Ort: Palladium, Köln
Vorband: Dutch Uncles

Garbage

Plötzlich war da Blitzeis. Ich weiß nicht, ob es Ende der 1990er Jahre diesen Begriff für plötzliches auftretendes Glatteis schon gab, heutzutage würde man es so nennen. Blitzeis. Es ruiniert uns unseren Garbage Konzertbesuch. Wir waren an diesem Wintersonntag auf dem Weg aus dem nördlichen Ruhrgebiet in Richtung Köln. Garbage sollten im Palladium auftreten, Grund genug, dahin zu fahren. Das Wetter war widrig, es schneite leicht, als wir uns auf den Weg machten. Ab Wuppertal wurde es dann immer heftiger, vor Remscheid ging auf der A1 schließlich nichts mehr. Wir standen im Schneestau und konnten förmlich mit ansehen, wie die Straße vereisten. Jedes Anfahren an dieser kleinen Hügelkuppe in der Nähe der Raststätte Ehrenberg – die damals noch keinen McDonalds beherbergte – wurde zur Schlidderpartie. Nach vielen Minuten des Stehens und der Sorge, dass wir oder jemand uns in den Wagen rutschte, entschieden wir, umzudrehen. Pünktlich wären wir eh nicht mehr in Köln angekommen, und eine spätere Rückfahrt unter vielleicht noch wilderen Bedingungen wollten wir nicht riskieren. Kein Konzertbesuch um jeden Preis. Pure Vernunft darf manchmal siegen.
So blieb es vorerst bei dem famosen Garbage Konzert 1998 auf der Loreley. Dass ich danach noch einmal ein Garbage Konzert gesehen habe, glaube ich nicht. Die Band wurde mit ihrem dritten Album beautifulGarbage, dass 2001 veröffentlicht wurde, größtenteils uninteressant für mich. Ausschließen mag ich aber einen weiteren Konzertbesuch nicht; falls es einen gegeben hat, habe ich keine Erinnerungen mehr daran. Das spricht nicht für die Band, das ist mir klar.

Was bleibt, sind somit ein Loreley Konzert und noch ein anderes irgendwo vor noch längerer Zeit, sowie ein tolles erstes Album. Dieses famose erste Album war denn auch der Grund, dass ich 2015 wieder ein Garbage Konzert besuche. 20 Jahre Queer, so ist die aktuelle Tour untertitelt. 20 Jahre Garbage. Der Konzertbesuch bedarf keiner Erklärungen. Wir werden alle älter, aber das es manchmal so schnell geht, überrascht mich immer wieder. 20 Jahre ist es schon her, dass Garbage ihr Debütalbum veröffentlicht haben. 20 Jahre alt sind Hits wie „Queer“, „Stupid girl“, „Not my idea“, „Supervixen“, „Vow“, „Milk“, „Only happy when it rains“ bereits. Unglaublich! Was war das damals für ein Knülleralbum. Wir mochten das alle, jeder war ein bisschen in Shirley Manson verliebt.
Die neue Band von Superproduzent Butch Vig, so wurden Garbage damals sehr oft genannt. Hatte er sich doch einfach die Schottin Shirley Manson in seine bereits existierende Jungsband geholt und so die Gruppe gegründet. Und Garbage kamen irgendwie zur richtigen Zeit. Die Alternative Rock und Grunge Phase war am auslaufen, Nirvana, L7, TAD, dessen Alben der Ami produzierte, waren bereits lange Schnee von gestern, und auch Grunge 2.0, also Soul Asylum oder die Smashing Pumpkins – ebenso von Butch Vig produziert – hatten, wenn ich das richtig überein bringe, ihre stärkste Phase hinter sich. Und just in dieses Loch kamen Garbage und wurden MTVs neue Lieblinge. Kein Wunder, denn die Band war enorm fernsehtauglich, ihr Debüt voller Hits und musikalisch eine gute Mischung aus Alternative und Mainstreamkompatibilität. Ihre Songs liefen sowohl auf 120 Minuten als auch im Nachmittagsprogramm.
Da auch das Nachfolgealbum Version 2.0 mit „Push it“ und „I think i‘m paranoid“ (warum haben sie das eigentlich nicht gespielt?) zwei Welthits hatte, war die Sache mit der one-album Band auch schnell vom Tisch.

Ja, Garbage waren wer. Damals. Und genauso lange wie so ein ‚damals‘ klingt, habe ich die Band nicht mehr wahrgenommen. Es wurde also wieder Zeit.
Garbage touren derzeit mit Nostalgiekonzerten um die Welt. Am Tag zuvor waren sie noch in Washington DC, mit dem Kölner Abend beginnt der Europa Slot der Queer-Tour. 20 Jahre Garbage heißt das Motto der Tour und das Motto des Abends. Oder: when we were young(er).
Das Palladium, nicht ausverkauft aber sehr gut besucht, war voll mit Mittvierzigern. Die Ankündigung gleich zu Beginn des Sets von Shirley Manson stellte die Richtung für die nächsten gut 90 Minuten vor: Sie wollen nur Songs aus der Phase um 1995 spielen. Das hieß in der Umsetzung: Albumstücke, Single-B-Seiten und andere Veröffentlichungen. So kam es denn auch, dass sich zwei Coverversionen in das Programm schlichen: The Jams „Butterfly collector“ (B-Seite der Queer Single) und Vic Chesnutts „Kick my ass“, den Garbage zum Chesnutt Tribute Sampler Sweet Relief II: Gravity of the Situation beisteuerten.

Schon während der Umbaupause wurde ich mit dem Soundtrack meiner twentysomethings Jahre so wundervoll auf das Konzert eingestimmt, wie es wundervoller nicht geht: nacheinander liefen Bettie Serveert’s „Tomboy“, Lush’s „Ladykiller“, „Candy” von Iggy Pop und Kate Pierson, Ash’s „Girl from mars“ , Slowdive, noch anderer Shoegaze und weiterer zeitlich passender Kram. Die Zeitkapsel Palladium wurde perfekt vorbereitet und eingestimmt.
Hinter einem heruntergelassen Vorhang laufen die letzten Bühnenarbeiten und bevor Garbage den ersten Song hinter dem Vorhang spielten (wer hat das nochmal genauso gemacht?) lief ein Videofilmchen mit Backstage- und Konzertaufnahmen zur damaligen Albumtour. Als der Vorhang fällt, sieht man die Band mit Tiermasken. Yo, es ist ja Halloween. „Supevixen“ und „Queer“ folgen. Nostalgie allenthalben. Perfekt und makellos verteilt. Es gab zwar zu Beginn ein kleines Problemchen mit der Technik, die Monitorboxen wollten nicht so recht, aber ansonsten kam mir das Konzert sehr durchgestylt rüber. Dass die Band zu glatt sei, zu perfekt, war eine der oft gehörten Kritiken während ihrer Hochphase. Ich hab das damals nicht recht verstanden, und so kann ich ihnen auch nicht übel nehmen, dass dieses Konzert so super klang und aussah, dass ich phasenweise dachte, es sei eine Playback Show.
Wie gesagt, 1998 auf der Loreley sah ich die Band zum letzten Mal. 2015 hat sich zu damals kaum etwas geändert: Shirley Mansion läuft immer noch Kreise auf der Bühne, die Gitarristen Duke Erikson und Steve Marker sind immer noch kleine Poser und das Outro von „Not my idea“ zerfasert 2015 genauso stimmig mit den New Order Songzeilen ‘Oh you’ve got blue eyes / Oh you’ve grey eyes / Oh you’ve got green eyes‘ („Temptation“) wie anno dazumal.
Der Abend läuft. Es folgt Hit an B-Seite an Hit. Die Band bleibt nichts schuldig, spielt alle wichtigen Albumsongs. Das Palladium nimmt sie dankend auf. Es singt, es hüft, es tanzt. Es ist zufrieden. Ich bin es auch. Grundsätzlich erwarte ich von Nostalgiekonzerten nicht viel. Doch selbst wenn ich große Erwartungen gehabt hätte, Garbage hätten sie erfüllt. Oh ja, die Band überzeugte mich in ihren 90 Minuten enorm und ich darf – wie schon so oft – feststellen, dass diese Art von Konzert durchaus Sinn macht. Klar, an solchen Abenden wir die Musikwelt nicht neu erfunden und innovative Momente sucht man vergebens, aber einen Besuch lohnt allemal und immer wieder. Es ist so, wie einen guten alten Bekannten reffen. (Und nicht so wie die blöden Klassenkameraden von damals). Man versteht sich auf Anhieb, hat sich was zu sagen, erinnert sich gutgelaunt an längst Vergangenem, hat eine schöne Zeit und geht mit dem doch guten Gefühl auseinander, dass man sich so schnell nicht wiedersieht.
Zur Zugabe brechen Garbage ein einziges Mal mit ihrem Konzept. Zwei Songs bilden den Abschluss des Konzertes, die nicht aus der 1995er Phase kommen: „Push it!“ (vom Album Version 2.0) und „Cherry lips“ vom dritten Album beautifulGarbage. Aber verflucht, wo blieb „I think i’m paranoid“.

“This is not my idea of a good time,” singt Shirley Manson. Im Bezug auf den Samstagabend im Palladium hat sie damit unrecht.

Setlist:
01: Supervixen
02: Queer
03: Driving lesson
04: As heaven is wide
05: The Butterfly Collector
06: Not my idea
07: Trip my wire
08: Milk
09: Fix me now
10: My lover’s box
11: Sleep
12: #1 Crush
13: Stupid Girl
14: Dog new tricks
15: A stroke of luck
16: Only happy when it rains
17: Vow
Zugabe:
18: Kick my ass
19: Girl don’t come
20: Cherry lips
21: Push It

Fotos:

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