Ort: Live Music Hall, Köln
Vorband:

Blumfeld

Blumfeld. Warum kommen die denn jetzt auf Tour? Okay, 20 Jahre L’etat et moi ist ein Grund für eine Jubiläumsalbumtour. Andere haben das auch getan. Von anderen wiederum wünsche ich es mir sehr, dass sie es tun. Keine weiteren Fragen, keine weiteren Bemerkungen. In der aktuellen Musikexpress ist ein Blumfeld Interview abgedruckt, das Fragen nach Geld und anderen Obszönitäten auf den Grund geht.
Als ich von den Konzerten hörte, war ich hoch erfreut. Was habe ich diese Band und ihre beiden ersten Alben geliebt. Ich freute mich darüber, die beste aller alter Hamburger Schule Bands nochmals live zu sehen. Mein erster Kontakt war 1994, also zur L’etat et moi Tour. Blumfeld spielten in der Dortmunder Live Station und Jochen Distelmeyer rotze nach jedem Song auf den Bühnenboden, dass ich dachte, na, das passt ja: Die Fußballer im Westfalenstadion und Distelmeyer auf der Bühne. Aus Gründen ist mir das im Gedächtnis geblieben.
Mein zweiter Kontakt war weniger spektakulär. Es war ein Haldern Pop Auftritt an einem regnerischen Freitagabend vor Tocotronic und den Afghan Whigs.
Schon damals bauten Blumfeld fremde Songs in ihre eigenen ein. So wie 20 Jahre später immer noch. „Verstärker” verheirateten sie mit „Every time we say goodbye“, „Girl from Ipanema” zierte den Mittelteil von „Evergreen“.
Diesbezüglich hatte sich also nicht viel geändert. Personell auch nicht. Die Band spielt in der Ursprungsbesetzung und ich habe keine Ahnung darüber, ob mich das überraschen soll. Der Grund des Blumfeld Endes ist mir unbekannt, waren es Streitigkeiten, musikalische Differenzen oder einfach nur Altersmüdigkeit. Daher weiß ich nicht, ob vor dieser Tour Versöhnungsessen stattfinden mussten oder nicht. Es ist mir aber auch wumpe.
Jochen Distelmeyer sah ich zuletzt solo. 2010 trat er im Gebäude 9 auf, ein halbes Jahr zuvor stand er unweit von mir in der Berliner Columbiahalle beim Pavement Konzert in den ersten Reihen. Es ist also schon eine Zeitlang her, dass ich etwas mit den Künstlern des heutigen Abends zu tun hatte.
Es gab keine Vorband, so dass bis zum Konzertbeginn einige Zeit für dieses und jenes blieb. Eine Frage konnte jedoch im Vorfeld nicht geklärt werden. Welche Songs werden sie noch spielen, abseits des Albums und von vielleicht im Albumzusammenhang stehenden B-Seiten?
Blumfeld spielen auch ganz alte Sachen. Das Set besteht neben den logischerweise gespielten Songs von L’etat et moi zum größten Teil aus der Ich-Maschine, dem Blumfeld‘schen Debütalbum. Gott sei Dank hatte ich dieses Album lange nicht mehr gehört, so war mein Überraschungs- und Freudeeffekt nochmals viel stärker, als die Bassläufe und das monoton, einfältige Schlagzeugspiel Hits wie „Zeittotschläger“, „Pickelface is back in town“ oder „Aus den Kriegstagebüchern“ ankündigten.
Dabei war es manchmal nicht leicht, direkt auf den ersten Ton die Songs zu identifizieren. Blumfeld spielten an diesem Abend träge, verschleppend und mich ab und an Chokebore erinnernd ihre einst wilden und brausenden Songs. Jochen Distelmeyer sang dazu eher monoton, ohne stimmliche Akzentuierung von Worten oder Aussagen. Worüber man sich 1994 aufregte, lässt einen eben 2014 weniger emotional reagieren, so könnte ich es in einem oder zwei Sätzen zusammenfassen.
Dass es trotzdem alles passte lag an den Umständen. 2007 hatte sich die Band aufgelöst, die Solosachen Distelmeyers zündeten nicht wirklich und alle Welt wartete eigentlich nur darauf, Deutsch-Pop jenseits der Bouranies und Bendzkos hören zu können. So war es selbstverständlich, dass es um die Handvoll Blumfeldkonzert ein bisschen Wirbel gab, zumindest bei Menschen meiner Generation.

Blumfeld waren wichtig. Blumfeld waren bedeutend. Und das nicht nur für mich. Die Ich-Maschine habe ich rauf und runter gehört, L’état et moi ebenso. Das war Anfang der 90er. Blumfeld waren eine Sensation. Sie waren neu.

Jochen Distelmeyers äußerst verdichtete deutschsprachige Texte, vorgetragen in einem speziellen Sprechgesang, trafen da auf einen von Bands wie Sonic Youth oder Pavement geschulten Indie-Rock. Das Album taucht regelmäßig in den Kritikerlisten der „besten Alben aller Zeiten“ deutscher Musikmagazine auf.

Dabei waren die Texte immer der Star. Vielsagend. Aus der Seele sprechend. Und zum zweifelsfreien Mitsingen der Parolen. Hier sagte einer etwas in seiner ganz eigenen Ausdrucksart, was man selbst dachte, was man selbst fühlte, was einem selbst merkwürdig vorkam. „Ja, unterschreibe ich alles“, sehr oft konnte ich das ruhigen Gewissens über Blumfeld-Songs sagen.

Old Nobody (1999), Testament der Angst (2001) und Jenseits von Jedem (2003), die mit zeitlichem Abstand zu den ersten beiden Alben erschienen, waren anders. Musikalisch ging es mehr in Richtung Schlagerpop, die Stimmung wurde ruhiger. Toll waren die Songs jedoch immer noch. Nur die Ruppigkeit war eben nicht mehr da.
Jochen Distelmeyer (Gesang, Gitarre), Andre Rattay (Schlagzeug) und Eike Bohlken (Bass) konzentrierten sich an diesem Abend auf ihr Frühwerk. Nur zweimal ging der Blick nicht ganz so weit zurück. „Ein Lied von zwei Menschen“ und „Kommst du mit den in den Alltag“ sind die Songs, die nicht aus der Anfangszeit stammen.

20 Songs spielen Blumfeld an diesem Abend. Nach dem vierten Song wird die Stammbesetzung von einem weiteren Gitarristen (Daniel) begleitet. Das ist der Moment, in dem sie den ersten Nicht-L‘etat et moi Song spielen.
Standardmäßig beginnt das Konzert mit Hubschraubergeräuschen. Ganz so wie auf dem Album. „Draussen auf Kaution“, „Jet Set“, „2 oder 3 Dinge, die ich von Dir weiß“, „Walkie, Talkie“. Es läuft nach Plan und nach Albumreihenfolge. Dann spielen sie aber nicht „Verstärker“.
Ihren größten Hit wollen sie scheinbar nicht so früh verbraten. Warum eigentlich nicht? Meine bisherigen Albenkonzerte haben gezeigt, dass es dramaturgisch nicht schlimm ist, wenn man streng nach Playlist spielt. Den Hit zum Schluss, das braucht bei Albenkonzerten kaum jemand. Aber es kommt „Ich – wie es wirklich war“. Und der Hit, den selbst Pavement coverten, als letzter Song des Abends. Kann man machen, anders – in Albenreihenfolge – hätte ich es besser gefunden.
Mit „Pickelface ist back in town” und dem bluesigen “Aus den Kriegstagebüchern“ wird anschließend zum ersten Mal der Ich-Maschine gehuldigt. Songs, die ich lange nicht hörte aber immer noch kenne. Von hier ab wird es ein bunter Mix. „Anderes ich“ zum Beispiel, von der Traum:2-Single, dann wieder die Ich-maschine und L’etat et moi. Aber sie bewiesen Mut zur Lücke. Das Gedicht „L’etat et moi (Mein Vorgehen in 4, 5 Sätzen)“ fällt aus. Dafür gibt es mit „Einfach so“ einen Distelmeyer-Solo Ersatz. Der mit Abstand neueste Song an diesem Abend. Und dann „Verstärker“.

Nach 90 Minuten war das Konzert vorbei und die Band schien sichtlich erleichtert, dass es allen in der Live Music Hall offensichtlich und hörbar Spaß bereitet hat. Der Applaus war gross, die Gesichter blickten zufrieden rein. Und Jochen fand’s geil!

Stirb oder sei wie wir!

Kontextkonzerte:
Jochen Distelmeyer – Köln, 25.10.2010 / Gebäude 9

Fotos:

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