Ort: Lido, Berlin
Vorband: Farfara

Deerhoof

U-Bahngespräche.
Wir sitzen in der U1 Richtung Hallesches Tor. Um Mitternacht ist das U-Bahn fahren manchmal nervig, an diesem Abend stört jedoch niemand die nächtliche Ruhe. Gegenüber von mir sitzen drei junge Erwachsene, die – genau wie ich – aus dem Lido kommen. Die beiden Jungs haben Platten gekauft, sorgsam verstauen sie sie in Jutebeuteln und beginnen, sich über das Deerhoof Konzert zu unterhalten. Gedankenaustausch, Auffälligkeiten, eben Dinge, die es nach einem Konzertbesuch zu bereden gibt. Einer der beiden hat am Merchstand zudem ein T-Shirt erstanden. Das Mädchen in der Runde begutachtet es genau und sagte etwas dazu.
Schnell kommen sie auf Bandmerchartikel im Allgemeinen zu sprechen. Auf die Health T-Shirts beim Interpol Konzert zum Beispiel, wo er scheinbar auch ein Exemplar abgegriffen hat. Ob er denn die T-Shirts auch zur Arbeit trägt, möchte sein Kollege wissen. Ja manchmal, so die Antwort. Das schien jedoch nicht genug der Auskunft. Mit was drüber oder einfach so? Die Nachfrage kommt direkt hinterher. Nun, da er in seinem Job Kundenkontakt hätte schon mit was drüber. Ein Hemd oder einen Pullover, je nachdem. So ging es noch etwas hin und her, das Thema wechselte zu Hemdenzwang am Arbeitsplatz und anderen Joblästigkeiten. Ich höre nicht mehr so genau hin.
Als ich am Halleschen Tor die Bahn wechsel, denke ich nur: Deerhoof, Health, …and you will know us by the trail of dead. Das passt, der Musikgeschmack der drei ist stimmig.

Drei Stunden zuvor war ich in umgekehrter Richtung unterwegs. Um kurz nach neun verließ ich die U1 am Schlesischen Tor und trottete zum Lido. Mit mir trottete ein ganzes Grüppchen Leute in die gleiche Richtung mit der gleichen Absicht.
Ausverkauft, so erklärt dann auch der ausgedruckte DIN A4 Zettel an der Eingangstür. Etwas verwunderlich nehmen wir das zur Kenntnis. Ein Deerhoof Konzert habe ich zumindest nicht mit einem vollen Lido gleichgesetzt. Aber gut, es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Band und ihr Fanverhalten über- oder unterschätze.
Deerhoof, die Band aus San Francisco, sagt mir ’so am Rande‘ etwas. 100% habe ich sie nicht auf meinem Radar. Immerhin kenne ich das, was man so kennt. Ein bisschen was von Holdypaws und den Durchbruchalben Reveille und Apple O‘. Bei einem Backkatalog von mittlerweile 13 Alben ist das jedoch fast nichts. Und der Spruch lange nicht gehört passt hier so gut wie nirgendwo. Aber da ich nun mal in Berlin bin, kann ich auch zu ihrem Konzert gehen.

1994 gründete der Bandschlagzeuger Greg Saunier Deerhoof als Bass und Schlagzeug Improvisationsduo. Was nach Jazz klingt, ist es jedoch nicht. Noise, Punk und Avantgarde waren und sind die Stilrichtungen, die man Deerhoof zusagt. Greg Saunier ist auch der aktuelle Bandleader. Zwei- oder dreimal verlässt er an diesem Abend seinen Arbeitsplatz, um am Gesangsmikrofon gebückt stehend die ein oder andere Geschichte zu erzählen. Diese auf Deutsch radebrechend vorgetragenen Ansagen über die Bühnenausleuchtung (‚Das weiße Licht zeigt uns sehr gut.‘) und weitere Tourerlebnisse mit ihrem Bookingmanager Andreas sind dabei genauso konfus und aberwitzig lustig wie das gesamte Konzert. Denn ja, konfus und wie ein großes Durcheinander kommt mir der Deerhoof Auftritt vor. Allerdings fühlte ich mich noch nie so kurzweilig von einem Durcheinander und Kuddelmuddel unterhalten wie an diesem Abend. Das, was die Musiker live veranstalteten, war sagenhaft. Deerhoof haben bemerkenswerte musikalische Strukturen, die auf der Bühne nur wenig mit den Konservenaufnahmen gemein haben. Es pfiepst, ranzt, lärmt und alles ist irgendwie unfassbar.

Mag Greg Saunier vielleicht der Boss der Band sein, meine Augen richten sich nahezu ausschließlich auf die Bassistin Satomi Matsuzaki. Die gebürtige Japanerin ist wie ein Pflummi. In ihrem blau- weißen T-Shirtkleid ist sie hyperaktiv ununterbrochen in Bewegung. Sei es mit seltsamen Armchoreographien oder durch banales hin- und hergehüpfe. Kaum eine Sekunde steht die kleine Japanerin still. Eigentlich nur einmal, als sie dem Bandleader das Mikrofon überlassen muss und seinen Schlagzeugpart übernimmt.
Sonst stolpert sie mit ihrer hohen Piepsstimme durch die Songs, die manchmal auch nur Tracks sind. Deerhoof’s Konzert erscheint mir wie eine einstündige Jamsession, wie frisch improvisiert. Songs vom aktuellen Album La Isla Bonita (nein, es ist kein Madonna Coveralbum!), es soll das eingängigste der Bandgeschichte sein, höre ich kaum heraus. Oft sind die Übergänge zwischen den Stücken nahtlos, oft verwirren mich die anderen musikalischen und avantgardistischen Konfusitäten. Es fällt mir schwer, einzelne Stücke auszumachen, allerdings kenne ich mich auch zu wenig im Deerhoof Repertoire aus, um jetzt genau sagen zu können, das ist der und dies ist jener Song. Und wie schon erwähnt, langweilig ist ihr gut einstündiges Konzert zu keinem Zeitpunkt. Ich fühle mich prächtig von Greg Saunier, Satomi Matsuzaki und den beiden Gitarristen John Dieterich und Ed Rodriguez unterhalten. Und das nicht nur weil letzterer Gitarre so schön rosa phosphoreszierend leuchtet. Nein, Deerhoof überzeugten live auf ganzer Strecke, und wer auf gitarrenlastiges Durcheinander steht, sollte sich die Amerikaner unbedingt näher anschauen. Es ist nicht verwunderlich, dass Stephen Malkmus sie toll findet. Das passt genauso zusammen wie das Tragen von Health, Trail of Dead und Deerhoof T-Shirts.

Die Vorband Farfara sehe ich nur kurz beim reinkommen. Als ich das Lido betrete, spielt die Berliner Band bereits. Ich höre lange Gitarrenparts, krautrockhaft monoton. Mehr kann ich zu Farfara nicht sagen, ich habe sie nicht bewusst wahrgenommen. Der Applaus war sehr entgegenkommend, mies können sie also nicht gewesen sein.

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