Ort: Bürgerhaus Stollwerck, Köln
Vorband:

Nada Surf Konzert„Blizzard of 77“ ist der erste Song auf Let Go. Als ich das Album vor 25 Jahren euphorisch kaufte, war ich im ersten Augenblick enttäuscht. Nada Surf klangen hier so anders als auf ihrer zweiten Platte. The proximity effect hatte Wumms und war düster, „Mother’s day“ ist bis heute mein liebster Nada Surf Song, „Why are you so mean to me“ kommt knapp dahinter. Gegen The proximity effect (das aufgrund diverser Plattenfirmenstreitigkeiten nur in Europa veröffentlicht wurde) wirkte Let go auf mich wie weichgespült; zu viele Songs des Albums klangen mir zu poppig, nahezu balladesk. Das gefiel mir damals nicht so sehr, vor 15 Jahren war ich noch mehr Rocker als heute. So verkannte ich das Album lange Zeit und ich war mir nicht sicher, ob ich diese weniger College-Rock affinen Nada Surf so wirklich mochte. Nichtsdestotrotz kaufte ich die nachfolgenden Alben: The weight is a gift, Lucky, The stars are indifferent tonight. Skeptisch blieb ich aber weiterhin, Konzerte der Band besuchte ich konsequenterweise trotzdem.

Mein Nada Surf a-ha Erlebnis hatte ich dann nach dem letzten Konzert. Irgendetwas machte klick und die früher so vermeintlich weichgespülten Songs waren für mich ab da die feinsten Indiepopperlen, die ich mir vorstellen konnte. Ich lechzte plötzlich nach „Always love“ oder „Treading water“. Ich konnte nicht genug bekommen von „Inside of love“. Meine Sichtweise auf die Band hatte sich beinahe komplett geändert.
Der College Rock der ersten beiden Alben war gut, aber die nachfolgenden Alben auf einmal nicht mehr schlechter. „Treehouse“, „Popular“, „Firecracker“ waren nicht mehr das Maß aller Dinge, und auf Nada Surf Konzerten konnte ich mich trotz meines gesetzten Alters sogar mit der Teenie Hymne „Blankest years“ abfinden.

Oh, fuck it – I’m gonna have a party
Oh, fuck it – I’m gonna have a party

Der sing-a-long Refrain beendete seit Jahren standesgemäß jedes Nada Surf Konzert und es ist schon irgendwie albern, wenn Anfang 40jährige ihn mitsingen. Aber wie gesagt, der Peinlichkeitspegel bezüglich „Blankest years“ sank von Konzert zu Konzert.

„Blizzard of 77“ ist der erste Song des Abends. Um 21 Uhr betreten Matthew Caws, Daniel Lorca, Doug Gillard und Ira Elliot unter großem Applaus die Bühne. Eine Vorband braucht es nicht. Da Nada Surf an diesem Abend zwei Sets spielen werden, sind sie quasi ihre eigene Vorband. Set 1 – so die bekannte Ankündigung – sind die Songs von Let Go. Bei Set 2 wusste ich nicht hundertprozentig, was mich erwartet. Ich mutmaßte ein Best-of Programm, eine Handvoll Songs vielleicht plus längerer Zugabe. Setlisten vergangener Konzerte hatte ich mir vorher nicht angeschaut. Überraschen lassen war wie so oft meine Devise. Dass ich mit meiner Mutmaßung ziemlich falsch liegen sollte, wurde mir um zwanzig vor zwölf klar. Von wegen eine Handvoll Songs! 18 Stücke füllten das zweite Set.
Matthew Caws kommt mit der akustischen Gitarre und eröffnet also mit „Blizzard of 77“. Schon mal super! Aber natürlich nicht das einzige super an diesem Abend. Es ging Schlag auf Schlag mit super weiter: „The way you move your head“, „Fruit fly“, „Blonde on blonde“, „Inside of love“.
Das Französisch sprachige „Là pour ça“ gehört Daniel Lorca. Let Go wurde von 1 bis 12 in Reihenfolge gespielt. Alles super!
Folgerichtig beendet „Paper boats“ das erste Set. Im zweiten Set spielten Nada Surf später mit „Neither heaven nor space“ noch einen Song des Albums, der vor 15 Jahren auf der europäischen Version (die ich im CD Schrank stehen habe) zu den Bonustracks gehörte. „Paper boats“ zeigt an diesem Abend das gesamte Spektrum der Band auf. Der Song schwimmt zwischen Barry Manilow Poppassagen und rockigen Gitarren hin und her. Ganz so, wie es Nada Surf an diesem Abend immer wieder machen: Da gehen die eher wütenden „Popular“, „The fox“ oder „Firecracker“ Hand in Hand mit poppigen Songs wie „Treading water“, „Always love“ oder „What is your secret?“.

Manchmal sind Albumkonzerte zäh, weil auch die schwächeren Songs einer Platte gespielt werden müssen, wenn sich die Band an die eigenen Vorgaben halten möchte. Ich sah schon einigen Albumkonzerte und weiß daher, wovon ich schreibe. Last Splash von den Breeders hat nun wirklich nicht nur Hits, auch Some friendly hat die eine oder andere Schwächephase, ganz zu schweigen von Deserter’s Songs. Bei Let Go ist das komplett anders, Let Go hat in meinen Ohren keinen einzigen schwachen Song, es ist ein vom ersten bis zum letzten Ton ein perfektes Album. Daher läuft das Albumset wie geschnitten Brot. Das Stollwerck hat kollektiven Spaß und ergötzt sich an den großartigen Let Go Songs. Überhaupt hört man der Platte ihr Alter nicht an. Der Indiepop klingt frisch, auch wenn die textlichen Inhalte nicht mehr ganz auf uns ältere Säcke zugeschnitten sind. Let Go ist es ein zeitloser Klassiker.

An Evening with Nada Surf, celebrating the 15th Anniversary of ‚Let Go‘

wurde somit ein voller Erfolg. Ehrlich gesagt hatte ich auch nichts anderes erwartet.

Das zweite Set machte den Konzertabend noch wunderschöner. Neben den vorhersagbaren Überhits „Popular“ und „Firecracker“ spielten Nada Surf auch ein paar Sachen, die ich live nicht so oft oder noch gar nie gehört habe. „Stalemate“, mit eingebautem „Love will tear us apart“ Snippet, oder „Dispossession“ und „Your legs grow“. Das aktuelle Album You know who you are ist mit den beiden Songs „Cold to see clear“ und „Out of the dark“ ausreichend vertreten.

Am Ende der letzten Zugabe trägt Daniel Lorca einen blauen Wischeimer von der Bühne. Zweieinhalb Stunden lang war das sein ganz privater Bierflaschenkühler. Rock’n’roll will never die. Wow, was für ein Konzertabend.
Glücklich und zufrieden verlasse ich den Konzertsaal. Unterwegs informiere ich noch zwei jugendliche Besucher darüber, dass der Sprechgesangsong „Popular“ heißt und auf dem ersten Album High/Low zu finden sei und schlendere weiter guter Dinge die Treppe im Bürgerhaus hinunter. Sicherlich sah ich gerade das beste Konzert in diesem Jahr.

Ich überlege, was mich an Nada Surf so fasziniert. Neben den tollen Hits ist es sicherlich der Umstand, dass die Band so bodenständig und grundsympathisch rüberkommt. Nada Surf stehen weit außerhalb von Chi Chi und Rockstargehabe. Vielleicht, oder besser definitiv, ist das ein Grund, warum ich diese Band so mag.

Draußen. Es regnet. Ein Junge fragt ein Mädchen, ob denn dieses „Love will tear us“ von Nada Surf sei. Es wäre der einzige Song gewesen, den er im Konzert gekannt hätte. Sachen gibt’s.

#nadasurf #alwayslove

Setlist 2. Set:
01: Imaginary friends
02: Teenage dreams
03: What is your secret?
04: Cold to see clear
05: Out of the dark
06: Your legs grow
07: Dispossession
08: Do it again
09: Neither heaven nor space
10: Firecracker
11: Robot
12: Stalemate
13: The Fox
14: Amateur
15: See these bones
Zugabe:
16: Popular
17: Always love
18: Blankest year

Kontextkonzerte:
Nada Surf – Weissenhäuser Strand, 12.11.2011
Minor Alps – Köln, 03.05.2014 / Luxor
Nada Surf – Köln, 04.04.2016 / Live Music Hall

Multimedia:

Schreibe einen Kommentar