Ort: MTC, Köln
Vorband: unhappybirthday
Diese Band ist nahezu ungooglebar. Diese Erkenntnis ist nicht sonderlich neu für mich, hatte ich doch schon vor einigen Jahren versucht, mehr Informationen über Merchandise zu erhaschen. Vor einigen Jahren war vor 3 Jahren, als ich Merchandise auf dem Primavera Sound zweimal sehen durfte. Es war das Jahr, in dem der spanische Winter im Mai für drei Tage zurückkam und ich – auch wegen der blöden Bühnenausrichtung zur See hin – einen Abend vor der windigen ATP Bühne komplett verfror.

Merchandise aus Tampa in Florida kannte ich bis dato nicht, aber schon nach wenigen Minuten bemerkte ich, dass sie mich mit ihrer Musik treffen. Ich verliebte mich in ihre ungewöhnlich langen Songs, die ohne Refrain auskamen und scheinbar nur aus unzähligen Strophen und/oder textlichen Aufzählungen bestehen. „Winter‘s dream“ oder „Total nite“ setzten mich in totale Verzückung. Das waren live grandiose 10Minüter, die, obwohl ich sie hier zu ersten Mal hörte, mir wie alte Vertraute vorkamen. Ich war so beeindruckt, dass ich Merchandise tags drauf unbedingt nochmal sehen wollte und musste. Beim Primavera Sound ist es so, dass einige Bands sowohl auf dem Festival, als auch in den Tagen des Festivals auf kleineren Bühnen in der Stadt Konzerte geben, die frei zu besuchen sind. Merchandise gehörten in diesem Jahr zu diesen Bands und so spielten sie tags drauf in einem der Stadtparks erneut ein kleines Konzert. Auch dieses zweite Konzert haute mich um und ich beschloss, Material über die Band zu sammeln. Seinerzeit hatten sie eine EP, die ich mir besorgte. Ein Album gab es, wenn ich mich recht entsinne, nirgends zu erstehen. Doch das war mir erstmal egal, die EP ist super und begleitete mich über den Sommer. Auf Total Nite waren auf alle Songs, die mich live so verzückt hatten: „Total nite“, „Who are you?“, „Anxiety’s door“, „Lonesome sound“.

Ein paar Monate später hörte ich das zweite Lebenszeichen von Merchandise. Ein neues Album, soso. Das interessierte mich natürlich sehr und ich klickte die zugehörigen Videos. Doch halt, was war das? Hatte ich mich vergooglet? Gab es noch eine Band mit Namen Merchandise? Ich hörte Synthesizer, Popmelodien und diesen Kram aber nicht den elegischen Indierock, den ich von der EP kannte. Das irritierte mich und ich verlor das Interesse. Die Lust, mich damit und somit näher mit Merchandise zu beschäftigen war nicht vorhanden. Warum das so war, diese Frage kann ich nicht beantworten. Beim heutigen Hören der Songs vom Album After the end kann ich nicht verstehen, warum mich dieser kleine Stilwechsel derart abgeschreckt hat. Denn „Little Killer“ oder „Green Lady“ sind – Stand heute – tolle Songs, und die Stimme von Carson Cox ist auf ihnen genauso einnehmend und markant wie auf den Indierock-DIY-Sachen davor. Und mal ehrlich, so stark anders waren dieses Album nun auch nicht.

Als vor Wochen neue Konzertankündigungen durch die Netzwerke flogen, war klar, dass ich Merchandise gerne sehen möchte. Egal was mit At the end war oder was mit einem neuen Album sein wird, dieses Mal sollte mich ein erneuter Stilwechsel nicht abschrecken. Den gab es aber schon irgendwie: auf der aktuellen Single „Right back to the start“ klingen Merchandise wie Depeche Mode und all die anderen 1980er Jahre Synthie Wave Bands. Na gut, dann eben jetzt Synthies. Ich mag Depeche Mode nicht, einzige Ausnahme ist „People are People“. Die Begründung: ich schaute 1982 begeisternd viel olympische Spiele und der Olympiasong des zdf war „People are people“. Durch diese Verknüpfung bleibt „People are people“ positiv besetzt. Mit dem restlichen Depeche Mode Werk dagegen habe ich keine Verbindung. Aber lass Merchandise doch so klingen. Sie machen es sicher besser und spannender.

Es ist leer im MTC. Ein paar traurige Gestalten sitzen an der Bar. Kurz bevor die Vorband beginnt, zählt der Barkeeper nochmal nach: 9 zahlende Gäste. Das ist nicht viel. Unhappybirthday nennt sich die Vorband, die aus Hamburg stammt. Sperrige Bandnamen schrecken mich erstmal ein bisschen ab. Will hier jemand zu viel Kunstkram, denke ich dabei reflexartig. Und dieser Gedanke ist meist negativ verschubladet. Dieses übertrage ich dann sofort und unwillkürlich – aber natürlich vollkommen unberechtigt – auf die Musik. Bands mit sperrigen Namen = zu gekünstelt = für mich uninteressante Musik. Diese Gleichung steht dann erstmal. Manchmal kippt sie, manchmal lasse ich ein Kippen nicht zu. Bei unhappybirthday war es so, dass der Reflexe völlig falsch war und ich das auch bereits nach wenigen Sekunden Musik einsah.
Unhappybirthday, so stelle ich mir die neue deutsche Welle mit Gothic-Wave Gitarren vor. Musikalisch und bühnengestentechnisch (das gilt in er Hauptsache für den Sänger) sind sie in den 1980er Jahren verwurzelt. Es jault die Cure Gitarre und der Tanzstil des Sängers erinnert an Hubert Kah. Ihre Songs sind gut, leben vielleicht ein bisschen zu sehr vom Wiedererkennungswert vergangener Jahrzehnte. Nichtsdestotrotz sauge ich jede Minute auf. Ja, ich bin positiv überrascht von dieser Band. Unhappybirthday sind sehr sehenswert!

Doppelt so viele Besucher sind es eine halbe Stunde später: 18 Leute lungern vor der Bühne, als das Konzert begann. Und das waren mindestens 180 zu wenig! Merchandise sind live immer noch die Rockband, wie ich sie in Barcelona schätzen lernte. Diese Gesangsstimme, die Gitarren! Das machen sie schon gut. Den Wave bringen sie in Form eines Minisynthesizers in ihr Konzert, aber es sind lediglich drei Songs, die damit gespielt werden. Das Hauptaugenmerk liegt auf den Gitarren und älteren Sachen. Die Bandzusammensetzung von vor ein paar Jahren habe ich nicht mehr im Kopf. Bis auf den Sänger kann ich mich an die übrigen Bandmitglieder nicht mehr erinnern. Im MTC ist Merchandise zu viert. Das klassische Rockbandformat also. Ihr Konzert starten sie mit ein paar alten Hits, ich bin sofort angetan. Obwohl nur wenige Leute da sind, ist die Band in Konzertlaune. Die neuen Sachen kommen nach und nach. Zu „Right back to the start“ und Anderen wird der ‘tiny synthie‘ nach vorne zum Bühnenrand geholt. Es ist wirklich ein Minisynthie, und so wirkt die Symbolik, dass die 1980er Jahre wirklich nur ein bisschen am Merchandise Sound kratzen. Auch wenn es auf Platte erst anders klingt. Aber hier täuscht der erste Eindruck, live sind die etwaigen Stilbrüche nur schwach auszumachen. Da passen alt und neu gut in den gemeinsamen Konzertplot, da stören die Disco Fox Tanzeinlagen des Sängers bei „Green Lady“ ebenso wenig wie die auf dem Boden im Schneidersitz sitzend gespielten Gitarrensoli des Gitarristen. Es ist es ein Set aus alt und neu, das jedoch nicht wie alt und neu klingt. Wie sympathisch Merchandise nicht nur während des Konzertes rüberkamen, zeigt folgende Begebenheit: Als die Vorband begann, waren sie die ersten, die geschlossen in die erste Reihe marschierten. Selten, ach was, ich glaube noch nie, habe ich eine Hauptband erlebt, die sich so interessiert und bewusst die Vorband über die komplette Konzertdauer hin nicht nur angeschaut hat, sondern auch mit Applaus beschenkte und beschwingt zu dem ein oder anderen Stück tanzte oder zumindest mit dem Kopf mitwippte.

Es war eine gute Idee, das Konzert zu besuchen. Manchmal ist es gut, Dingen unvoreingenommen eine Chance zu geben.

 

Kontextkonzert:
Merchandise – Primavera Sound Festival Barcelona, 24.05.2013

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