Ort: Place des Palais, Brüssel (Brussels Sommer Festivals)
Vorband:
M
Das diesjährige Brussels Sommer Festival hat an diesem Freitag seinen Eröffnungstag. Es ist der 8. August und das Line-up für diesen Tag sieht folgende Bands vor:  The Feather, Skip the use, Patti Smith, M. Auf der benachbarten Bühne Laurenzinho, Mickey, Stereoclip, Aeroplane, Rodriguez Jr. und Stephen Bodzin.
Wir waren wegen M da, und wegen Patti Smith. Den Rest hatten wir nicht im Auge. Die Namen der teils belgischen Bands sagten uns nicht viel. Nach einem kurzen vor-hören war jedoch klar, die Fahrt nicht zu früh anzutreten und nicht unnötig Arbeitszeit zu opfern. So spannend klang das nicht, was The Feather und Skip to use online anboten. Und ein Bühnenwechsel zuvor kam überdies nicht auf den Plan. Das passte nicht so recht ins Konzept. Die Bühnen waren einen Fußmarsch voneinander entfernt. Die Hauptbühne stand am Place des Palais, die kleine Bühne, auf der die elektronischen Bands auftraten, am Mont des Arts westlich vom Königspalast. Und da ich viel Publikum erwartete, wollte ich ein hin- und her vermeiden. Denn ja, eigentlich hieß der Plan M und Patti Smith.

In den Sommerwochen weilt die Königsfamilie im Urlaub. Zu dieser Zeit steht der Palast quasi leer und es finden allerlei Aktionen rund um das Königsgelände statt. So sind zum Beispiel an mehreren Sonntagen die Türen des Palastes für jedermann geöffnet und es wird dem gemeinen Volk die Gelegenheit gegeben, die gute Stube des Königs zu besichtigen.

Das Brussels Summer Festival findet quasi vor der Haustür des Königs statt. Direkt gegenüber des Haupteinganges  zum königlichen Palast steht die Hauptbühne, eingegrenzt vom Palast auf der einen und den Parkanlagen auf der anderen Seite liegt das Konzertareal wie ein länglicher Schlauch. Hier sollten am Eröffnungstag des Festivals, das noch bis zum 17. August andauert, Patti Smith und M die Hauptattraktionen sein. Die sturmfreie Bude wird an diesem  ersten Festival-Wochenende auch noch durch ein Konzert von Suede enorm ausgenutzt. Wenn der Hausherr weg ist, tanzen die Untertanen auf dem Vorplatz.
Ich hatte keine rechte Vorstellung darüber, wie der Abend aussehen wird, wie er abläuft. Ich erwartete schon viel Besucher zu M a.k.a. Matthieu Chédid, wie voll es zuvor bei Patti Smith sein würde und wie sich im Anschluss daran alles bewegt, war meine eigentliche Unbekannte.

Als ich gestern Abend in Onlinemagazinen von einer Zuschauermenge von 14000 Leuten las, war ich jedoch doch sprachlos. So viele?! Das überraschte mich, denn mit einem so großen Andrang hatte ich nie gerechnet. Während der umbaupause schaute ich mich um und schätzte so 5000 bis 7000 Besucher. Allerdings fiel das schätzen doppelt schwer, weil der längliche Schlauch nicht komplett einsehbar war und es vorne an der Bühne relativ leer war und beides meine Schätzeindrücke manipulierte. 14000 Menschen bei M, das ist eine Menge. Gott sei Dank waren wir einigermaßen früh am Königspalast, so dass wir noch bis nah an die Bühne vorgehen konnten. Gegen 20 Uhr war es noch nicht so voll, als dass man nicht mehr durch den engen Schlauch bis nach ganz vorne durchdringen konnte. Die Betreiber hatten überdies mittig auf halbem Wege zwischen Einlass und Bühne Getränkestände platziert, die schon für uns den Zugang nach vorne drastisch eingrenzten und im Verlauf des Abends sicher ein unüberwindbares Nadelöhr verursachten. Nur so erkläre ich mir, dass es auch noch zu M vor der Bühne gemütlich und angenehm voll war und blieb.

Matthieu Chédid ist scheinbar auch in Belgien groß. Dass der französische Sänger in seiner Heimat ein Weltstar ist, wusste ich, weil ich es irgendwo gelesen hatte. Dass dasselbe für Belgien gilt hätte ich mir denken können.  Ich hatte Matthieu Chédid oder M, wie er sich nennt, vor einigen Monaten im halbleeren Kölner Gloria live gesehen. Es war ein ungeplanter spontaner Konzertbesuch, der uns seinerzeit jedoch so mächtig beeindruckt hatte, dass wir direkt nach dem Konzert unisono feststellten, dass man den Franzosen eigentlich ins einer Heimat sehen müsste, ums ich seine sehr extrovertierte Show im Stadionrahmen anzuschauen, wo die Wirkung sicher nochmals eine andere sein würde  als in einem halbleeren Kölner Klub.

Musikalisch hielt sich mein Interesse schon im Gloria in Grenzen, französischer Poprock ist nicht in allen Facetten meins, aber das Liveerlebnis war wirklich toll und so grandios, dass es die mitunter alles andere schnell vergessen ließ. Wer M live noch nicht gesehen hat wird das folgende wahrscheinlich nicht verstehen. Ich erkläre M Konzerte immer so. Nimm all das scheußliche in der Rockmusik, nimm AC/DC Gitarren, nimm Deep purple und Jimmy Hendrix Gitarrensoli, nimm die übelste Scorpions Stadienshow und werfe alles mit französischer Popmusik zusammen, dann hast du ein M Konzert. Und es wird dich umhauen oder zumindest begeistern, weil es so überspitzt und herzerwärmend vorgetragen wird, dass das scheußliche wieder schön und unterhaltsam erscheint. Aber M Konzerte sind keine Comedy. M Konzerte sind so, dass man denkt, ja, Matthieu Chédid weiss sehr genau um die Scheußlichkeiten der Gesten und Gitarrensoli. Aber er macht sie trotzdem.

Und so gibt es bereits im Eröffnungssong „Mon Ego“ das erste van Halen Gedächtnisriff. Fürchterlich, muss ich da eigentlich sagen. Aber M macht da so grossartig, dass ich mit offenem Mund da stehe. Und nicht nur ich! Die Fanmeile jubelt und M und seine beiden Musikerkollege starten auch den Brüssler Abend mit der auf dieser Tour etablierten Konzerteröffnung: es folgen „Faites-moi Souffrir“, „Onde sensuelle“, „L’Île Intense“, bevor mit „Océan“ der erste Song kommt, den ich aus dem Gloria wiedererkenne. Es ist ein kleiner feiner Popsong, der zum ersten Mal an diesem Abend die Fanmeile zum mitsingen animiert.

Mitsingen und mitklatschen, auch so ein Ding dass hier genau am richtigen Platz ist. Ebenso wie die Bühnenscheinwerfer, die sich im Laufe des Konzertes zu einem großen M bilden, dass über den Köpfen der Musiker zu schweben scheint. Stadionkonzert at ist best!

Die nächste Scheußlichkeit, die jeden Indiemusikliebhaber und -konzertgänger einen Schauer über den Rücken laufen lässt, war die Vorstellung der beiden Begleitmusiker. Während der Schlagzeuger das Publikum noch mit call-and-response Gesängen animierte, durfte der Gitarrist und Keyboarder gleich ein Medley seiner Lieblingsstücke vorspielen: mit dabei unter anderem die White Stripes („Seven nation Army“), Rage against the machine („Killing in the name of“) und Run DMC.

Irgendwann betritt ein weiterer Sänger die Bühne. Wer ist das, fragten wir uns. Dem Jubel nach schien diese Person für viele kein Unbekannter zu sein. Gestern im Onlineartikel wurde auch das aufgelöst. Es handelte sich um den belgischen Sänger Saule. Ich kann auch nicht jeden kennen!

M a invité le chanteur belge Saule sur scène le temps d’une chanson délirante faite de cris et de gémissements.

Dieser sang und schrie zusammen mit Matthieu Chédid zwei Songs, bevor er dann wieder von der Bühne verschwand.  Zuvor gab es bereits einen Tänzer, dass hätte ich jetzt fast vergessen.
Noch gut im Gedächtnis blieb mir „Qui de nous 2“, die schmalzigste Mitsingnummer des Abends (jedes Helene Fischer Konzert bietet sowas bestimmt auch) und die 9minütige Version von „Je dis aime“, die als letzter Song vor der Zugabe nochmal alles zusammenfasst, was dieser Abend geboten hatte: mitsingen, mitklatschen, Carlos Santana Gitarrensoli und stage diven. Ein würdiges Konzertende um kurz nach Mitternacht.

Aber sie kamen nochmal wieder. Es fehlte noch „Mojo“, dieser Song aus der Autowerbung. Nachdem die Bühnentechniker Schlagzeug und andere Aufbauten nach hinten geschoben hatten, performten sie zum Finale zusammen mit der Band den Mojo-Tanz, der Song dazu kam vom Band. Es war der letzte Konzert nach einer langen, knapp 2jährigen Tour, dass hier und jetzt gefeiert wurde. M erzählte und dankte zwischen den Songs sehr oft und sehr ausführlich seinen Mitarbeitern. Das konnten wir so gerade noch verstehen, all die anderen Dinge, die er sagte, blieben uns unverstanden. Matthieu Chédid spricht sehr schnell und sein französisch ist um so viel besser als unseres. Da blieb keine Chance, etwas detailierteres aufzuschnappen.

Nach knappen zwei Stunden war das nun wahrhaftig das Ende eines spaßigen Konzertes. M hatte alle meine Erwartungen erfüllt! Es war ein grandios unterhaltsamer Abend und ich muss nun erst recht jedem empfehlen, sich einmal ein M Konzert anzusehen. Aber ob Konzert das richtige Wort ist, es war mehr eine Show als ein Konzert. Wie dem auch sei, es lohnt!

Kontextkonzerte:
-M- – Köln, 18.03. 2013  / Gloria

Fotos:

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