Ort: zakk, Düsseldorf
Bands: Flowerpornoes, Blumfeld

‘Habt ihr noch Bock?‘ fragt Jochen Distelmeyer, nachdem die Band Blumfeld den zweiten Block ihres Konzertes beendet hatte und auf die Bühne zurückkehrte. ‘Wir haben noch Bock auf ein, zwei Lieder‘.
‘Ich fühl mich so müde. Das ist nix mehr für mich‘ sagt Tom Liwa, als die Flowerpornoes nach dem zweiten Block nochmals für eine kleine Zugabe auf die Bühne des Clubs im zakk zurückkehren.

Unterschiedlicher könnten die Befindlichkeiten der beiden Bands nicht sein.
Unterschiedlich waren auch die beiden Konzertabende im zakk und im zakk Club, großartig waren sie aber beide!

Ich bin froh, hierhin gefahren zu sein. Am Freitagabend nahm ich diese Aussage innerlich mit einem freudigen Kopfnicken mit nach Hause. Ja, ich war froh, die Flowerpornoes hier und jetzt gesehen zu haben. Es war auf verschieden Arten wunderbar! Natürlich freute ich mich, die Songs zu hören, aber ich stellte im letzten Jahr schon fest, dass die Abende dieser Konzertreihe für mich auch eine Art romantisch verklärte Vergangenheitsbetrachtung sind. Und eine romantisch verklärte Vergangenheitsbetrachtung find‘ ich toll. Gedanken wie ‘ach war das damals gut‘; oder ‘dieser Song lief immer da und da‘ sind und waren typisch für meine bisherigen Lieblingsplatte Konzertabende. Letztes Jahr sah ich Mutter und The Notwist, in diesem Jahr also die Flowerpornoes und Blumfeld.
Mutter fand ich damals gut und auch die Flowerpornoes gefielen mir zu der Zeit, in der sie ihre Lieblingsplatte-Alben veröffentlichten. Abgöttisch geliebt habe ich beide Bands jedoch nicht und die Alben kann ich auch nicht auswendig herunterbeten. Aber ich fand sie toll, und das ist doch auch was. Und es reicht, mich nach Jahrzehnten noch daran zu erinnern, an einzelne Songs, an Erlebnisse und an Augenblicke. Und damit reicht es auch, diese Lieblingsplattenkonzerte zu besuchen.

An dem Konzept Lieblingsplatte gefällt mir am besten, die Albumsongs in konzentrierter Dosis vorgesetzt zu bekommen. Ohne Vorband, ohne Schnickschnack. Die Band bestimmt höchstens die Reihenfolge der Songs und entscheidet darüber, ob sie noch ein paar Lieder mehr drum herum spielen oder nicht.

Blumfeld hatte ich erst vor drei Jahren gesehen, als sie zum 20-jährigen Jubiläum von L’Etat et moi in der Kölner Live Music Hall aufspielten. Ich wusste also in etwa, was mich erwartet. Bei den Flowerpornoes wusste ich das nicht.
Der kleine Club im zakk war zwar nur gut besucht, aber dafür mit 99% Fachpublikum, das die Band gebührend aufnahm. Die Flowerpornoes sind nach wie vor ein bisschen zu viel unterhalb des Radars. Nach wie vor, weil die Band weiterhin aktiv Musik veröffentlicht. Nach den vielen Jahren und mehreren längeren Pausen eigentlich unfassbar. Ihr aktuelles Album heißt Umsonst & draussen und erschien 2015. Unglaublich!

Indieland Deutschland Anfang der 1990er Jahre. Erst gab es Bands wie die Nationalgalerie und Selig, und später dann die gesamte Hamburger Schule und Stoppok. Die Flowerpornoes waren irgendwo dazwischen und weniger bekannt. Sie waren da. So wie Duisburg. Nichts weiter. Medieninteresse riefen sie eher weniger hervor. Ich kann mich nicht erinnern, ein Video von ihnen im Fernsehen gesehen zu haben. „Verstärker“ lief dagegen rauf und runter. Die dazu passendste Songansage gibt die Band an diesem Abend selbst: ‘Dieser Song wurde zuerst auf einem Sparkassensampler veröffentlicht‘. Soviel zum 1990er Jahre Ruhm der Flowerpornoes.
Sie machten es einem aber auch nicht leicht. Die Texte ein bisschen sperrig, die Musik nur bedingt tanzbar. Man musste sich ein bisschen Mühe geben, die Flowerpornoes zu mögen. Wenn man das dann aber geschafft hat, war es toll!

Die Flowerpornoes sind zu viert. Neben Birgit Quentmeier und Markus Steinbach sitzt ein Jungspund am Schlagzeug. Der immer mal wieder vakante Posten innerhalb der Band wird aktuell von Giuseppe Mautone eingenommen. Tom Liwa gilt als schwierig. Im Vorfeld des Konzertes hörte und las ich das irgendwo. Im Konzert merke ich davon wenig, im Gegenteil, auf mich wirkt er sympathisch. Die Bühne ist aber nicht das wahre Leben und vielleicht ist es auch das Lieblingsplatte Konzert, das ihn milde stimmt. Wie sagt er doch kurz vor Ende des Auftritts:

Ich bin nicht als netter Typ bekannt, aber das hier rührt mich sehr.

Ja, ich bilde mir, dass ich das merke.

Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen erschien 1994. Just in dem Jahr, in dem Blumfeld L’état et moi veröffentlichten.
Indiepedia gibt ins einem Artikel über die Flowerpornoes als Referenzband die Band Blumfeld an. Und ja, gleich zu Beginn unterstützt Tom Liwa diese These und gibt einen quasi Beleg dafür, dass man sich zumindest mit der Hamburg Band beschäftigt hat: Der erste Song des Abends sei seine Antwort auf Blumfelds Zitat ‘Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg‘, der berühmten Textzeile aus dem Song „Verstärker“. „Verstärker“ ist der zweitbeste deutschsprachige Song des letzten Jahrhunderts (der beste Song ist meiner Meinung nach Alexandras „Mein Freund der Baum“) und der Hit auf L’état et moi. Aha, okay.
„Red‘ nicht von Straßen“, selbst nicht auf dem Album Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen, eröffnet den Abend um kurz nach acht. Es ist noch früh, und als die Flowerpornoes ihr Album knapp eine Stunde später nahezu durch, ist es noch nicht wirklich spät. Die schönsten Songs haben die Duisburger da schon gespielt: „Liane (Cool ist das Wort)“, „Was der Arzt sagte“, „Einer von denen“. Das sind nicht nur die großen Hits von Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen, das sind auch einfach tolle Songs.
Melancholisch, melodiös, beruhigend und wunderschön. Irgendwie passend in die Jahreszeit.
Man hätte sich überlegt, nach dem Album könne man ja ein Lieblingsalbum der Band spielen, also Up on the Sun von den Meat Puppets zum Beispiel. Da man aber das Konzept Lieblingsplatte nicht mit einem anderen Konzept vermischen wollte, und auch der probenaufwand zu groß geworden wäre, blieb es im Anschluss beim ersten Song des Meat Puppets Albums. Nach dem Cover „Up on the Sun“ folgen eigene neue Stücke („Planentenkind”, „Federkleid”) und anderes. Schnell hatten die Flowerpornoes die nächste halbe Stunde mit Songs gefüllt. Der letzte Song des Abends ist der letzte Song von Red‘ nicht von Straßen, nicht von Zügen, „Stolz“.
Das Konzert der Flowerpornoes hat mein Herz getroffen; es war so schön, so überraschend gut, so vorweihnachtlich warm. Dass sie damit ihr Album nicht in Reihenfolge gespielt haben, ist somit fast egal. Aber nur fast egal. Mir würde es besser gefallen, wenn die Bands das vorgegebene Konzept eins zu eins umsetzen und das Album in Reihenfolge spielen. Das ist dann auch das Härchen in der Suppe des Flowerpornoes Auftritts. Es war ein großartiger Abend, echt jetzt!
Ach ja, es gibt ein aktuelles Album der Duisburger: Umsonst & draussen erschien 2015. Unglaublich!

Eins zu eins umsetzen bedeutet für mich aber auch, keine Neuinterpretationen der Songs. Dass Blumfeld sich als eheste Band nicht daran halten, ich hätte es mir irgendwie denken können. Und so klangen „Lass uns nicht von Sex reden“ und „Zeittotschläger“ nach den Blumfeld der 2000er Jahre. Also poppiger und weniger aufrührerisch. Ausgerechnet „Lass uns nicht von Sex reden“, mein heimliches Lieblingslied der Ich-Maschine! (Die weniger heimlichen Lieblingslieder sind „Ghettowelt“, „Zeittotschläger“, „Viel zu früh und immer wieder, Liebeslieder“, „Von der Unmöglichkeit nein zu sagen, ohne sich umzubringen“.) Hätten sie hier nicht ein bisschen näher am Original bleiben können? Tagelang hatte ich mich auf diesen Song gefreut und nun das. Ich gestehe, ich war ein bisschen enttäuscht.

Und sonst? Nun ja, es war schon gut. Trotz einiger Interpretationen. „Penismonolog“ ließen sie sanft in The Beatles‘ „Blackbird“ hinübergleiten, „Ich-Maschine“ hatte am Ende auch noch irgendwas, ich habe es aber vergessen. Nach dem Album Set spielten Distelmeyer und Co zwei weitere Blöcke mit sieben Songs. So wuchs auch dieses Lieblingsplatte-Konzert auf eine angenehme Konzertlänge an.

„Verstärker“ bedeutet dann Finale. Danach sollte Feierabend sein. Auf über 7 Minuten und mit Einflechtungen von „Electric Guitars“ (Prefab Sprout) und  „Everytime we say Goodbye“ (haha, wie passend) ist „Verstärker“ der würdige Abschluss, den das Konzert verdient. Und wahrscheinlich den Song, den alle im zakk an diesem Abend neben dem Album unbedingt live hören wollten. Saallicht an. Sekunden später jedoch: Saallicht wieder aus. „Kommst du mit in den Alltag“. Das war’s aber dann auch.

Du siehst gut aus!

Du siehst auch ganz okay aus. Und wenn ich mit Dir fertig bin, vielleicht noch besser!

Jochen Distelmeyer hatte gute Laune.

 

Und wie könnte die Lieblingsplatte Konzertreihe im nächsten Jahr ablaufen?

‚Ladet doch auch mal Frauenbands ein‘. Oh ja richtig, die Lieblingsplatte hatte in ihrer ersten und zweiten Ausgabe keine Frauenband am Start. Tom Liwa brachte es auf den Punkt und las als Anregung für die nächste Ausgabe gleich ein paar Namen vor, die er sich 2018 vorstellen könne: Die Braut haut ins Auge, Cora E., die Lassie Singers, Wir sind Helden. Der Zuruf nach Ideal wurde abgeschmettert. ‘Die passen hier nicht rein und wurden absichtlich nicht genannt.  Ich habe ja auch nicht Nena gesagt oder Juliane Werding. Obwohl, bei Juliane Werding habe ich länger überlegt…‘
Ich hatte am Nachmittag noch Nena genannt, als ich mich mit einem Freund über mögliche Künstler für eine weitere Ausgabe des Festivals austauschte. Keine Frauenbands, aber mögliche Kandidaten für die dritte Auflage: Philip Boa, Nationalgalerie, M. walking on the water. Cora E. wäre aber super!

Ich hoffe, es gibt eine dritte Auflage. Das Konzept ist toll, der Rahmen ist toll und bisher war die Bandauswahl auch toll! Bitte genauso weitermachen!

Setlist Blumfeld:
01: Ghettowelt
02: Von der Unmöglichkeit „Nein“ zu sagen, ohne sich umzubringen
03: Viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder
04: Pickelface ist back in town
05: Aus den Kriegstagebüchern
06: Apropos Tyrannenmord
07: Penismonolog
08: Laß uns nicht von Sex reden
09: Zeittotschläger
10: Ich-Maschine
Zugabe 1:
11: Einfach so
12: Die Diktatur der Angepassten
13: Wohin mit dem Hass?
14: Ich – wie es wirklich war
Zugabe 2:
15: Draußen auf Kaution
16: Superstarfighter
17: Verstärker
Zugabe 3:
18: Kommst du mit in den Alltag

Multimedia:

Kontextkonzerte:
Blumfeld – Köln, 27.08.2014 / Live Music Hall
Jochen Distelmeyer – Köln, 25.10.2010 / Gebäude 9

Mutter – Lieblingsplatte Festival Düsseldorf, 16.12.2016 / zakk
The Notwist – Lieblingsplatte Festival Düsseldorf, 12.12.2016 / zakk

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. tom liwa

    ‚ich fühl mich so müde..das hier ist nichts mehr für mich‘ hab ich nie gesagt…

    1. frank

      mhh, ich habe das so in der Erinnerung behalten. Ich meine, es war irgendwann gegen Ende des Konzertes, als es zwischen zwei Songs generell um das älter werden und so ging.

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