Ort: Palladium, Köln
Vorband:
Und plötzlich steht Damon Albarn vor mir. Reflexartig strecke ich ihm meine Hand entgegen, in die er bereitwillig einschlägt. In diesen Sekunden bin ich wieder der twentysomething Fan, der die Gelegenheit nicht missen möchte, seinem musikalischen Helden nahe zu kommen. Blur, Britpop, du weißt Bescheid. Was hätte ich in den 1990er Jahren für diesen Handschlag gegeben. Aber wir haben 2017, ich bin älter und so ärgere ich mich Sekunden später ein wenig über meine Entscheidung. Damon Albarns Hand ist schwitzig und klebrig, nun kleben auch meine Finger. Waschen geht nicht, die Gorillaz sind noch nicht einmal mit ihrem Albumset durch. Da muß ich jetzt durch.

Die Gorillaz. Die haben mit Blur und Britpop nur eines gemein: Damon Albarn. Der Blur Sänger rief die Gorillaz mit einem Kumpel als Projekt ins Leben. Das geschah aus einer Laune heraus, wie Wikipedia zu erzählen weiß. Man wollte all die austauschbaren MTV Bands der späten 1990er Jahre konterkarieren. Eine virtuelle Popband sollte entstehen, deren Musiker Comicfiguren sein sollten.

Die Gruppe sollte sämtliche damals gängigen Klischees bedienen. Sie stellten sie aus vier Stereotypen zusammen, die Hewlett als Zeichentrickfiguren zu Papier brachte: einem Punk als Bandleader (2D), einem Altrocker am Bass (Murdoc), einer flippigen Asiatin an der Gitarre (Noodle) und einem gutmütigen Hünen am Schlagzeug (Russel). Albarn und Hewlett erkennen zusätzliches Potential in der ersponnenen Band: Sie können nach Belieben das Genre wechseln und dazu mit den unterschiedlichsten Gastmusikern arbeiten. Für die Bandmitglieder wurden ausführliche Biografien ausgearbeitet und auf der Website der Band präsentiert, noch bevor die erste Musik veröffentlicht wurde. (Musikfachmagazin Wikipedia)

2001 erschien das erste Gorillaz Album, 2003 die wirklich letzte wichtige Blur Platte Think tank. Die Gorillaz wurden die neue It-Band des Blur Sängers. Gleich ihre Single wurde ein Hit. „Clint Eastwood“ kennt mittlerweile sicher jedes Kind.

Ein bisschen Glück brauchte ich, um an Tickets für dieses Konzert zu gelangen. In ihrer Veranstaltungsreihe Electronic Beats präsentiert die Telekom neben anderen ‘hippen‘ Events immer mal wieder Konzerte, deren Tickets einzig über Verlosungen zu bekommen sind. Schon oft hatte ich mich bemüht, Onlineformulare ausgefüllt und Gewinnspielmails geschrieben, aber nie war ich einer der Gewinner. Auch bei der Verlosung der Tickets für das Gorillaz Konzert scheiterte ich in der ersten Runde, allerdings wurde meine Emailadresse im recall aus dem Bewerbertopf gezogen und mir der Einlass zu dieser Exklusivveranstaltung (sofern ein Tausender-Konzert als exklusiv bezeichnet werden kann) gewährt.

Um 19.30 Uhr, pünktlich zum Einlass, stand ich am Palladium. Die Sicherheitschecks gingen flüssig vonstatten, die Organisation war gut. Etwas irritiert war ich nur, als Telekompersonal im Vorbeigehen darauf hinwies, dass man doch hoffentlich keine Ticketmastertickets hätte. Dieses sei der Einlass für Eventbrite Tickets. Wie, Ticketmaster Tickets? Gab es die auch? Ich schaute nach, auf meinem Emailausdruck stand aber weder Ticketmaster noch Eventbrite. Egal, mit dem Ausdruck war auch so alles in Ordnung.
Das Konzert war für 21.30 Uhr angesetzt, es war also noch eine Menge Zeit, die es sich zu vertreiben galt. Aber ob ich nun zuhause warte oder in einer Konzerthalle, am Zustand des Wartens ändert sich dadurch nicht viel.
Das Palladium war an diesem heißesten Tag des Jahres Gott sei Dank angenehm klimatisiert. Von der Hitze blieb ein ordentlicher Teil draußen. Das war eine meiner größten Sorgen, dass ich an diesem Abend vor lauter Hitze und stickiger Luft elendig vor die Hunde gehe. So waren die Rahmenbedingungen gut, und als pünktlich um 21.30 Uhr Damon Albarn und Kollegen die Bühne betraten, alles andere auch.

Die Gorillaz sind derzeit auf Promotour für ihr neues Album Humanz, das sie an diesem Abend in Gänze präsentieren sollten. Köln war die letzte Station ihres kleinen Werbefeldzuges. Die Setlisten der anderen drei Konzerte standen bereits im Netz und so wusste ich, dass das Konzert zweigeteilt sein würde: Der erste Teil sollte komplett Humanz gehören, der zweite Teil war dann eine Art best-of Set.
Live funktioniert das mit den erdachten Comicfiguren natürlich nicht. Da müssen waschechte Menschen ran, die die Instrumente bedienen. Im Palladium bestand die Gorillaz Band aus zwei Schlagzeugern, einem Gitarristen, einem Bassisten, zwei Keyboardern und vier  Backgroundsängerinnen. (Wenn ich das von meinem seitlichen Stehplatz aus alles richtig im Blick hatte.)

Zu den ersten Tönen von „Ascension“ reckt Damon Albarn beide Fäuste in die Luft. Der Applaus ist riesengroß und ich freue mich, dabei zu sein. Kein Streamingerlebnis der Welt kann doch den tatsächlichen Moment so gut abbilden wie der Moment selbst. Die Frage, warum ich mir das Konzert nicht lieber im angenehm kühleren Ambiente des Wohnzimmers anschaut stellt sich in diesem Moment überhaupt nicht mehr. Gut, wenn ich keine andere Möglichkeit gehabt hätte, dann wäre das Wohnzimmer immer noch super gewesen, aber mit einem Ticketgewinn, nein, so muss man einfach live vor Ort sein. Das geht nicht anders!

Humanz war das Motto der nächsten guten Stunde. Einzig das von Benjamin Clementine gefeaturete „Hallelujah money“ stand nicht auf der Setlist, dafür aber mit „Ticker tape“ und „Out of body“ zwei Songs der Humanz Deluxe Edition. Schon während des Albumsets gab es kleine Gastbesuche. Humanz hat viele Gastsänger, die Liste reicht von De la Soul über Kelela bis hin zu Jehnny Beth und Grace Jones. Dass nicht alle Gastmusiker vor Ort sein können, ist klar. Ich war gespannt, wen die Gorillaz mitbrachten oder ob sie überhaupt jemanden mitbrachten. Der zweite Song „Strobelite“ holte schon mal den Rapper Peven Everett aus den Katakomben des Palladiums. Leider blieb er für längere Zeit der einzige Gastmusiker, der auf der Bühne auftauchte. Song um Song wurde mit Videoeinspielungen anderer SängerInnen gefüllt. Das wirkte auf mich manchmal playback-esk. Die beiden Gitarristen standen dann alleine am Bühnenrand, posierten um die Wette (die eindeutig Gitarrist Jeff Wootton gewann; er ist ein elender Poser)und ihr Gitarrenspiel wirkte dabei so aufgesetzt, dass man den Eindruck gewinnen könne, es sei nicht live. Damon Albarn verzog sich bei diesen Songs komplett von der Bühne. Erst gegen Ende des Albumsets kam dann wieder Bewegung in den Gästeblock.
Jehnny Beth tauchte überraschend zu „We’ve got the power“ auf der Bühne auf. Ich hatte von „We’ve got the power“ das ein oder andere Livevideo gesehen. Ein Spitzensong, der wahnsinnig gut zu Jehnny Beth und Damon Albarn passt. Leider waren weder Kelela noch De la Soul am Start. Wow, ich stelle mir gerade vor wie das gewesen wäre, wenn De la Soul aus dem Nichts herangerauscht wären.

Aber ich will nicht zetern, das Konzert war auf einem enorm hohen Niveau. Beispiele: Einer der Songs hatte diesen unglaublichen Gesangspart von einer der drei Backgroundsängerinnen. Das war sagenhaft. Darüber hinaus bleibt das wilde „Sex murder party“ mit Zebra Katz genauso hängen. Gegen Ende wurde es da ziemlich laut und sehr gut. Und eben Damon Albarn und Jehnny Beth im Duett. Das war mein Konzerthöhepunkt. Während sie versucht, auf den Händen des Publikums zu stehen, was für ein paar Sekunden gelingt, hüpft ein paar Meter weiter hinten auf der Bühne Damon Albarn wie ein kleiner Troll auf und ab. Es war nicht der einzige Moment, in dem es sich lohnte, den Blur Sänger zu beobachten. Irre ich mich, oder wird Damon Albarn immer verrückter? Noch Stunden später (und eigentlich auch noch heute) habe ich sein Zahnlückengrinsen und seinen wirren irren Blick vor Augen. Damon Albarn rennt und kreuzt über die Bühne, springt in die ersten Reihen und spricht oft mit der 360 Grad Filmkamerakugel, die vor der Bühne hin und her fährt. Sein persönlicher Mikrokabelträger hat alle Hände voll zu tun. Immer wieder muss er das Kabel über den Mikrofonständer heben, es aus dem Geflecht von Monitorboxen und Kameraschienen ziehen. Junge, Junge!

Der zweite Teil war dann die erwartete, kleine best-of Sache. Noch einmal kommt Jehnny Beth auf die Bühne (zu „5/4“) und auch  Peven Everett hatte seinen zweiten Rapauftritt („Stylo“).

Setlist Best-of Teil:
Rhinestone eyes
5/4
Sleeping powder
Stylo
On melancholy hill
Kids with guns
Clint Eastwood

Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Diesem schon gar nicht. Es war von der ersten Minute an ein Superabend, für den ich auch gerne ein paar Euros gezahlt hätte. Viel besser können die Gorillaz Konzerte im November des Jahres nicht werden. Oder können sie überhaupt so gut werden? Aktuell möchte ich das anzweifeln, denn die Gorillaz waren an diesem Abend schon verdammt gut!

Kontextkonzert:

Multimedia:
https://www.youtube.com/watch?v=KIzDm35FQyk

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