Ort: Muse, Osaka
Vorband:

Andere Länder, spannende Konzerte. Leider war ich nicht dabei.
Auf einer kurzfristig angesetzten Japan-Tour haben wir uns ebenso kurzfristig entschlossen, ein Konzert einer japanischen Band zu besuchen. Leider war das Angebot in Osaka in den vier Tagen, an denen wir dort in einem Hotel der Business-Kette Toyoko Inn wohnten, nicht besonders groß. An einem Vormittag machten wir einen Abstecher zum Big Cat, einer Konzerthalle mit angeschlossener Mini-Mall, und scannten die Auftritte. Ein Name war meiner Freundin, ausgewiesene Visual-Kei-Expertin, irgendwie bekannt und nach einem kurzen Probehören auf Youtube fanden wir die Musik nicht allzu schlimm und entschlossen uns, 4.300 Yen, oder ca. 40 Euro, in eine Karte zu investieren. Die Band heißt Mix Speakers Inc. und existiert seit 2006. Sie besteht hauptsächlich aus Mitgliedern einer Visual Kei Band namens Isabelle (Quelle: www.jame-world.com). Sie scheinen bisher 4 Alben herausgebracht zu haben und befinden sich momentan auf der „Spring Tour 3rd Attraction“.
Meine Erfahrungen mit japanischen Bands sind ziemlich beschränkt, und ich bin kein großer Freund der Musikrichtung, die sich Visual Kei nennt, und aus meiner, zugegebenermaßen engen, Perspektive hauptsächlich aus Metalgitarren, Bombast sowie düster geschminkten und extrovertiert kostümierten Menschen zu bestehen scheint. Aber ein Konzert in Japan ist bestimmt mal eine ganz andere Erfahrung, dachte ich, und das war es tatsächlich.
Das Event fand in einer Location statt, die sich Muse nennt, und in Shinsaibashi liegt, in einer Parallelstraße zur Haupteinkaufsstraße. Der Konzertbeginn war mit 17:30 einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Das Muse befindet sich in den oberen Stockwerken eines Hauses. Wir kauften die Karten im dritten Stock und durften dann zusehen, wie die Konzertbesucher nach Ticketnummern geordnet in den darüber liegenden Saal gerufen wurden. Da wir die Karten an der Abendkasse gekauft hatten, waren wir also bei den Letzten, die die Halle betreten durften. Das Muse ist ungefähr so groß wie das Gebäude 9, und schien so gut wie ausverkauft. Das Publikum war auch eher gewöhnungsbedürftig und bestand zu 99% aus Mädels zwischen 16 und 25, mit teilweise schön toupierten Haaren und fantasievoll aufgerüschten Klamotten – es gab aber auch ein paar ältere Fans in normaler Kleidung, und ich habe sogar zwei Männer entdeckt.
Wie läuft so ein japanisches Konzert ab? Wenn dieses nun repräsentativ war, was ich nicht beurteilen kann, muss zunächst gesagt werden, dass es keine Getränke im Saal gibt, sondern man kauft vor der Halle einen Bon für 500 Yen, und behält den dann erst mal. Dann warnte mich meine Freundin bereits vor, dass man nicht einfach irgendwohin drängelt sondern da stehen bleibt, wo man einen Platz bekommt. Also standen wir ziemlich weit hinten, was aber wegen der Größe des Saals und der Körpergröße der Durchschnitts-Japanerin nicht schlimm ist – ich konnte zumindest alles sehen. Einlass war 17:00 Uhr, und das Konzert begann pünktlich um 17:30 Uhr, ohne Vorband, was auch üblich zu sein scheint. Leider darf man keine Fotos machen, was schade ist, da die Bühne gut ausgeleuchtet war, und die Band ausgesprochen fotogen ist. Aber sobald ich meine Kamera eingeschaltet hatte, drängelte sich einer der Aufpasser zu mir und gab mir mehr oder weniger höflich zu verstehen: no photos.

Schließlich ging das Licht aus und zwei Plüsch-Raben, die rechts und links am Bühnenrand auf Stöcken steckten, begannen sich zu unterhalten, natürlich auf Japanisch. Der Reihe nach traten danach folgende Bandmitglieder auf die Bühne: ein rot-geschminkter, als Oktopus verkleideter Bassist, ein als Prinzessin verkleideter Gitarrist, ein zweiter Gitarrist in einer Art Roboterkostüm, ein Schlagzeuger in einem gelb-pinken Plüsch-Fisch-Kostüm, ein erster Sänger in schwarzer Piratenrobe und ein zweiter Sänger in einem weiß-blauen Glitzerkostüm. Das reichte eigentlich schon, um einen unterhaltsamen Abend zu versprechen, aber tatsächlich wurde es noch besser, denn das Publikum war die Krönung. Als die Musik anfing, begannen alle im Saal, lustige Bewegungen mit ihren Händen zu machen – und zwar nahezu synchron. Was dann folgte, war eine Art Choreographie im Publikum, die das ganze Konzert andauerte, und ziemlich beeindruckend war. An bestimmten Liedstellen fingen alle an, wild zu headbangen, an anderen Stellen wurde gehüpft oder zur Seite getanzt – und ich muss noch mal betonen, immer alle gleichzeitig. Die ersten paar Lieder habe ich überhaupt nicht mitbekommen, weil ich total fasziniert und mit offen Mund das Publikum beobachten musste. Das war aber noch nicht alles, denn zu manchen Liedern gab es Accessoires. Sobald die ersten Klänge ertönten, hielten 90% der Leute in allen Farben blinkende Herzen hoch und schwenkten sie, natürlich alle in die gleiche Richtung. Zu anderen Liedern wurden Tücher geschwenkt oder geschüttelt. Spätestens da war mir auch klar, warum es keine Getränke im Saal gab – man hatte einfach keine Zeit zum Trinken und musste außerdem die Hände immer frei haben. Nach den Songs wurde nicht geklatscht, was ebenfalls gewöhnungsbedürftig war, sondern eher die Hände hochgeschmissen und ein bisschen gekreischt, aber nicht zu laut. Überhaupt lief das ganze einigermaßen zivil ab, auch wenn das Zur-Seite-Hüpfen manchmal etwas gefährlich war, vor allem, wenn man nicht mithüpfte.
Die Band selbst war hochprofessionell, und auch wenn die Musik nicht mein Fall ist, war es keinesfalls schlecht. Gespielt wurde eine Arte metal-lastiger Pop, zwischendurch gab es ein paar Balladen, und einmal eine Art Party-Kracher, zu dem die Band in einer Polonäse im Kreis über die Bühne zog, was ziemlich lustig aussah. Die Band vermittelte überhaupt den Eindruck, selbst auch viel Spass zu haben. Zwischendurch erzählten die Sänger abwechselnd irgendetwas auf Japanisch, was mit Ah-Rufen und Lachen aus dem Publikum quittiert wurde. Dann durften, oder mussten, auch die anderen Band-Mitglieder etwas sagen, wobei besonders der Oktopus ziemlich gesprächig war, und der Prinzessinnen-Gitarrist sich im Hintergrund dezent nachschminkte. Der erste Teil des Konzerts dauerte ca. 1 ½ Stunden. Nach den japanischen Zugabe-Rufen kam die Band zurück, erzählte mindestens 20 Minuten lang mir unverständliches, und lieferte dann noch einmal Musik ab. Zusammen mit einer zweiten Zugabe dauert das Konzert insgesamt ca. 2 ½ Stunden. Vor dem Saal gab es dann die Getränke – Wasser, sowie rosa-farbene und grünlich schimmernde Limo – sowie die üblichen Promo-Stände mit T-Shirts, CDs und Blinke-Herzen für diejenigen, die noch keins hatten.
Ich vermute mal, dass nicht jedes Konzert in Japan so abläuft, und vor allem Konzerte von Visual-Kei-Bands extremer sind, als z.B. Konzerte von japanischen Indie-Bands, die es bestimmt auch geben wird, aber die ich leider nicht kenne. Alles in allem war es ein großer Spass, auf den wir danach eine große Portion Nudelsuppe brauchten.
(Katja und Beate erzählten von ihrem Japanurlaub)

Multimedia:
Die Plüschraben im Video (hat was von Kasperle-Theater):

Liveimpressionen:

weitere Überseekontextkonzert:
…and you will know us by the trail of dead – New York, 12.11.2006
Eels – Washington DC, 29.03.2008
Laura Veirs, Liam Finn – Toronto, 24.05.2008
Billy Cobham Spectrum – Washington DC, 11.09.2008
Paul Weller – Washington DC, 13.09.2008
Pavement – New York, 21.09.2010
Pavement – New York, 23.09.2010
Stars – New York, 24.09.2010

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