Ort: Elbphilharmonie, Hamburg
Vorband: Matt Holubowski

Ben FoldsMit der linken Hand in der Hosentasche schlurft Ben Folds auf die Bühne. Zu Recht völlig unbeeindruckt von den Räumlichkeiten des großen Saales der Elbphilharmonie setzt er sich an den Flügel, nachdem er, sich einmal um 360 Grad drehend, in die Runde gewinkt hat.
Der Flügel ist das einzige Instrument auf der Bühne, in der Mitte aufgebaut und – wie immer – von links nach rechts (aus Sicht des Publikums) ausgerichtet. Klavier oder Flügel stehen immer von links nach rechts, warum ist das eigentlich so? Hat das was mit der Erdrotation zu tun? Vielleicht finde ich eine wissenschaftliche Abhandlung über den Bühnenaufbau von Klavieren und Flügeln, doch bevor ich danach google und weiter abschweife, zurück zum Konzertabend des amerikanischen Musikers.

Ben Folds ist unbeeindruckt, schließlich hat er schon alle bekannten Philharmonien und Konzerthäuser dieser Welt bespielt. Die Oper in Sydney, die Harpa auf Island, die Live Music Hall in Köln. Da ist die in Deutschland zwar einzigartige, aber darüber hinaus nicht sonderlich außergewöhnliche Elbphilharmonie für ihn nur ein Konzerthaus von vielen. Viele Musiker können das bestimmt nicht behaupten.
Einer von ihnen ist Matt Holubowski, der vor dem Ben Folds Konzert einen halbstündigen Auftritt in gewöhnlicher – und damit leider für mich wenig spannender – Singersongwriter Manier präsentierte. ‘ I am not fancy enough for this room‘, bemerkte er in der Mitte seines 7 Songs langen Auftritts. Tja, das kann man so sehen, aber an diesem Abend waren viele nicht fancy genug für die Elbphilharmonie. So what, entscheidend ist nicht die Fancy-ness, sondern die musikalische Qualität. Und Matt Holubowski hat durchaus Qualität. Und das ist kein Widerspruch dazu, dass ich es eher langweilig fand.

Ben Folds ist auch nicht fancy (= schick, kunstvoll), aber er weiß mit den Räumlichkeiten umzugehen. Ziemlich schnell hat er den Saal im Griff, und nimmt uns mit in den sing-a-long mit Ben Folds Abend.
Loss mer singe heißt eine Mitsingreihe in Köln, bei der Menschen zusammen kommen, um gemeinsam Lieder zu singen. Sei es in der Lanxess Arena, in der Kulturkirche oder sonst wo. Der Spaß am gemeinsamen Singen bestimmt diese Abende.
Auch Ben Folds Konzerte leben zum großen Teil von der Mitmachbereitschaft des Publikums: Mitsingen oder zumindest mitsummen ist ein wichtiger Bestandteil eines Ben Folds Konzertes. Wer das nicht wusste oder im Laufe der Jahre vergessen hatte, konnte sich spätestens beim dritten Song „Bastard“ davon überzeugen lassen oder sich diese Sache in seine Erinnerung zurückrufen.
Nachdem er minutenlang die unterschiedlichen Ahhs und Ohhs mit der Elbphilharmonie durchgegangen war und sich zufrieden über die Klaviatur beugte war klar, dass wir an diesem Abend nicht das letzte Mal von Ben Folds dirigiert werden sollten.

This was just the rehearsel.

Von da an wusste jeder: Immer wenn Ben Folds den Oberkörper reckt und mit halboffenem Mund in die Runde schaut, ist es an der Zeit, mitzumachen. Ahhh Ohhhhh.
Erst zärtlich, dann – auch aufgemuntert durch den Animateur Ben Folds – höre ich immer lauter immer mehr ahh und ohhs aus dem Publikumsrund. Egal ob in der Elbphilharmonie oder vor Jahren in der Bochumer Zeche, wo ich Ben Folds das letzte Mal live sah. Manche Dinge ändern sich nicht.

Und wenn alle gut mitmachen, erhebt sich Ben Folds von seinem Hocker und dirigiert wie weiland Gotthilf Fischer die Massen. Ich habe den Eindruck, diese Momente gefallen ihm in seinen Konzerten am meisten. Es macht ihm Freude und vielleicht sogar ist es ihm sogar wichtig, auf diese Art und Weise die Leute in seinem Konzertabend mitzunehmen. Überdies ist es sehr lustig und ein großer Spaß; auch einem Mitmachmuffel wie mir.

Seit längerer Zeit ist der Amerikaner mal wieder bei uns unterwegs, das Konzert in der Elbphilharmonie eines von zweien in Deutschland und somit in erreichbarer Nähe. Es bestand nie Zweifel, der Konzertankündigung in der Elbphilharmonie Folge zu leisten. Ben Folds und ein Klavier, wie toll muss das in diesem Konzertsaal funktionieren! Dachten auch andere, denn ruck zuck war der Abend ausverkauft. Nicht selbstverständlich bei Ticketpreisen um die 70 Euro. Dass dann am Abend einige Plätze unbesetzt blieben war irgendwie unverständlich.
Ticketpreise hin oder her, natürlich war Ben Folds war jeden Cent wert. Zwei Stunden lang unterhielt er uns aufs Großartigste, spielte ein paar neuere Songs und sehr viele alte Gassenhauer. „Anni waits“ und „Still fighting it“ sind solche Hits, die zu Beginn schnell die Philharmonie begeisterten, später dann „Zak and Sara“ und „Landed“. Aber nicht nur Songs aus seinem Soloalben belegten die Setlist, Ben Folds Five Klassiker wie „Kate“ oder „Philosophy“ gehören ebenso ins Programm. Für mich unerwartet spielte er an diesem Abend auch ältere und weniger oft gehörte Songs. Die Begründung lieferte der Musiker selbst:

I’m not often here so I’m playing songs I don’t play very often.

„Evaported“, „Uncle Walter“ oder „Erase me“ könnte ich da nennen, die sicher nicht nur ich länger nicht gehört habe.
Noch nicht gehört habe ich sein letztes Album So there. In der Elbphilharmonie lernte ich „So there“ und „Phone in a pool“ von eben diesem Album kennen. Sie sind etwas ruhiger, weniger poppig und eingängig als die älteren Solosachen, so mein erster Spontaneindruck.
Die norddeutsche Version von „Rock this bitch…in Hamburg“ wird wohl kein zweites „Cologne“, aber lustig und nett war sie trotzdem.

Ich achte nicht sonderlich auf Songtexte, es ist mir oft zu mühselig, Booklets zu lesen oder im Internet nach den richtigen Texten zu suchen. Auch die Geschichten hinter einzelnen Songs recherchiere ich seltener. Bei Ben Folds ist, bzw. war das anders. Beim Joggen im Wald und mit Rockin‘ the suburbs im Ohr war oft Zeit und die Ruhe, sich auch auf die Texte zu konzentrieren. Ganz zwangsläufig passierte mir es, dass ich so nach mehrmaligen Durchläufen immer mehr verstand und die Bedeutung von „Fred Jones Part 2“ und anderen Stücken erkannte. Und irgendwann machte es Klick und ich wurde ein Fan von Ben Folds Texten. Mir gefielen die Schilderungen von gut beobachteten Situationen über einen letzten Arbeitstag („Fred Jones Part 2“) und die Rücksichts- und Maßlosigkeit von Menschen („All u can eat“) oder die trefflichen Ortsbeschreibungen in „Jesusland“ oder „Rockin the suburbs“. Da könnte man merken, dass Ben Folds auch ein ambitionierter Fotograf mit gutem Auge für Details und Absurditäten ist.

Ein letztes Mal ertönten Ahhs und Ohhs, das wunderbare „Not the same“ beendete das zweistündige Konzert. Stehende Ovationen holten Ben Folds nochmal zurück. „Army“. Eine logische Zugabe, ließ nochmal alle Dämme brechen.

Setlist:
01: Phone in a pool
02: Annie waits
03: Still fighting it
04: Uncle Walter
05: Bastard
06: All U can eat
07: Erase me
08: Fred Jones Part 2
09: So there
10: Evaporated
11: Landed
12: Jesusland
13: Steven’s last night in town
14: Rock this bitch
15: Brick
16: Gracie
17: Best imitation of myself
18: Philosophy
19: Zak and Sara
20: Kate
21: Rockin‘ the suburbs
22: Not the same
Zugabe:
23. Army

Kontextkonzerte:
Ben Folds – Köln, 06.02.2007 / Live Music Hall
Ben Folds – Bochum, 02.07.2008 / Zeche

Multimedia:

Ben Folds Elbphilharmonie 16.05.2018

Gepostet von Anna Radozda am Donnerstag, 17. Mai 2018

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