Ort: Stadtgarten, Köln
Vorband: Jörn Schlüter

Grant-Lee Phillips Köln Stadtgarten 10.10.2015

„Geht ihr auch zu Yo la tengo?“ „Ja, und wir sind auch bei Kurt Ville.“ „Ich war übrigens noch bei My morning jacket in Amsterdam.“ Nebenan-Gespräche vor einem Konzert. Ah, dachte ich – mit halbem Ohr aus Versehen mithörend -, dass passt ja vom namedropping her sehr gut. Hier bin ich richtig.
Wir saßen im Stadtgarten und warteten darauf, dass Grant-Lee Phillips die Bühne betrat, und unterhielten uns auch über Musik. Genauso wie andere um uns herum. Wie man es eben so macht, wenn man eine gemeinsame Vorliebe teilt.
In den 1990er Jahren fand ich Grant Lee Buffalo, deren Sänger und Mitbegründer Grant-Lee Phillips ist, eher schnarchnasig. Swell waren mir lieber, weil vielschichtiger, Yo la tengo auch, weil wilder. Ich hörte nicht viel von Grant Lee Buffalo, sah sie glaub ich mal im Vorprogramm von eben jenen Bands und ließ sie ansonsten ein bisschen an mir vorbeilaufen. „Fuzzy“ aber ist unbestritten ihr Welthit und eines der schönsten Musikstücke der Welt. Das kennt bestimmt jeder, ich auch. Und Zufall oder nicht, genau dieses „Fuzzy“ ließ mich am Samstagabend in den Stadtgarten fahren.

Freitag. Das Wochenende lag ohne größere Pläne vor mir. Es war einer dieser frühen Herbsttage, die mich etwas faul und mit beginnender Herbstmelancholie in ein großes Nichtstun hineinzogen. Im CD Spieler lieferte das aktuelle Lana del Rey Album den dazu vortrefflich passenden Soundtrack. Was für ein Album, es ist das traurig-melancholischste, das ich bisher diesen Spätsommer in die Finger bekommen habe. Perfekt für solche Augenblicke. Perfekt für das Wochenende. Samstag ist Selbstmord, wissen nicht nur Tocotronic. Während also „Honeymoon“ aus den Boxen melancholierte, surfte ich im Internet und suchte nach etwas Zeitvertreib und Tagesneuigkeiten. Ein, zwei Klicks weiter war ich bei „Fuzzy“ und der Mitteilung, dass Grant-Lee Philips morgen im Stadtgarten auftrete. Mhh, ist das eine Samstagabendoption? Ja, nein, vielleicht. Aber ein zwei Chatfetzen später bildete sich langsam aber sicher die Idee, da hinzufahren. Ich sagte dem Konzert zu und der aufkommenden Wochenendträgheit ab. Samstag ist Selbstmord, jedoch nicht an diesem Samstag.
Grant-Lee Phillips also. Zugegeben, viel wusste ich nicht über sein Treiben in den letzten 20 Jahren. Eigentlich wusste ich gar nichts. Ich hatte ja schon Grant Lee Buffalo nicht verfolgt, warum hätte ich dann eine Solosachen auf dem Schirm haben sollen? Das macht keinen Sinn. Ganz unvorbereitet wollte ich jedoch nicht in den Abend und so hörte ich tagsüber mal kurz in sein letztes Album Walking in the green corn hinein. Meine Erwartungen waren Folkkram, aber nach wenigen Minuten wurden meine Erwartungen nicht bestätigt. Ich merkte, wie interessant ich seine Stimme fand und wie wenig weit weg seine Songs vom US-Independent waren. Zumindest die, die ich hörte. Das bestärkte mich nochmals, in den Stadtgarten zu fahren. Diesen Kerl wollte ich jetzt sehen, ja, das ganze Drumherum machte mich geradezu neugierig.

Pünktlich um kurz vor sieben saßen wir also vor der Bühne. Das Konzert war bestuhlt, eine gute Sache, und es begann sehr früh. Klar, Samstag, anschließend läuft hier sicher noch irgendwas anderes. Das war uns aber egal.

„I play songs you might know, songs I know and songs I don’t know.“

Ein sichtlich gut gelaunter Grant-Lee Phillips stand direkt vor uns. Nur mit der Akustikgitarre wollte und sollte er die nächsten knapp 90 Minuten den gemütlichen Entertainer abgeben. The Beyoncé of Folk, wie er sich selbst lachend beschrieb. Ich habe keine Ahnung, was ihn zu dieser Mutmaßung hinreißen ließ, ich entdeckte spontan vielmehr eine gewisse Ähnlichkeit zu Richard Gere. Aber der macht keine Musik. Optisch passte das aber besser, die Frisur, das Sakko, die Gesichtszüge. In Würde altern, hier sah ich gerade eine schöne Blaupause dieses ausgelutschten Statements.
„Josephine oft he swamps“ spielte er sehr früh (ich hoffe, ich habe das richtig gegoogelt), es blieb mir im Sinn, weil damit das Konzert für mich so richtig durchstartete. Es war das dritte oder vierte Stück an diesem Abend und es stammt vom dritten Soloalbum Virgin creeper, vom der er später auf Zuruf auch noch „Mona Lisa“ spielen sollte. Was sonst noch so ging, ist für mich mangels Fachkenntnissen schwer zu sagen. Ich mutmaße mal, in der Hauptsache ältere Songs. Grant Lee Buffalo Stücke waren sehr oft vertreten, ganz speziell kündigte er diese Tracks immer an, daher weiß ich das. Und auch bei vielen anderen hatte ich den Eindruck, dass sie eher älteren Datums waren. „Happiness“, „Heavenly“, „Truly“, ich meine, diese Stücke waren im Set. Vielleicht liege ich auch falsch.
Worin ich mir dagegen ziemlich sicher bin ist die Einzigartigkeit seiner Stimme. Himmel, die ist so markant und so präsent, es ist unglaublich. Es machte großen Spaß, Grant-Lee Phillips zuzuhören.

…both a soaring falsetto and a nourishing drawl…

Lese ich dazu bei Wikipedia. Na wenn die das sagen. Okay.
Vor dem Finale holte er Jörn zur Begleitung auf die Bühne. Jörn Schlüter ist ein Drittel der Bremer Band Someday Jacob, er bestritt ein schönes, unaufgeregtes und passendes Vorprogramm. Gemeinsam spielten sie drei, vier Stücke, darunter das wundervolle „Fuzzy“ und – nach der Phillip’schen rhetorischen Frage, ‚what can we do after this‘ – ein Bruce Springsteen Cover. Es mag zwar etwas komisch erscheinen, dass ein Mann mit so einem riesigen Backkatalog an Songs ein Cover spielt, auch ich war nach der Ansage kurz irritiert und stöhnte gedanklich ein ‚oh weh, auch noch Springsteen‘ hinterher, aber es zerriss den Abend nicht. Im Gegenteil, es fügte sich so wunderbar in das Konzert ein, dass dieses ohne den Coversong ein wenig ärmer gewesen wäre. In dieser Interpretation mag sogar ich den Boss. Und das überraschte mich selbst am meisten. Aber es passte irgendwie zu diesem schönen Konzert, dass mich sehr oft überraschte.
Auf der Rückfahrt recherchierte ich etwas herum und entdeckte, dass Grant-Lee Phillips ein ganzes Coveralbum veröffentlicht hat. Das Springsteen Ding ist nicht darunter, und nach dem Studium der dort aufgeführten Songs ärgerte ich mich, dass er nicht eher etwas von den Pixies, The Cure oder R.E.M. in die Setlist genommen hat. „So. Central rain“ zum Beispiel. Das hätte dem Abend mit Abstand die Krone aufgesetzt.
Doch das ist rumgejammere auf hohem Niveau. Als er um kurz vor halb zehn seinen letzten Song anmoderierte, war ich überrascht. Wie, hat er jetzt wirklich schon fast 90 Minuten gespielt? Es kam mir nicht so vor. Boah, war das Konzert kurzweilig!
„Fuzzy“ werde ich die nächsten Tage noch im Ohr haben. Nun, es gibt schlimmeres.

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