Ort: King Georg, Köln
Vorband:

Giant Sand im King GeorgDie Ansetzung eines Zusatzkonzertes vor der eigentlichen Veranstaltung wirkt auf mich immer irritierend. Unberechtigterweise, denn der Name Zusatzshow bedeutet nur, dass ein weiterer Termin zu einer existierenden Veranstaltung hinzugefügt wird. Das dieser zeitlich hinter der eigentlichen Veranstaltung liegen muss, gibt die Ergänzung `Zusatz-` dabei allerdings nicht her. Trotzdem hat sich bei mir, und vielleicht auch bei dem ein oder anderen, mit dem Wort Zusatzshow eine Veranstaltung nach dem eigentlichen Konzert verortet. Frei nach dem Motto: es kann ja nur etwas ergänzt werden, was schon da ist bzw. passiert ist.

Einschub:
Das Zusatzkonzert von Giant Sand im Kölner King Georg, darum geht es nämlich hier, bietet mir Gelegenheit, meine abstruseste Geschichte zu Zusatzkonzerten zu erzählen. Ende 2009 gaben Pavement bekannt, im September 2010 zwei Reunionkonzerte im Central Park von New York spielen zu wollen. Schnell wurden aus den zwei Konzerten vier, ein paar Wochen später wurde gar eine zusätzliche Welttournee angesetzt. Wohlgemerkt, alles Zusatzkonzerte, verteilt über den gesamten Erdball und – jetzt kommt es – mit der Pointe, dass sie alle vor der eigentlichen Reunion stattfanden. So kam es, dass ich die wiedervereinten Pavement in Berlin, Barcelona, Nijmegen bereits vor dem ursprünglichen Reunionkonzert sah. Fand‘ nicht nur ich lustig, sondern auch die Band, die mit viel Witz und Selbstironie ihre Songansagen immer wieder mit dieser Thematik anfütterte. Einschub beendet.

Facebook erinnerte mich letzte Tage daran, dass ich ziemlich genau vor einem Jahr Howe Gelb mit seinen beiden Mitmusikern live gesehen habe. Als Howe Gelb Trio gaben sie im tollen Domicil in Dortmund ein Jazzkonzert, das mich sehr beeindruckte. Howe Gelb, diesen Kerl hatte ich bis dato gar nicht auf meiner Musiklandkarte.
Trotzdem oder gerade deswegen überlegte ich sehr lange, ob ich das Giant Sand Albumkonzert zu Return to the valley of rain besuchen sollte oder nicht. Kann es so toll werden wie vor einem Jahr? Und machen Giant Sand nicht auch so Countryindie? Ich war unsicher und wusste es nicht besser. Dass das King Georg bei stark besuchten Konzerten – und dieses Konzert schrie danach, stark besucht zu werden – ein gänzlich schlechter Konzertort sind, kommt zu den Fragen noch obendrauf. So vergaß und verdrängte ich den Ticketkauf und wurde erst wieder wachgeküsst, als eine Nachricht in den digitalen blaugefärbten Newsfeed flatterte, die mich darauf hinwies, dass für das Zusatzkonzert nur noch drei Tickets zu haben seien. Nun, einer der drei Käufer war ich, das Zusatzkonzert war am Abend auch ausverkauft.

The return to valley of rain ist die letzte Veröffentlichung von Giant Sand, und zugleich die erste. Wie das geht? Ganz einfach, die Debütplatte wurde dieses Jahr unter anderen (besseren?) Bedingungen wiederveröffentlicht.

Valley of Rain war Giant Sands Debutalbum, das 1983 aufgenommen und schließlich 1985 veröffentlicht wurde. Darauf zu hören Howe Gelb am Gesang und Gitarre, Winston Watson und Tommy Larkins am Schlagzeug sowie Scott Garber am Fretless Bass. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Howe mit den Möglichkeiten von Röhrenverstärkern nicht vertraut und hatte den größten Teil des Albums mit einem Roland JC120 auf 8-Spur-Geräten in Korea Town, Los Angeles, aufgenommen. Als Enigma Records das Album veröffentlichte, verlangten sie weitere 15 Minuten Musik, um daraus eine vollständige LP zu machen. Während der Aufnahmen dazu lieh sich Howe sich einen im Studio gelagerten Amp, entdeckte den Sound eines Röhrenverstärkers und seine Welt veränderte sich für immer. Während ihrer ersten Nacht in Los Angeles wurde der Van der Band ausgeraubt und Alles darin gestohlen bis auf das vorgemischte Band von Giant Sand das nicht gefunden wurde weil es hinter einem großen Kaktus im Innenraum des Vans versteckt war, der die Einbrecher mit seinen Nadeln in Schach hielt. Das Album konnte dann wie geplant nach dem Einbruch gerettet und veröffentlicht werden, aber der Sound des Solid-State-Amps schien für Valley of Rain immer ein Fehler zu sein. 30 Jahre später, nachdem die Band auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt worden war, hatten sich eben diese ersten Songs in die letzten Giant Sand-Touren eingeschlichen. Es schien mehr als angebracht diesem Album einen zweiten Versuch mit dem richtigen Verstärker zu geben nur um zu sehen wie es hätte klingen sollen. Also nahmen Giant Sand das Album erneut mit einem Fender 30 Röhrenverstärker auf.

The return to valley of rain ist ein sehr lautes, gar punkrockiges Album ist. Ich kenne zwar nur die neue Abmischung, aber von den Grundzügen her kann es 1985 nicht viel anders gedacht gewesen sein. Das verwunderte mich, denn Giant Sand hatte ich viel stärker in die ruhige Americana, Folk Ecke gepackt. Neofolkies nannte man damals Bands wie Swell, Calexico, Chris Cacavas, die Bedlam Rovers und im weitesten Sinne auch die Meat Puppets, die die Spex auf ihrem wunderschönen Sampler Hit me with a flower zusammenführte. Obwohl Giant Sand dort nicht vertreten waren, zählte ich sie, genauso wie Low, auch zu den Neofolkies. Das war scheinbar nicht ganz korrekt von mir.

Wie vor einem Jahr stehe ich einem Trio gegenüber. Neben Howe Gelb komplettieren Thøger Lund und Gabriel Sullivan das Power-Trio, wie Giant Sand in der Konzertankündigung untertitelt werden. Nominell ist es damit ähnlich wie im Domicil, nur der Konzertrahmen ist weniger gediegen und die Musik weniger leise. Im King Georg wird gerockt auf Teufel komm‘ raus.

‚Where is the stage?‘ Die Vierergruppe Briten scheinen zum ersten Mal das King Georg zu besuchen. Verwirrt guckten sie durch die Eingangstür und suchten mit den Augen nach der Bühne. ‘Am anderen Ende des Raums‘, sagte jemand. Die Blicke wurden darauf nicht minder verwirrt. Eine Bühne im herkömmlichen Sinn hat das King Georg nicht, eher einen kleinen freien Platz, an dem keine Besucher sondern die Band steht und spielt. Auf Augenhöhe, sozusagen. Wer das nicht weiß und dann noch zeitlich knapp dran ist, kann schon mal ernüchternd reinschauen, weil er dann vor lauter Hinterköpfen nichts sieht. Also wirklich nichts.

So wie ich. Ich bin spät und sortiere mich am Thekenrand auf mittlerer Höhe des Raums ein. Natürliche sehe ich die Band nicht, bekomme nur vom Hörensagen mit, dass es vorne technische Probleme zu geben scheint und sich der Auftritt von Giant Sand so ein bisschen verzögert. Ein Kabel scheint defekt.
Was in der nächsten dreiviertel Stunde vorne passiert, geht völlig an mir vorbei. Ab und an sehe ich eine Truckerkappe hin und her schwingen, mehr ist von der Band von meiner Position nicht auszumachen. Ich halte jedoch fest: Der Sound ist rockig, die Gesangstimme kommt mit enorm viel Hall, die Gitarre klingt quietschend und das Schlagzeug scheppernd. Obwohl das Konzert rockig rasant nach meinem Geschmack klingt, kann ich mich nicht hundertprozentig darauf einlassen. Da der Fixpunkt Bühne wegfällt, schweift mein Blick umher und ich beobachte andere Besucher, die teilweise mich zurück beobachten oder andere Dinge machen, die man eben macht, wenn man keinen Blick auf die Bühne hat: Paare küssen sich, andere starren auf ihr Bierglas, beobachten Leute auf der anderen Seite der Theke, fingern an ihrem Mobile herum oder unterhalten sich mit ihrem Nachbarn. Einige schauen aber auch nach vorne in Richtung Bühne, obwohl sie nur Hinterköpfe sehen. Da hält sich das Liveerlebnis in Grenzen und ist in etwa so, wie wenn man sich YouTube Konzertvideos anschaut und nebenbei etwas mit Word arbeitet. Man ist abgelenkt und nicht bei der Sache. Bin ich auch nicht.
Aber ich sehe wenigstes ab und an eine Truckerkappe. Als Howe Gelb sie im Laufe des Abends ablegt, geht mir auch dieser Anhaltspunkt verloren.

Gegen Konzertende melde ich Entwarnung. Einige sind bereits gegangen und so öffnet sich für mich ein schmaler Blicktunnel und ich sehe ein bisschen mehr. Ich erkenne ab und an den Schlagzeuger und bemerke, dass ich den Bassisten lange Zeit für einen Besucher gehalten habe. Und ich wunderte mich schon, warum er oft und viel mitsang.

Kontextkonzerte:
Howe Gelb Trio – Dortmund, 30.11.2017 / domicil

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