Ort: SO36, Berlin
Vorband:

Chelsea Wolfe

‚Scheiß Touristen‘. So empfing mich die Hauptstadt vor knapp einer Woche, als ich mit dem Flughafenbus von Tegel Richtung Friedrichstrasse fuhr. Scheiß Touristen, das kann man vielleicht in Ausnahmesituationen denken, sollte es aber lieber nicht laut formulieren. ‚Dumme Berlin-Zugezogene‘, dachte ich entsprechend auch nur, warum fahrt ihr auch mit dem Flughafenbus in die Stadt. Nehmt doch die regulären U-Bahn oder Buslinien, da stehen dann vielleicht nicht so viele Koffer im Gang und es ist vielleicht nicht so voll. Aber vielleicht kennt ihr die Busfahrpläne nicht, weil ihr sonst nur mit dem Taxi unterwegs seid. Ach was weiß ich. Aber war es wirklich nötig, eine Woche später dafür zu sorgen, dass der Flughafenbus nicht fährt? Wie soll ich ‚Scheiss Tourist‘ denn jetzt zum Flughafen kommen? Wenn ihr schon keine Touristen wollt, dann müsst ihr schließlich auch dafür sorgen, dass sie wieder abreisen können. Der Ausfall des Flughafenbuses aufgrund irgendeiner Demonstration ist da nicht sonderlich hilfreich. Mit Chelsea Wolfe hat das alles nichts zu tun, schon aber mit meiner Berliner Konzertreise. Und geärgert hat es mich allemal.

Chelsea Wolfe war das letzte Konzert meiner unterhaltsamen Woche in Berlin. Allerdings war sie auch einigermaßen anstrengend, so dass ich mehr als viermal überlegen musste, ob ich es an diesem Abend in das SO36 schaffe. Als ich nachmittags im Internet nach guten Argumenten suchte, doch hinzugehen, wurde ich schnell auf der Facebookseite der Band fündig. Gepostet war ein Instagram Bild vom Arm der Sängerin. Die Nadel eines Tropfes steckte im Ellenbogenbereich. Darunter stand geschrieben:

German voice doctor who treats lady gaga & eric clapton fixed me up so Berlin show is on ! see you tonight SO36. heard it’s sold out !

Das relativiert meine Müdigkeit in den Beinen enorm. Wenn hier jemand alles unternimmt, um abends auf der Bühne stehen zu können, sollte ich das wertschätzen und hingehen. Alles andere wäre unhöflich.
Das SO36, nun war ich also auch mal dort, war voll. Ausverkauft in der Tat. Und dann auch noch hochverlegt aus dem Lido. Chelsea Wolfe ziehen also. Doch wer ist diese Band eigentlich, von der ich nur ihr aktuelles Album Abyss kenne, das aber sehr liebe. Die Sängerin Chelsea Joy Wolfe ist Chelsea Wolfe. Ihre Musik wird von Fachleuten vielsagend mit Drone-Metal-Art-Folk umschrieben. Ich nenn es Albtraumindie.
Chelsea Wolfe sind düster, sehr düster. Ihr Wall of sound, zu dem sich die meisten Songs aufplustern, ist dramatisch. Metal Gitarren klingen durch, und etwas, das man früher mal Gothic genannt hat. Ein Soundtrack für Endzeitszenarien, Einsamkeit oder unendliche Traurigkeit. Mir fällt gerade keine andere Band ein, die aktuell sowas auf die Beine stellt. Ich kann das nur schwer beschreiben, ich empfehle aber jedem, sich mal den Song „Survive“ anzuhören. Am besten in einer Liveversion.
Denn live wirkt das Ganze noch eine Spur dramatischer als auf Platte und entsprechend in Szene gesetzt. Dunkle Bühnenausleuchtung, sehr laute Gitarren und Keyboards. Zwischen den Songs wimmert das Keyboard dumpf vor sich hin. Stille entsteht erst, als Chelsea Wolfe nach gut einer Stunde das Set beendet haben. Wow, wie beeindruckend war das denn? Und wie viele Hits sie doch hat. Obwohl ich nur das letzte der drei Chelsea Wolfe Alben kenne, habe ich das Gefühl, nahezu alles gekannt zu haben. Vielleicht lag der Schwerpunkt des Konzertes aber auch nur auf der aktuellen Scheibe. Gleich zu Beginn „Carrion flower“, sehr früh dann „Dragged out“ und „Maw“, später „Simple death“, „Grey days“, „Survive“, „Iron moon“ und „Survive“.
Immer wieder wow! Faszinierend und angewurzelt verfolge ich das Konzert. Es reicht nur zu einem seichten Kopfnicken. Ja, ich bin gefesselt von diesem Sound, von der Dramatik, vom Lärm.
Wie spielt sie eigentlich, wenn sie nicht krank ist? Diese Frage stellten wir uns nach dem gut neunzigminütigen Abend. Von einer schwächlichen Stimme ist nämlich nichts zu hören. Natürlich liegt ein enormer Hall unter dem Gesang, der trotzdem klingt die Stimme fit.

Nach dem Konzert bin ich irgendwie kaputt. Es war einer dieser Auftritte, die ich nicht so einfach wegwischen kann. Nach einem solchen Konzert gehe ich nicht einfach raus und lasse mich durch die Straße ablenken. Da brauche ich Zeit. Noch lange verfolgten mich an diesem Abend diese düsteren Gitarren, das treibende Schlagzeug gegen Ende von „Survive“, der gesamte Song „Color of blood“.
Wow!

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