Ort: Gebäude 9, Köln
Vorband: Nicoffeine

Melt Banana

Warum Gitarrist Ichirou Agata einen Mundschutz trägt, erklärte er vor einigen Jahren in einem arte Fernsehinterview. Aufgrund höchster Bühnennervosität war es so, dass ihn auf der Bühne jedes Mal starkes Nasebluten heimsuchte. Und um in die Nasenlöcher gestopften Taschentücher zu verbergen, setzte er irgendwann eine Maske auf. Das wiederum half Agata den Stress zu mindern, denn das Nasenbluten war ihm sehr unangenehm. Irgendwann hätte das mit dem Nasenblutend nachgelassen, die Maske hätte aber eine beruhigende Wirkung, so dass er sie trotzdem weiterhin aufbehielt und trägt.
Ja, Nervosität ist manchmal kein guter Freund, dazu könnte man auch Lionel Messi befragen, der sich auch mit körperlichen Reaktionen auf seine Nervosität ab und an rumplagt. Aber das ist eine andere Geschichte, die jedoch in den nächsten vier Wochen sicher öfter mal zu lesen sein wird.
Zusammen mit Yasukuo Onuki gründete Ichirou Agata 1992 die Hardcore Noise Band Melt Banana. Die Japaner sind also schon länger im Geschäft. In den Jahren haben sie 10 Alben produziert, anfangs noch in Bandbesetzung mit Schlagzeuger und zweitem Gitarristen und wechselndem Personal, seit zwei Jahren jedoch konsequent nur noch als Duo. Die aktuelle Platte heißt Fetch und erschien Ende letzten Jahres.
Das Schlagzeug kommt seitdem aus dem Apple Computer, auch alle anderen Musikquellen abseits der Gitarre werden digital eingespielt und ausgerufen. Live bedient Yasujuo Onuli über eine Fernbedienung den Laptop. Die sieht aus wie das alte Nokia Mobiltelefon n-gage im xxl- Format und erinnerte mich stark an die Vorgehensweise von The Notwist Tausendsassa Martin Gretschmann. Auch er bedient seine Apparate im Konzert zeitweise über Fernbedienungen. Der Grund wird hier wie da der gleiche sein: mehr Bewegungsfreiheit.
Dass Yasukuo Onuki den braucht und auch enorm ausnutzt, ist in jeder Konzertsekunde erkennbar. Der linke Arm, der die Fernbedienung hält, ist zugleich Taktgeber und Drehschleuder. Mit Windmühlenbewegungen startet sie in jeden Song. Das sieht lustig aus und verbreitet eine Menge Spaß. Ichirou Agata steht dem nur wenig nach. Die beiden haben einen enormen Bewegungsdrang und decken sich so optisch mit ihrer Musik sehr gut.
Weiter oben nannte ich Melt Banana (witzig, es lag tatsächlich ein Bund Bananen auf einem der Boxentürme) eine Noiseband. Ob das so passt, ich bin vermutlich nicht der einzige, der sich diese Frage bisher stellte. In der Frage und Antwortrubrik auf ihrer Webseite kommen die Japaner nämlich nicht umher, neben vielen anderen Fragen auch die Frage nach ihrer Musik zu beantworten. Dort steht:

Q: What type of music?
Answer: Some people say they are noise band, some people say they are so-called no wave band, some people say they are hardcore band, some people say their music is like roller coaster in an amusement park… It is hard to categorize their music, but basecally they are rock band with a spice of punk taste. The easiest way to find out is to listen to their music and you will find out.

Der letzte Satz sagt die Wahrheit. Finde es selbst heraus, und als ich dann so eine halbe Stunde im Gebäude 9 stand und Yasukuo Onuki ihren short-track Block mit „wir spielen jetzt acht kurze Stücke hintereinander“ ankündigte, war ich ziemlich sicher, dass ich das Noise nennen möchte. Acht Songs in 3 Minuten, acht Mal kurze Krachgewitter mit Sprachfetzsequenzen. Eigentlich irgendwie nur Krach ohne scheinbare Struktur.
Zu der Zeit war gut die Hälfte des Konzertes um und ich trug mich nach wie vor mit einer weiteren Frage herum, deren Antwort ich erst später in der bereits erwähnten Frage-Antwortrubik der Bandhomepage fand:

Q: Is Yako singing in Japanese?
Answer: I am singing in English, and you can find all of the lyrics inside of CD booklets if you are interested.
When I first started singing in a band, I was singing in Japanese, but I changed to English. I thought that English would fit more to my style of singing.

Also doch englisch. Ihre Stimme war in den Songs nur schwer auszumachen, die Umgebungsgeräusche aus dem Apple Computer und der Gitarre waren zu laut. Hinzu kam, dass ihre Stimme nach zu viel Heliuminhalation klang. Sie war enorm piepsig und hoch. Ich habe keine Ahnung, ob das ein Verzerreffekt war oder ob sie in echt so klingt. Mitunter klang der Gesang wie ein 80er Jahre Spielautomat, weil er nicht für die Melodien vorgesehen war sondern einfach nur der Geräuschkulissenbildung galt. Ein ganz besonderer Gesangsstil, der wenige Variationen zulässt. Melt Banana spielten als letzte Zugabe nach einer guten Stunde das Armstrong Stück „What a wonderful world“, und es passte so natürlich überhaupt nicht zusammen. Die Noisespeedversion war mit Abstand der mieseste Song des Abends, was wiederum eine gute Nachricht an die Band ist, wenn das Cover der enttäuschendste Song eines Konzertes ist. Die übrigen Stücke kannte ich nicht, es war mal wieder so ein Konzertbesuch, der der Neugierde und nicht bekannten Songs und einer Lieblingsband geschuldet war.

Das Gebäude 9 war angenehm gefüllt, als gegen neun Uhr die Vorband die Bühne betrat. Nicoffeine…. nie gehört. Der Bandname soll wahrscheinlich ein Wortspeil aus Nikotin und Koffein sein. Lebensdrogen also, die einen am Leben erhalten (wenn man süchtig ist) und auf Touren bringen. Angewendet auf die Musik von Nicoffeine passt meine Interpretation vortreffend. Der Krach der Band ist laut und kirre machend. Es war gut, nicht zu weit vorne zu stehen. Selbst in den hinteren Gefilden des Gebäudes 9 war der Druck noch hoch genug, dass die Armhärchen vibrierten. Im Nachhinein wundere ich mich, dass die Scheiben gehalten haben. Da es auf der Bühne eh nicht viel zu sehen gab, außer komischen Hardrock-Posen des Bassisten, passte das aber ganz gut.
Ich kannte die Band aus Koblenz nicht, aber ich war mir ziemlich sicher, den Schlagzeuger schon einmal gesehen zu haben. Google kannte einen Namen: Jörg A. Schneider. Schlagzeuger bei Nicoffeine und Schlagzeuger beim Jealousy Mountain Duo. Stimmt, so hieß das Jazz-Prog-Rock-Duo, das ich im Vorprogramm von Speedy Ortiz im Berliner Comet Club gesehen habe.

Musikalisch passte das an diesem Abend besser als beim Speedy Ortiz Konzert, allerdings fand ich das Jealousy Mountain Duo viel spannender als Nicoffeine. Deren Krach ist hauptsächlich laut, beinhaltet mir dabei jedoch zu wenig Abwechslung. Ich vermisste sehr oft die spannenden und überraschenden Momente, und so wurden wir an diesem Abend nicht richtig warm. Auch die Wucht der Lautstärke verlor im laufe der guten 40 Minuten Konzert immer mehr ihre Wirkung, so dass ich nach einer halben Stunde schon mit mir zu kämpfen hatte, nicht in den Vorraum des Gebäudes 9 abzumarschieren. Gehört hätte ich hier die Musik noch allemal. Nur etwas leiser, so dass ich mich hätte unterhalten können.
So war denn auch das interessanteste für mich die nach Konzertende einsetzende Unterhaltung zwischen den Jungs aus der ersten Reihe und dem Bühnenroadie.
Wie mir schien war es den drei Konzertgängern nicht laut genug, und der Roadie klärte sie gestenreich darüber auf, dass die erste Reihe bei Konzerten eben nicht die erste Reihe sei. Mehrmals zeigte er auf die beiden Lautsprecher links und rechts der Bühne und deutet auf ihren Abstrahlwinkel. Besser sei es, etwas weiter von der Bühne wegzustehen, um den vollen Sound abzubekommen, so seine Worte. Im Übrigen sei die erste Reihe jawohl nur was „für Mädchen“.
Ich lernte und merke mir also für weitere Noisekonzertbesuche: Nicht in er ersten Reihe stehen.

Und noch kurz zu Melt Banana: Die machen zwar auch Krach (in der Hauptsache), aber irgendwie war das ganz anderer Krach. Mit mehr Struktur, mit phasenweise wunderschönen Melodiemomenten, die leider nach meinem Geschmack zu oft und zu schnell vom Apple-Schlagzeug plattgemäht wurden.
Krach ist eben nicht gleich Krach, wird der Fachmann jetzt sicherlich sagen. Und ich gebe ihm recht.

Kontextkonzert:
Speedy Ortiz – Berlin, 28.02.2014 / Comet Club

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