Ort: Lanxess Arena, Köln
Vorband:
2006 kam der Film Miami Vice in die Kinos. Ich sah ihn, wenn ich richtig erinnere, in einem der Multiplexkinos der Stadt. In einem Moment, in dem Crockett und Tubbs gerade mit ihrem Auto durch das nächtliche Miami fahren, schön gefilmt mit einer freien, mitfahrenden Kamera, taucht „In the air tonight“ erst leise, dann immer deutlicher als Soundtrack der Szenerie auf. In diesem Augenblick entdeckte ich die Schönheit, die dieser Song doch tatsächlich besitzt. Ich hätte es nicht geglaubt, und hätte man mich Jahre zuvor danach gefragt, ich hätte dies vehement abgestritten. Denn wie viele andere auch war ich eher genervt von Phil Collins und oder Genesis. Wie auch von den Dire Straits oder Chris de Burgh. „In the air tonight“ war mein Prototyp für die gesamte schlimme Radiomusik in meiner Jugend. Meine Generation hat sich nicht nur an diesem Song die Ohren taub gehört. Ich erinnere mich gut, wie die Songs des damaligen Genesis Comebackalbum Invisible touch überall auftauchten. Formel 1, Mel Sandocks Hitparade, Schlagerrallye. Überall und immer wieder „Land of confusion“, später dann auch „I can’t dance“ von der Nachfolgeplatte. Phil Collins / Genesis Songs waren sowas von in Dauerrotation, sowas von Allgegenwärtig, dass es keinen Spaß machte, sich ihnen in den 1990er Jahren auch nur auf hunderte Kilometer zu nähern.

Bereits auf der Zugfahrt zur Lanxess Arena treffe ich auf Phil Collins Konzertgänger. Es sind Ü45 Pärchen oder Pärchencliquen, die sich zusammengefunden haben, um diesen Abend zu feiern. Die Gesprächsthemen kreisen neben Job, Nachbarn und Familie auch um das bevorstehende Konzert. ‘Phil Collins würde ja im Sitzen das Konzert bestreiten und sein Sohn würde Schlagzeug spielen‘, höre ich sagen. Jaja, Fakten, die seit dem ersten Phil Collins Abend in Köln am Sonntag allgegenwärtig sind. Ein Blick in irgendeine Zeitung reichte, um das zu erfahren.
Vor der Halle war es gerammelt voll. Lange Einlassschlangen bildeten sich, man konnte eine Best-of CD mit allen, also wirklich allen Hits, käuflich erwerben. Der ein oder andere griff hier sicherlich im Überschwang des bevorstehenden Ereignisses zu. Ist ja auch ein schönes Erinnerungsstück, eine CD von einem Straßenhändler. Oder doch lieber ein paar Drumsticks, die drinnen am Merchstand vertickt wurden.

Als ich die Halle betrat, war ich im ersten Augenblick entsetzt. Ich hatte vor drei Tagen günstig ein Ticket für einen Sitzplatz im Unterrang seitlich der Bühne ersteigert. Da ich die Räumlichkeiten der Lanxess Arena nicht kenne, hielt ich es für ein gutes Angebot, kurz vor den als sichtbehindert ausgewiesenen Sitzplätzen. Jetzt aber entpuppte sich der Platz scheinbar auch als sichtbehindert, denn die seitlichen Bühnenvorhänge versperrten meinen Blick auf die Bühne. ‚So ein Mist‘, dachte ich. Einzig Collins Sitzschemel lugte am Vorhangrand ein Stück weit hervor. Die Musiker werde ich dann wohl nicht sehen, aber wenigstens ein bisschen von Phil Collins, wenn er denn, wie einst Eddie Vedder, wild auf seinem Hocker herumhoppelt und so immer weiter nach vorne rückt. Wird er aber nicht machen, der Gedanke war mehr ironischer Selbstschutz vor der nahenden, möglichen Konzerternüchterung. Wer für so einen Platz einen dreistelligen Eurobetrag bezahlt, wird sich sicherlich doppelt ärgern. Gut, dass ich das nicht gemacht habe. So meine letzten Gedanken, bevor ich mich mit der Sitzplatzsituation abgefunden hatte.
Nach ein paar Minuten einstimmender Visuals betraten die Musiker unter stehenden Ovationen die Bühne. Das Konzert begann. Und wie es begann! Gleich zu Beginn jagte Phil Collins mit „Against all odds“ und „Another day in paradise“ zwei Hits raus, die mich in der – zugegeben leicht abstrusen – Idee bestätigten, dass es eine gute Idee war, hierhin zu fahren. Ich fand es jetzt überragend und auch das Dilemma mit Sitzplatz erledigte sich zu „Another day in paradise“. Die Vorhänge fielen zu Boden und ich hatte vollen Blick auf die Bühne.

Ich hatte vorher oft und lange überlegt, wie ich mit der seichten 1980er Jahre Popwelle zurechtkommen werde, die mich definitiv an diesem Abend überspülen würde. Würde es nach anfänglicher Euphorie nicht langweilig? Würde es wirklich den Spaß bringen, den ich mir weißgemacht habe? Oder würde ich mich nach wenigen Minuten bereits über den Ticketkauf ärgern und mich fragen, was ich hier eigentlich mache?
Nun, der Konzertbeginn machte schon mal großen Spaß. Aber war das nur die erste Euphorie? Ich entschied mich jedenfalls, den Sitzplatz sein zu lassen, um das Konzert im Stehen zu verfolgen. Möglich war das, weil hinter mir der Oberrang begann und ich so niemandem, außer vielleicht dem hinter mir stehenden Saalpersonal, die Sicht nahm.

Im weiteren Verlauf wurde es dann leider (erstmal) seichter. Es fehlten die großen Hits, dafür kamen ein paar nette Popnümmerchen. Das Konzert hang durch. Weder „Wake up call“ vom vorletzten Album, das eher mit Respektsapplaus bedacht wurde, noch das Stephen Bishop Cover „Separate lives“ konnten recht überzeugen. Mit „I missed again“ und „Hang in long enough“ war das Konzert in der Belanglosigkeitsrubrik des Musikprogramms eines WDR Mittagsmagazins in den 1980er Jahren angekommen. Nein, alles war an diesem Abend nicht gut. Trotzdem standen irgendwann alle auf und tanzten und gaben auf offener Szene stehende Ovationen. Phil Collins nahm sie sitzend entgegen, sein Gehstock hängt locker über der Rückenlehne seines Drehstuhls. Kurz vor der Pause, 25 Minuten lang, alter Schwede!, stellt er seine 12köpfige Band vor. Das dauert eine gefühlte Ewigkeit, und wenig überraschend bekommt der 16jährige Nicholas Collins den dicksten Applaus. Sohnemann Bonus, denke ich. Mit „Only you know and i know“ verabschiedet sich der Abend in die Unterbrechung. ‘You can have a pee, we can have a pee‘. Herr Collins, das ist eine gute Idee.

Während es in der Arena still wird, laufen Spaßwerbungen über die Leinwände. Das ‘Sussido Hair Studio‘ wirbt mit Rabatten und ‘Collins beds and matresses‘ mit bequemen Schlafunterlagen. Die Halle leerte sich enorm schnell.
Nach der Pause riecht es nach Essen. Neben mir brachte ein Mann seiner Frau ein Stück Pizza, ein Glas Sekt und ein Wasser mit, auch eine Schale mit Pommes wird genüsslich verzehrt. Wenn schon Konzertbesuch, dann auch mit allem Zipp und Zapp. Zur Abendbrotzeit war man schließlich nicht zuhause, das muss jetzt nachgeholt werden.
Bevor das wunderbare und gute Finale eingeläutet wurde, sah ich den ultimativ möglichen Popschnulzenhöhepunkt. Collins Jr. verließ seinen Platz und setzte sich neben seinen Vater an das Klavier. Gemeinsam und ohne weitere musikalische Unterstützung spielten sie „You know what I mean“. Das war fürchterlich, aber es muss wohl so sein. Nach dem Song küsste der Junior dem Senior zum Abschluss auf den Kopf. Auch das muß in solch‘ einem Moment wohl so sein.
Mit langem Intro, das immer wieder diese Schlagzeugsequenz aus „In the air tonight“ wiederholt, begann dann der Hitteil des Konzertes. Ich stand immer noch, langweilig fand ich das bisher alles nicht. „In the air tonight“ (das Schlagzeug hallt und donnert gewaltig durch den Raum), „You can’t hurry love“ (da fiel mir wieder ein, dass Phil Collins ja auch als Schauspieler in den Endachtzigern omnipräsent war), „Easy lover“ (das man auch mühelos auf 10 Minuten zugrunde refrainen kann) und „Sussido“ (Luftschlangen fehlten tatsächlich an diesem Abend noch, hier kamen sie) bildeten das große Finale des Abends. Wow! Das war richtig gut.

Aber auch genug. Meine Idee, Phil Collins auch mal live sehen zu wollen, ist voll und ganz aufgegangen. Ich verließ die Arena mit einem guten Gefühl . Ja, der Abend hat Spaß gemacht, auch wenn er die schlimmen 1980er Radiopoperinnerungen damit natürlich nicht ausmerzt. Aber für gut zweimal 45 Minuten war dieser Backflash nicht nur aushaltbar, er war auch schön. Dass der Abend ein paar Längen hatte, geschenkt. Das kommt in den besten Konzerten vor.

Kontextkonzert:

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