Ort: Huxley’s neue Welt, Berlin
Vorband: Pins

Sleater-Kinney

Wir sind uns uneinig. Sagt man nun Sleater-Kinney, indem man das ‘ea‘ wie ein langgezogenes ‘i‘ ausspricht oder eher wie ein ‘ai‘? Naturgemäß tendieren wir zum ‘i‘, allerdings wurde der Bandname in der arte Dokumentation über Riot Grrls vor einigen Tagen mit klingendem ‘ai‘ ausgesprochen.
Die britischen Pins, ihrerseits glamouröse und exzentrische Vorband an diesem Abend und auf der gesamten Europatournee der sich von der Riot Grrl Bewegung nicht vereinnahmen lassenden Sleater-Kinney, bevorzugten die erwartete Aussprache: Sliiiter Kinney. Ich tendiere gefühlsmäßig auch dazu, nur bin ich auf gar keinen Fall der Maßstab in Sachen englischer Aussprache.

Im Huxley’s bin ich damit nicht allein. Denn es gab da noch die wasserstoffblonde Österreicherin (oder Schweizerin, so ganz konnte ich ihren Akzent nicht verorten) ein paar Meter weiter vor mir. Sie ist mit Landsmännern und -frauen vor die Bühne gekommen; erst waren es nur ein paar, im Laufe der Vorband und der Umbaupause wurden es dann immer mehr Bekannte, Kumpels, Freunde. Wenn sie sich unterhielt, driftete sie manchmal – der Himmel weiß, warum – ins englische ab. In das Englisch, was mein Lehrer vor vielen Jahren immer als germanisiertes Englisch bezeichnet hat; so, wie Deutsche in amerikanischen Filmen klingen: mit deutlich identifizierbarem Akzent.

Nur gut, dass die Musik von der Bühne so laut ist, dass das Gebrabbel nicht weiter störend wirkt, denke ich, als Sleater-Kinney die ersten Songs spielen. So nervt allein ihr ewiges hin- und herwechseln zwischen den Gesprächspartnern. Mal drehte sie sich nach links, mal nach rechts, mal tauschte sie mit ihren Nachbarn die Plätze, um auch die weiter entfernt stehenden Bekannten mit ihrer Anwesenheit zu unterhalten. „Entertain me“ ihr Motto, was nichts mit dem vorletzten Sleater-Kinney Stück „Enterain“ gemein hat.
Ärgerlich für sie: der größte Teil der Gruppe hatte viel eher das Konzert im Sinn und war gar nicht so auf Unterhaltung aus dem Publikumsraum erpicht. Das störte sie jedoch nicht sonderlich, oder sie merkte es gar nicht, und textete ihre Begleiter einfach weiter zu. Ihr war es offensichtlich egaler, nicht viel vom Konzert mitzubekommen.
Aber hey, dass hier war schließlich nicht irgendein Allerweltkonzert. Sleater-Kinney waren die letzten 10 Jahre weg vom Fenster und sie werden auch bestimmt die nächsten 5 Jahre nicht wiederkommen. Da denke ich doch, dass jeder im Publikum jeden Atemzug von der Bühne aufsaugt als ob es sein letzter sei. Nicht das erste Mal, dass ich beim Denken irre. Gerne hätte ich ihr das gesagt und das, dass sie ihr Mittelpunktdasein wohl leider für 80 Minuten beiseitelegen müsse. Aber natürlich machte ich das nicht. Ich beobachtete nur noch ein wenig die belustigende Szenerie (einer ihrer Bekannten hatte sich bereits etwas Abstand verschafft und stand nun schräg hinter mir) und versuchte, dem Ganzen nicht mehr Beachtung zu schenken als ich es bereits getan hatte. Sleater-Kinney waren nämlich schon bei Song Nummer vier angekommen, und ich war noch gar nicht richtig drin im Konzert. Macht aber auch nichts, dachte ich weiter, schließlich sehe ich meine liebste Frauenrockband noch ein Mal in diesem Jahr. Dennoch wollte ich nicht so wenig vom Konzert mitbekommen wie besagte Frau, denn dann hätte ich was verpasst!
Also, other people‘s problems. Dass sie eine der ersten war, die irgendwann anfing zu rauchen, passte.
Noch am Morgen las ich in der Tageszeitung einen Bericht über das Noel Gallagher Konzert in Berlin, zu dem der Schreiber sinngemäß feststellte, dass es sehr früh sehr warm wurde und die Leute zeitig anfingen zu rauchen.
Ich musste darüber schmunzeln, rauchendes Konzertpublikum gibt es anderenorts eigentlich überhaupt nicht mehr. Da respektiert man die Umstehenden und das Hallenrauchverbot. Aber in Berlin ist scheint eben vieles anders. Und nicht unbedingt besser. Mit Freigeistlertum hat das genauso wenig gemein wie das Anprangern dessen als Spiessergehabe abzutun. Respekt und Rücksicht dem anderen gegenüber sind so Worte, die zwar gerne von allen benutzt und zitiert werden, aber deren Anwendung nicht immer umgesetzt wird. Und schon gar nicht bei ach so coolen Konzerten mit ach so coolen Leuten in einer ach so coolen Stadt. Mein Eindruck.

Wasserstoffblond oder blond scheint überdies gerade angesagt zu sein. Carrie Brownstein trägt neuerdings blondiertes Haar, was sicher besser zu ihrem weißen Kleid passt als ihre natürliche dunkle Haarfarbe und sie so noch strahlender erscheinen lässt. Sie sieht im Huxley’s verdammt gut aus, und wer sich an diesem Abend nicht in sie verliebt, ist selber schuld. Ihre beiden Kolleginnen Janet Weiss und Corin Tucker stehen dem allerdings in nichts nach. Hach, Sleater-Kinney sind die bestaussehendste Rockband aller Zeiten, keine Frage!
Live werden die drei Damen um eine Musikerin verstärkt. Auch hier dominiert blond. Seit dieser Tour übernimmt Katie Harkin, im normalen Leben Sängerin der englischen Band Sky Larkin, den Job der zusätzlichen Gitarristin und Keyboarderin. Katie Harkin’s Verblondung irritiert mich etwas, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt. Vor einigen Jahren sah ich einige Konzerte ihrer Band Sky Larkin. Was machen die eigentlich?
Anders als ihr Haardouble im Publikum bleibt sie ruhig im Hintergrund. Keyboards spielt sie hauptsächlich bei Stücken des neuen Albums No cities to love. Begeben sich Sleater Kinney in die Abgründe der 1990er verschwindet sie heimlich und unscheinbar von der Bühne und leistet dem Bühnentechniker am linken Rand still Gesellschaft. Nur einmal, gegen Ende des Konzertes taucht sie am Bühnenrand auf. In der ersten Zugabe „Gimme love“ übernimmt sie die Gitarre von Corin Tucker, die nun am Bühnenrand steht und singend Hände abklatscht.

Die Erinnerung an mein letztes Sleater-Kinney Konzert Ende der 1990er Jahre sind verschwommen bis kaum existent. Ich habe zwar irgendwo das Ticket, mehr ist da aber kaum noch. Sicher wird es so ähnlich gewesen sein wie an diesem Abend, der Klub nur kleiner und die Bühnenshow weniger glamourös. Denn Glamour lag trotz Rockattitüden im Huxley’s mehr als in der Luft. Die Gitarren glänzten frisch poliert, die Kleider von Carrie Brownstein und Corin Tucker hatten mehr was von Abendkleid als von Rockkonzert und die Bühnendeko, ein, wie eine wabernde Wand aussehender Vorhang, war lichttechnisch klar und hell ausgeleuchtet.
Carrie Brownstein, die weit weniger im Mittelpunkt und am Mikrofon steht als Corin Tucker und Janet Weiss, die mir in den letzten Jahren immer mal wieder über den Weg gelaufen ist (Wild Flag, Quasi, Stephen Malkmus and the Jicks) haben mit dieser Reunion scheinbar alles richtig gemacht. Alles ist so wie erwartet und erhofft, nur das Publikum ist etwas älter und der Konzertsaal größer als früher. Reunionboni, die hier sehr gerechtfertigt sind.

Die Halle ist voll, das Konzert punktgenau akzentuiert. Live sind Sleater-Kinney immer noch eine Wucht, nach den ersten Songs gibt es kein Vertun. Die neuen Songs passen perfekt zu den alten, alles zusammen ergibt einen stimmigen Abend und ein verdammt gutes Konzert.
Die Band starten mit zwei neuen Stücken: das rasante „Price Tag“ und das tolle „Fangless“ führen gut in den Abend, der anschließend viele alte Welthits beinhaltet: „Oh!“, „Ironclab“, „Start together“, „Get up“, „One beat“, „Enterain“, später in der Zugabe „Dig me out“, „One more hour“ und „Modern Girl“.
Letzteres ist das ruhigste Stück des Abends, zu dem Janet Weiss wie eh und je die Mundharmonika zückt. Eigentlich vermisse ich nur „ All hands on the bad one“. Aber ja doch, mein Jammern ist ein Jammern auf hohem Niveau.
Das Konzert ist ein Rockkonzert. Wer das nicht erwartete hätte, hat wenig Ahnung von Indiemusik. Zu Rockkonzerten gehören auch air kicks; Carrie Brownstein hat ein paar im Programm, klaro. Auch das kennt und liebt man so an ihr. Und ihre zackig-roboterhaftigen Schwenks mit dem Oberkörper. Ansonsten sind ihre Rockgesten nicht so dominant wie ich sie in dem einen oder anderen Livevideo gesehen habe.

Die Band spielt sich zügig durch die Songs. Laut und zackig ist das Set. Sleater-Kinney wie eh und je. Ich kann mich da nur wiederholen. Alles ist großartig!
Die Reunion wirkt nicht wie eine Reunion auf mich. Haben die wirklich 10 Jahre Pause gemacht? Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss sehen noch genauso aus wie damals, scheinbar zeitlos sind sie und ihre Musik. Altbacken schmeckt an diesem Abend nichts. In Würde altern scheint bei Sleater-Kinney gut zu funktionieren. Beim Publikum nur bedingt. Das alpenländische Riot Grrrl hat auch beim vorletzten „Modern girl“ noch Gesprächsbedarf und verfällt nur beim letzten Stück des Abends „Dig me out“ in den Tanzmodus.
Schade, sie hat hier und heute eines der Konzerte des Jahres verpasst.

Setlist:
01: Price Tag
02: Fangless
03: Start together
04: Oh!
05: Surface envy
06: No anthems
07: Ironclad
08. Get up
09: What’s mine is yours
10: Light rail coyote
11: No Cities to love
12: One beat
13: A new wave
14: Words and guitar
15: Sympathy
16: Bury our friends
17: Entertain
18: Jumpers
Zugabe:
19. Gimme love
20: I wanna be your Joey Ramone
21: One more hour
22: Modern girl
23: Dig me out

Kontextkonzerte:
Wild Flag – Köln, 05.02.2012 / Gebäude 9

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