Ort: Parc del Fòrum, Barcelona
Bands: Beach Slang, Autumn Comets, Nothing places, Lee Ranaldo & El Rayo, Car Seat Headrest, Destroyer, Suuns, Protomartyr, LCD Soundsystem

SuunsEs ist doch jedes Jahr das gleiche. Hinfliegen, Bands angucken, zurückfliegen. Seit 6 Jahren läuft das jetzt so, immer Ende Mai. Das siebte Primavera Sound scheint mein schwächstes zu sein, im Vorfeld klimpern nicht die Namen in den Ankündigungen, die mir schlaflose Nächste und eine unendlich große Vorfreude bescheren. Nein, dieses Jahr ist meine Vorfreude endlich, das Lineup nur sehr gut und nicht spektakulär. Aber das Primavera hat mich bisher nie enttäuscht, kleine Perlen gab es immer zu entdecken. Und so war es natürlich auch in diesem Jahr. Gut, es fehlte sowas wie das Nonplusultra, die Bands, die für mich alles andere in den Schatten stellen. Die Headliner faszinierten und elektrisierten mich nicht so sehr wie es in den vergangenen Ausgaben Ride oder Pavement getan hatten. Radiohead, LCD Soundsystem, PJ Harvey. Alle okay, aber eben nicht wow.

Doch gleich der erste offizielle Festivaltag brachte ein paar sehr gute Überraschungen und musikalische Intensitäten, die es einfach nur auf diesem Festival geben kann. Lee Ranaldo mit seiner neuen Band zum Beispiel oder Car Seat Headrest. Oder Suuns. Oder Suuns! Ein Festival sind nie nur die großen Auftritte spätabends, es sind auch immer die kleinen oder vermeintlich kleinen Konzerte, das Drumherum und die Besonderheiten. Und hier ist das Primavera nun einmal unschlagbar. Im Drumherum einsame Spitze und in den Besonderheiten außergewöhnlich. Wo bitte sieht man sonst Brian Wilson oder John Carpenter? Und deswegen fahre ich immer wieder hier hin, deswegen liebe ich dieses Festival so sehr.

An diesem Donnerstag war ich früh am Gelände. Zu einer Zeit, als es noch gar nicht geöffnet hatte. Der Grund ist schnell erläutert: es galt, Tickets für die sogenannte Hidden Stage zu bekommen. Die Hidden Stage ist eine Bühne unterhalb des Festivalgeländes, im Parkhaus des Parc del Fòrum. Der Einlass zu den dort stattfindenden Konzerten ist limitiert, Tickets werden am jeweiligen Tag ab 16 Uhr an einem Stand solange ausgegeben, bis das Kontingent erschöpft ist. Vielleicht 300 Besucher fasst die Hidden Stage, genau weiß ich das nicht, würde aber das Fassungsvermögen in etwa so schätzen. Bei möglichen 60000 Interessenten bedeutet dies – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste – lieber zeitig als zu spät am Ticketstand zu sein. Und da ich Lee Ranaldo & El Rayo unbedingt sehen wollte, mußte ich die Zeitpille schlucken, um pünktlich am Einlass zu sein.
Ich war nicht der erste, als ich um kurz vor 16 Uhr am Einlass ankam. Vorfreude allenthalben. Obwohl die Schlangen sowohl am Einlass als auch vor der Ticketbude sehr lang waren, ergatterte ich den begehrten Eintrittsschein für die Hidden Stage. Lee Ranaldo & El RayoDas Konzert war für 17 Uhr angesetzt. Es blieb also noch etwas Zeit, die vertan werden musste. Die großen Bühnen wurden noch nicht bespielt, daher blieb mir wenig Alternativmöglichkeit zur Firestone Bühne. Die Firestone Bühne war keine Bühne im eigentlichen Sinn, es war vielmehr ein Truck mit Tiefaufleger, auf dem Bands spielten. Um kurz nach vier Uhr starteten hier Beach Slang, die, da sie irgendwie nach Blink 182 et alt. Klangen, mich näher an die Firestone Bühne lockten.
Im vorbereiteten Festivalplan für diesen Abend standen sie nicht. Aber solche Pläne sind ja bekanntlich lebende Dokumente, und nicht starr bearbeitbar. Also Beach Slang.Beach SlangMittlerweile begannen auf der Ray Ban Bühne Autumn Comets. Angezogen von lauten und wirr klingenden Gitarren ließ ich mich zur RAy Ban Bühne treiben. Dass es sich bei Autumn Comets um eine spanische Band handelt, bemerkte ich erst nach zwei, drei Liedern, als sie begannen, ein paar Stücke in Spanisch zu singen. Ihr Shoegaze ist so schlecht nicht. Die vielen Gitarren gefallen mir, noch mehr gefällt mir aber die an Robert Smith erinnernde Gesangsstimme von Julian Palomo. Ein guter Start in das Festivalprogramm.Autumn cometsNach Lee Ranaldo & El Rayo war ich zum ersten Mal bei diesem Primavera geflasht. Es sei ihr erstes Konzert überhaupt, eine Weltpremiere, bemerkte Lee Ranaldo. Und das merkte ich der Band an. Die beiden jungen – also im Vergleich zu Lee Ranaldo – Begleitmusiker wirkten sichtlich nervös. Der Keyboarder verpasste ein paar Einsätze, einmal musste der Altmeister die Knöpfe selbst justieren, damit es mit den Tönen klappte. Aber all das ist nicht wirklich wichtig. Wenn Lee Ranaldo zum Gesang ansetzt, ist die Welt wieder in Ordnung. Diese tolle, sanfte und mehr erzählende als singende Stimme sorgt direkt für Wohlbefinden und gute Laune. Im Verlauf des Konzertes klappt das Zusammenspiel besser. Die Nervosität legt sich und die Band wird von der guten Stimmung vor der Hidden Stage getragen. ‘Play a Sonic Youth song‘, dieser dummer Zwischenruf wird zu Recht von Lee Ranaldo ignoriert und vom umstehenden Publikum mit ‘ahh, no‘ kommentiert. Kennerpublikum scheint anwesend! Und ich konstatiere: Es ist alles großartig, was Lee Ranaldo musikalisch auf den Weg bringt.

Car Seat HeadrestMeinen zweiten Flash erhielt ich direkt im Anschluss auf der Pitchfork Bühne. Car Seat Headrest wurden mir vor Festivalbeginn von verschiedener Seite sehr ans Herz gelegt, und so war ich sehr Gespannt auf ihren Auftritt.
Sie enttäuschten mich alten Pavement Fan nicht. Ihr Sänger und Bandgründer Will Toledo schafft es doch tatsächlich, noch gleichgültiger und gelangweilter zu klingen als Stephen Malkmus. Ein für mich unmöglich gehaltener Fakt. Ihr Lo-Fi Pop ist atemberaubend schön. Solche Musik mag ich sehr. Also alles gut und alles richtig bei Car Seat Headrest. Nach einer guten halben Stunde kündigen sie ‘a couple of songs more‘ an. Naturgegeben bedeutet das: noch zwei Lieder. Komisch, denke ich, sie haben doch noch eine knappe halbe Stunde Spielzeit. Nach 20 Minuten und einem furiosen Ende des zweiten Songs, denke ich das nicht mehr. Mit einem eingeflochtenem „Paranoid Android“ von Radiohead verabschieden sich Car Seat Headrest in den Abend. Vielleicht sollte ich morgen doch zu Radiohead gehen. „Paranoid Android“ weckte in mir überraschend doch ein bisschen Lust Thom Yorke und Co.

DestroyerDanach bekam ich zum ersten Mal Beinschwere und ich entschied mich, meinen ursprünglichen Plan anzupassen. Ich ließ das Alternative R’n’B Soloprojekt Empress of der Amerikanerin Lorely Rodriguez Empress of sein und entschied, mich zur Ray Ban Bühne zu begeben und Destroyer anzusehen. An der Ray Ban Bühne sind bekanntlich Steinstufen, und ich hatte die Möglichkeit, eine knapp einstündige Pause einzulegen und die Kanadier von den Sitzreihen aus zu verfolgen. Da ich Dan Bejar und Band im letzten Jahr zweimal gesehen hatte, reichte mir das. Ein paar alte Songs spielten sie, „European Oils“ zum Beispiel und das wunderbare „Kaputt“. Die Band macht derzeit mit ihrer Mischung aus Jazz, Pop und Indie alles richtig und nichts falsch. Destroyer waren gut und passten wunderbar zur einbrechenden Dunkelheit und zu meiner Müdigkeit.

„Wasting your days – Chasing some girls alright – Chasing cocaine – Through the backrooms of the world – All night“

Nach einer Stunde Stehpause ging es dann weiter zu Suuns. Pflichttermin. Der Bass wummert ordentlich an der Bühne vorne rechts. Gut so. Genauso wie Destroyer passen auch Suuns sehr gut in die Dämmerung des Parc del Fòrums. Wie eine Stunde zuvor gelingt es mir auch hier, wegzudämmern. Aber dieses Mal auf eine etwas andere Art und Weise: mit tanzen und im Stehen. Suuns machen haargenau die Indieelektro Musik, die ich besonders mag und schätze. Etwas dunkler und bodenständiger als LCD Soundsystem, die für mich ein paar Stunden später den Abend beschließen sollten, und dadurch ein bisschen stärker herausfordernder. Ihre Tracks sind voll von kleinen Spielereien und Vertracktheiten. Auf ihren monotonen Bass mit Gitarren muss man sich einlassen. Gelingt das, wird das Konzert ein spitzenmässiges Ding; gelingt einem das nicht, wird es eher todlangweilig. Bei mir gelingt es immer, Suuns haben mich bei ihren Liveauftritten noch nie enttäuscht. Vor der Primavera Bühne ist es nicht allzu voll, Air und Explosion in the sky locken die große Masse vor die beiden Hauptbühnen. Umso besser, es bleibt vor der Bühne entspannt.
ProtomartyrAuch nach dem Auftritt von Suuns zieht es mich noch nicht auf den großen Platz. Protomartyr halten mich davon ab, voreilig zu LCD Soundsystem zu spurten. Die Bühne wird noch ein bisschen kleiner, Protomartyr bespielen die Pitchfork Bühne, die Zuschauermenge nur bedingt geringer. Viele zieht es zu der Band aus Detroit, die just ihr drittes Album The agent intellect veröffentlicht hat.
LCD SoundsystemDadurch, dass ich erst 10 Minuten vor dem Beginn des LCD Soundsystem Auftritts den Weg zur großen Heineken Bühne finde, habe ich keine Chance, weit nach vorne zu kommen. Es ist mir aber auch irgendwie egal. Der Tag war lang, ich habe viel Musik gehört und bin zu diesem Zeitpunkt bereits ein bisschen überfordert. Und so stehe ich viele Meter von der Bühne entfernt und betrachte das Spektakel von weitem. „Daft Punk is playing at my house“ ist ein erster Hit, und ja, es ist vielleicht schade, LCD Soundsystem nicht aufmerksamer verfolgen zu können. Oft werde ich die Band in Zukunft wohl nicht sehen können, ihr Tourplan ist doch sehr konzentriert und Europaauftritte selten. Aber gut, bei Festivals gibt es eben nur zwei Möglichkeiten: entweder viele Bands zu verpassen, um die großen Namen auf den großen Bühnen aus nächster Nähe sehen zu können, oder viele Bands sehen, und dabei Gefahr laufen, vor den großen Bühnen weiter hinter stehen zu müssen.
Hier und an diesem Abend entschied ich mich für letzteres. Warum auch nicht?

Kontextkonzert:
Primavera Sound Festival – Barcelona, 01.06.2016

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