Ort: Astra Kulturhaus, Berlin
Vorband:

Future Islands

‚Das Konzert ist erst beendet, wenn sein Hemd durchgeschwitzt ist. Wetten?!‘ Nach einer guten halben Stunde Future Islands im Berliner Astra Kulturhaus unken wir ob der ersten sich bildenden Schweißflecken auf dem hellblauen Hemd von Samuel T. Herrings. Der wiedermal klassisch in norm-core gekleidete Future Islands Sänger hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine Menge seiner berühmt berüchtigten Tanzeinlagen hinter sich gebracht und zeigte erste äußere Anzeichen von Anstrengung.
Doch was um alles in der Welt ist dieses norm-core? Lustigerweise schnappte ich den Begriff vor einigen Tagen gleich zweimal in Verbindung mit den Future Islands auf. Unter norm-core versteht man einen Unisex-Modetrend, der sich durch unauffällige, durchschnittliche Kleidung ausdrückt. Samuel Herring liegt da scheinbar voll im Trend, für mich trägt er ganz normale Alltagskleidung, so wie ich und tausend andere das schon seit Jahren tun. Da ich jedoch nicht über Mode blogge, muss ich mich hier nicht genau auskennen sondern stelle lediglich fest, manchmal ist es vielleicht schön, Dingen neue Begriffe zu geben, und norm-core klingt nun mal viel besser als Massenmode.

Denn mit Musik und dem Future Islands Konzert hat das alles überhaupt nichts zu tun. Auch nicht in Berlin- Friedrichshain, wo die Moden entstehen, wo man nicht norm-core sein möchte, es sei denn, norm-core ist gerade hip. Das Astra Kulturhaus liegt da quasi mittendrin, zwischen Boxhagener Platz und Warschauer Straße. Wer noch nicht da war, sollte da mal hin, es ist lustig.
Das Astra selbst ist relativ groß und leider relativ unübersichtlich. Deckenpfeiler versperren bei ungünstigem Platz die Bühnensicht und die paar Mal, die ich hier war, war die Luft immer extrem stickig und die Besuchermasse sehr groß. Nein, es macht nicht wirklich Spaß, hier Konzerte zu sehen, aber lamentieren nützt nichts. Denn nicht hingehen ist auch keine Option.
Da ich mich an diesem Abend im Vorraum verquatsche, bin ich erst zu den Future Islands im Saal und habe genau das Problem, dass besagte Deckenpfeiler störend sind. Ich quetsche mich also stärker in die Mitte und bin froh, hier nicht schon eine Stunde stehen zu müssen. Es ist unangenehm Luftwarm. Und gleich tanzt sicher auch noch jeder zu „Seansons (waiting on you)“ oder „A Dream of you and me“ oder „Fall from grace“, den Welthits des aktuellen Albums Singles. Und insgeheim denkt dann jeder, ohh, ich möchte auch gerne so schön tanzen können wie Samuel Herring. Der Begriff Ausdruckstanz ist da noch untertrieben.

Warum sind die Future Islands eigentlich aktuell so erfolgreich? Jahrelang interessierte sich niemand ernsthaft für die Band aus Baltimore. Jahrelang tourten die Future Islands mit ihren Songs zwischen Synthie-Pop und Indie-Rock nahezu unbemerkt durch die Klubs Europas. Das Internet gibt neben den uneingeschränkten Livequalitäten der Band ihrem Fernsehauftritt bei Letterman die Schuld für die aktuelle Erfolgswelle.

On a Monday night in early March, everything changed for Future Islands. The Baltimore synth-pop trio was in New York to make its national television debut on the Late Show With David Letterman, performing “Seasons (Waiting on You),” the first single from its new record, Singles, when singer Samuel Herring lowered his hips, held one hand in the air like a beacon and unleashed a series of dance moves that set the Internet ablaze.

Though the Letterman appearance made Future Islands more of a household name, the reality is that the band, rounded out by keyboardist-programmer Gerrit Welmers and bassist-guitarist William Cashion, has been one of the most reliable live acts in indie rock for years, and Herring’s magnetic stage presence is a big reason why. (Quelle)

Live sind die Future Islands in der Tat unglaublich. Auch und gerade wegen Samuel Herring. Ich sah die Band im Frühjahr auf dem Primavera zum ersten Mal, kannte nichts von ihnen und konnte dann aber ihren Auftritt nicht einfach vorzeitig verlassen. Ein typisches Festivalphänomen von mir, ich gucke eine Band – meist aus Verlegenheit mangels bekannterer Alternativen -, die ich im Vorfeld irgendwie als interessant erachtet habe und schwupps, hat sie mich gepackt. „Seasons…“ klebte das gesamte Barcelona Wochenende an mir und wurde eines der Lieder des Sommers. Ich war mächtig beeindruckt von der Show, vom wilden und wüsten Rumgehampel des Sängers, das so natürlich wirkte, so passend zur Musik war und mir überhaupt nicht geplant und effekthaschend erschien. Eine Augenweide, und das scheinbar nicht nur für mich. Gestern entdeckte ich im Internet eine Seite, in der der i-touch-myself, der squat-and-wobble und noch ein paar andere Tanzschritte Herrings ausführlich beschrieben werden. Zum Schmunzeln und für Fans!
Und ich würde lügen, wenn ich nicht eine ähnlich gute Show (und ein ähnlich gutes Konzert) wie die in Barcelona erhoffte, nein erwartet hätte. Um es kurz und knackig zu sagen: Erwartung erfüllt, Future Islands.

Das Konzert ist brillant, steigert sich enorm und hat einen uneingeschränkten Unterhaltungswert!
Natürlich ist die Präsenz von Herring das entscheidende Ding bei Future Islands Konzerten. Er unterscheidet sich so deutlich von seinen Mitmusikern: Gerrit Welmers steht angewurzelt hinter seinen Keyboards und Gitarrist William Cashion hält sich mit Rockstargesten ebenso sehr bedeckt.

Es beginnt ruhig und leicht chaotisch. Herring erzählt zu Beginn viel und bewegt sich wenig. Zum Wohle der Fotografen (die Bühne ist gut ausgeleuchtet, was später nicht mehr so der Fall ist) und zum Reinkommen, vermute ich. Probleme, das Publikum mitzunehmen, haben sie von Beginn an nicht. Viele im Saal scheinen die Future Islands bereits gesehen zu haben und sind mit großer Vorfreude bei der Band. Die Stimmung so von Beginn an gut. Als die Musiker selbst nach zwei, drei Songs drin sind, passiert das Drum-Synthesizer-Elektro-Missgeschick. Irgendwie überdreht die Technik und die Synthietöne beginnen zu hüpfen. Ich bin Techniklaie, daher weiß ich es nicht besser zu beschreiben, als dass es so klingt, als ob jemand den Geschwindigkeitsregler hochgedreht hätte. Natürlich kommt die Band aus dem Takt und muss abbrechen. Soweit, nicht schlimm. Beim zweiten Versuch passiert allerdings das gleiche Dilemma ein paar Takte später. Die Band ist ratlos, keiner weiß scheinbar so recht, was los ist. Nach kurzem hin und her und entspanntem Gelächter gehen sie dann zum nächsten Song über, der ganz klassisch ohne Synthesizer sondern nur mit Gitarre und Schlagzeug dargeboten wird. Nachdem Gerrit Welmers den einen Song lang sein Keyboard neu justiert hat, starten sie den dritten Versuch. Unter großem Jubel überstehen sie die beiden Abbruch-Sequenzen der vorherigen Versuche.
Danach läuft es wie geschmiert und es wird ein Konzert ohne weitere besondere Vorkommnisse, aber immer mit stilvollen Tanzeinlagen. Nach knapp 2 Stunden und vier Zugaben ist das Hemd auch an den Seiten durchgeschwitzt und das Konzert zu Ende.

Die Future Islands sind live eine Wucht.

Kontextkonzert:
Primavera Sound Festival – Barcelona, 29.05.2014

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