Der Samstag begann laut. Da wir noch unsere Wunden vom Vortag pflegen mussten, ließen wir die Kilians Dinslakener sein und begaben uns erst zur aus Brooklyn stammenden Band Oneida Richtung Tempelhof. Über diese Band kann ich nicht viel erzählen. Ich kenne sie schlichtweg nicht, bzw. kannte sie bis Samstag nicht. Die vier Männer, namentlich Kid Millions (Schlagzeug und Gesang), Bobby Matador (Gitarre; Gesang), Hanoi Jane (Gitarre, Bass) und Shahin Motia (Gitarre) spielten groß auf und hinterließen einen bleibenden Eindruck. Ich habe selten ein so lautes Festivalset gehört wie das von Oneida. Klar, durch die Halligkeit im hangar wurde der Eindruck verstärkt, aber der direkte Lärmstrahl aus Richtung Bühne war im vorderen Bereich regelrecht körperlich zu spüren. Irgendwo zwischen Krautrock, Stoner Rock und Elektropunk liegen ihre Songs. Sie sind wild, zerstreut; kleine Monster mit ewiger Spieldauer. Ich glaube, Oneida haben in ihren 45 Minuten Bühnenzeit maximal 5 Stücke gespielt. Oder sechs. Oneida, der Samstag fing gut an.
Und er ging in gleichem Tempo weiter.
The Thermals covern 100% von Sonic Youth. Der zweite Song ihres Sets ist mein Wachmacher. Genau wie Oneida, der Name leitet sich übrigens von einem Volk der Irokesen ab, gingen die Thermals bisher nahezu an mir vorbei. Aber der gewünschte Nebeneffekt eines Festivals ist es ja, solche eher unbekannten Künstler ausgiebiger kennenzulernen. Und die Thermals haben mich überzeugt. Sie erfinden das Rad des Indie-Rock-Alternativ-Pop a la Guided by Voices oder Ramones nicht neu, aber sie drehen es in unterhaltsamer Manier weiter. Schnell sind die Songs, und kurz. Eine der Festivalentdeckungen.

Health, die Band die beim diesjährigen SXSW in Austin sehr wohlwollende Kritiken erhielt, spielten mit geringem Zeitversatz quasi parallel zu den Rifles auf der Second Stage. Also machten wir uns nach einer Viertelstunde Rifles Hits auf den Weg. Zwischendurch noch ein kleiner Schlabberstop am Würstchenstand und schon waren wir mitten im Soundcheck der vier Männer aus Los Angeles. Es kam nun zur lustigsten Szene des Festivals. Noch circa 10 Minuten checkten sie ihre Instrumente, dann trat Sänger Jake Duzsik ans Mikrofon, begrüßte das Publikum und wie auf Knopfdruck fing die Band urplötzlich an aufs übelste loszurocken und sich ekstatischen Bewegungen hinzugeben. Nach 30 Sekunden entschulterten die drei ihre Gitarren, griffen zu den Mikros und brüllten unverständliches in ihre Mikros. Wieder wenige Sekunden später knieten sie sich vor ihre Pedals und Frickelgeräte und ließen den elektrischen Bassbeats freien lauf. Das sind Health. Ihre Bühnenperformance erinnert an Trail of Dead und Atari Teenage Riot.
Ihr Noise Rock ist sehr kraftvoll, die Gitarren dominieren die Songs, Keyboard und sonstige Elektrospielereien bleiben aber nicht außen vor. Gesang ist für Health eher nebensächlich, schien es mir. Nur selten trat Jake Duzsik ans Mikro, und wenn, dann ging er hoffnungslos unter.

Danach war die Luft erst mal raus. Zu Zoot Woman fanden wir uns zwar wieder vor der Hauptbühne ein, allerdings war es im Hangar mittlerweile gut gefüllt und ich nicht in der Stimmung für Disco.
Im Anschluss sollte Herr Jarvis Cocker die Bühne in Beschlag nehmen. Jarvis war unser heimlicher Hauptakt des Samstags. Schon nachmittags war klar, dass wir Deichkind ein Lied lang keine Chance geben würden.
Damals, in den 90ern, möchten wir schon die britischen Pulp sehr, und waren traurig als sie sich 2002 nach sieben Alben in eine immer noch anwährende Schaffenspause verabschiedeten. Von Jarvis Cocker, dem Sänger, war in der Folge lange Zeit nichts zu hören.
2003 erschien dann sein Solodebüt „Jarvis“. Dann tauchte er in einem der Harry Potter Filme auf, schrieb Kinderbücher und trennte sich von seiner Frau. Dieses Jahr erschien mit „Further Complications“ sein zweites Solowerk. Im Gegensatz zu „Jarvis“, das streckenweise doch sehr an die Pulp Songs anknüpfte, ist „Further Complication“ mehr Rock als Pop. Das überraschte mich doch sehr, trotzdem – oder gerade deswegen – bin ich sehr von dem Album begeistert.
In Berlin spielte Jarvis Songs aus beiden Alben. Im ersten Teil des Sets die des neuen Albums, im zweiten Teil Songs vom Debüt. Erwartungsgemäß gab es keine Pulp Songs. Die mag er nämlich nicht mehr spielen, ließ Herr Cocker verlauten. Das machte er schon seinerzeit nicht, als er mit seinem Debüt auf Tour war und wir ihn in Köln gesehen haben. Dann lieber nur eine Stunde spielen.
Und eine Stunde Jarvis ist allemal besser als keine. In Berlin war sein Set auf eine Stunde angesetzt, und es war ein Augenschmaus. Der alte Schlacks überzeugte. Immer in Bewegung, immer in direkter Konversation mit dem Publikum. Ein wahrhaft großer Entertainer, der immer was zu sagen hat und der seinen Songs durch seine (unfreiwillig?) staksig unelegant wirkenden Körperbewegungen das besondere verleiht.
Davon lebt die Jarvis Cocker Show, denn musikalisch ist nicht jeder vorgetragene Song ein Knaller. Aber das geht unter, wenn er mit einer Handpuppe spricht, die ihm aus der ersten Reihe entgegengehalten wird, oder das Keyboard mit der Schuhsohle malträtiert. „Angela“, die aktuelle Single, kommt früh am Abend und ist neben „Black Magic“ und „Fat children“ ein Highlight. Jetzt haben alle in den vorderen Reihen hat ein Lächeln im Gesicht. Apropos vordere Reihen. Es haben sich hauptsächlich Mitte-, Enddreißiger hier platziert, die Pulp Zielgruppe von damals ist Jarvis also treu geblieben. Einzig einige Deichkindkids haben sich dazwischengemogelt. Sie wollten sich frühzeitig eine gute Ausgangsposition sichern und pogen aus lauter Langeweile zu „Black Magic“. Ein bisschen mussten sie aber noch ausharren, ein Saxophon („Homewrecker“) über sich ergehen lassen, bevor „You are in my eyes“ das Set beendete.
Sie haben halt nicht verstanden, beziehungsweise eine falsche Herangehensweise. Uns hat es gefallen, und fielen anderen, die sich nach dem Ende des Sets Richtung draußen bewegten, auch. Der größere und jüngere Teil an Festivalbesuchern jedoch strömte uns entgegen. Wenn die Welt gerecht wäre…

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Fotos: frank@flickr

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