebig über diese Reunion freuen zu können. Dass sich andere aber sehr über diese Reunion freuen, weiß ich. Sehen konnte ich das auch: am Primavera Haupteingang war bereits viel los, als ich um halb vier dort eintraf. Aus den mitgehörten Gesprächen in der Warteschlange entnahm ich, Lush spielen hier bei allen die Hauptrolle. So war es nicht verwunderlich, dass nach Öffnung der Tore ein kleines Gerenne zur Ticketbude einsetzte, um eines der Zettelchen für den Hidden Stage Zugang zu erhaschen. Trödeln war nicht angesagt, denn nach sehr kurzer Zeit entstand eine sehr, sehr lange Wartereihe vor der Ticketbude. Lush scheinen immer noch ein treues Publikum zu haben. Es gibt genug Leute, die die Band gerne noch einmal wiedersehen möchten.
Mir ist ihre Mischung aus Shoegaze und Pop 2016 einfach nicht mehr spannend genug. Trotzdem war es mir irgendwie wichtig, sie noch einmal  zu sehen. Und das habe ich.

Kontextkonzert:
Primavera Sound Festival – Barcelona, 01.06.2016
Primavera Sound Festival – Barcelona, 02.06.2016

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