Das mit Bochum und mir, dass klappt nicht mehr so richtig. Nachdem ich bei meinem letzten Abstecher in meine ehemalige Wohnstadt und Lieblingsruhrgebietsort fast Ben Folds verpasst hätte, so wäre mir auch gestern ein größerer Stau auf der A1 zum Verhängnis geworden. Doch Gott sei Dank funktionierte der Traffic Announcer des Radios einwandfrei und so konnte ich über die A3 und A46 ausweichen und war pünktlich zum ersten Schlagzeugschlag der Vorband Disco Doom im Kulturbahnhof Langendreer.Built to Spill 16102008
Der Kulturbahnhof ist ein kleiner gemütlicher Ort in der Nähe des Opelwerkes II im Bochumer Stadtteil Langendreer. Kneipe, Disco, Veranstaltungsraum, all das, was man von einem Kulturzentrum erwartet, findet man hier. Ich war lange nicht mehr hier, erinnere mich nur dunkel an ein 1live Konzert mit Placebo vor einigen Jahren und – noch länger zurückliegend – an Discobesuche am Freitagabend, an denen mein damaliger Schulfreund Daniel hier Platten auflegte. Mit Killer von George Michael lockte er die Mädchen auf die Indietanzfläche.
Built to Spill waren schon mal in Bochum. Mitte der 90er Jahre spielten sie vor ausverkauftem Haus. Ich erinnere mich, dass ich seinerzeit sehr angetan von der Vorband war, lange nach Platten suchte und Wochen später in einem kleinen CD laden fündig wurde. Beim ersten Hören von „The Lonesome Crowded West“ war ich irritiert. Klang das live nicht rockiger und weniger vertrackt? Ich ließ mich jedoch nicht davon abhalten, auf CD Börsen nach weiteren CD’s von „Modest Mouse“ Ausschau zu halten.
Gestern war vieles anders. Der Kulturbahnhof war nicht ausverkauft, zu Beginn gar noch erschreckend leer, und die Vorband hieß nicht „Modest Mouse“ sondern Disco Doom.Built to Spill 16102008
Disco Doom kommen aus der Schweiz, genauer gesagt aus Zürich. Musikalisch ist diese land für mich ein weißer Fleck mit einem einzigen schwarzen Punkt, der in den letzten Jahren ins starke hellgrau mutiert ist. Die Young Gods aus Genf, sind / waren dieser schwarze Punkt und wären die spontane Antwort auf die Frage: Welche Bands aus der Schweiz kennst du? (DJ Bobo ist keine Band! Oje, da fällt mir eine weitere ein: Yello.). Skinflowers vom Album Live Sky Tour fand ich ganz mal ganz schick. Elektrogrunge…
Disco Doom dagegen machen lupenreinen amerikanischen Indierock. Als Gabriele De Mario die ersten Worte an den Beleuchter richtete, seinen Spot etwas abzudimmen, damit das Licht nicht so blendet, dachte ich: Oh, schön, wieder ne Beneluxband. Doch bei der nächsten Ansage wurde klar, ich habe den Schwizerdeutsch- Akzent fehlinterpretiert. Die Band um Gabriele De Mario, Anita Rufer, Daniel Nievergelt (Bass, Tasten) und Schlagzeuger Reto unterhielt die noch spärlich erschienen Menschen auf angenehmste Art und Weise. Ihr gitarrenlastiger Sound im Drei Koordinatensystem Sonic Youth, Guided by Voices, Grandaddy passte wunderbar. Ein Lied kannte ich sogar: „Endless Summer“ besitzt definitiv Hitpotential
Sänger Gabriele De Mario kam nicht nur klanglich seinem Vorbild Doug Martsch ähnlich, sondern war mit T-Shirt, Baumwollhose Typ Dockers und Vollbart stylisch ebenso unterwegs. Sehr amerikanisch also, der Rest der Band blieb dagegen dem universellen Indiekleidungsstück Jeans treu. Co-Sängerin Anita trug dazu einen schwarzen Wollpulli. Es wird Herbst.
Nach einer dreiviertel Stunde verabschiedeten sich Disco Doom auf nette Art: „Vielen Dank fürs zuhören.“ Und hauten noch ein paar Moore’ske Gitarrenklänge raus.Built to Spill 16102008
Built to Spill wirkten ausgelaugt. Alle fünf machten einen übermüdeten und abgestressten Eindruck. Am ärgsten schien es Schlagzeuger Scott Plouf getroffen zu haben. Sein fahler Gesichtsausdruck und seine Augen verrieten: mindestens Erkältung! Es wird Herbst.
Built to Spill Konzerte wirken merkwürdig. Sie scheinen eine Anreihung von Songs zu sein und weniger ein 120 Minuten Gesamtkonzept. Jedes Mal, wenn durch eine zulange Pause zwischen den Songs der Rhythmus unterbrochen wurde, dachte ich : Schade, jetzt waren wir gerade so schön drin. Es ist wie ein abruptes Aufwachen in der Nacht. Zwar schläft man wieder ein, aber kurzzeitig ist man rausgerissen, wach und abgelenkt.
Wenn Doug Martsch nach sechs, sieben Minuten feinster Gitarrenmelodien seine 30 Sekunden Gitarrenstimm-, Pedalsortier- oder Setlistnachfrageauszeit nimmt, ist das genauso. Dann ist die Realität des nur gut besuchten Konzertraumes wieder da und der Built to Spill- Dauertrip kann nicht stattfinden.
Dabei eigneten sich die Martsch- Melodien hervorragend zum lückenlosen Dauerträumen. „Liar“, „In the morning“ und „Strange“ eröffnen den Abend. Inhaltlich geben die anschließenden Minuten einen Überblick über die vergangenen Alben. Das letzte, „You In Reverse“ erschien 2006, doch neues Material haben Built to Spill gestern nicht gespielt.Built to Spill 16102008
Persönlicher Höhepunkt war gegen Ende des regulären Sets „Car“, eines der besten Built to Spill Stücke überhaupt. Bei einer der wenigen Ansagen fragte die Band nach, warum wir so ruhig seien. Ob es unser großer Respekt sei oder Ausdruck purer Langeweile. Tatsächlich war es in den Songpausen ungewöhnlich still und während der Songs lag eine anbetungsvolle Ruhe im Raum.
Die Indieinstitution Built to Spill hat eine kleine aber hartnäckige Fangemeinde, die, losgelöst von Trends und Hypes, die musikalische Leistung zu schätzen weiß und still und leise die seltenen Liveauftritte genießt. Es benötigt keinen Lärm oder Gelächter, die Band selbst lacht sowieso auch gar nicht. Ab und an schaut Doug Martsch grimmig in Richtung seiner Mitspieler, verkneift leicht das Gesicht.
„We adore you“ rief eine Stimme aus dem Saal. So in etwa.
Es war so das erwartete Konzert.

Setlist (mit einigen Fragezeichen):
01. Liar
02. In the morning
03. Strange
04. 3 years ago
05. In your mind
06. ???
07. Twin Falls
08. Time trap
09. Traces
10. Fly around my pretty little Miss
11. Virginia reel around the fountain
12. Car
13. Big Dipper.
14. Carry the Zero
15. ???
Zugabe:
16. Velvet Waltz
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Multimedia:
Fotos: frank@ipernity
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Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Tobi

    Hey,
    bin auf deine Seite gestoßen. Sehr gut alles, aber ich bin nicht ganz einverstanden mit der Setlist von BUILT TO SPILL. Ich war zwar etwas benebelt, aber ich bin mir zu 100% sicher, dass Broken Chairs gespielt wurde. An Velvet Waltz kann ich mich dagegen nicht erinnern. Außerdem erwähntest du, dass man zwischen den Liedern aus der Traumwelt gerissen wird. Ich habe mal im BTS-Forum gestöbert und habe da gelesen, dass die aktuelle Tour aus dem kompletten Album Perfect From Now On besteht und es nur am Ende noch andere Zugaben geben soll. Das bezog sich auf alle Gigs vor und nach Bochum. Über Bochum selbst gab es leider keinen Faneintrag. Interessanterweise haben die in Bochum meiner Meinung nach nichts (deiner Meinung nach eine Nummer) von Perfect From Now On gespielt. Vielleicht haben diese Unterbrechungen also auch damit zu tun, dass gerade an dem Abend in Bochum ein komplett anderes Set gespielt wurde. Kannst ja mal gucken unter: http://builttospill84818.yuku.com/topic/948/t/PFNO-tour-bootlegs-encore-sets.html?page=4

  2. frank

    Die Sache mit der setlist ist immer so ne Sache. Ich kann mir Songtitel nicht wirklich gut merken und so schleicht sich manchmal ne Ungereimtheit ein. In diesem Fall hatten BTS ihre Setlist auf Serviettentücher geschrieben und am Boden liegen (sieht am auf einem Foto). Konnte darauf auch nicht alles entziffern und am Ende des Konzerts war keine Gelegenheit mehr, eine dieser Servietten abzugreifen…
    Danke, fürs p-p Kompliment ;-)

  3. Monique

    … also eins versteh ich nicht so ganz … wenn man ein so großer Built to Spill Fan ist, daß man sich die komplette set list merkt oder aufschreibt, oder die Songtitel alle auswendig gelernt hat und die Namen der Bandmitglieder alle rückwärts buchstabieren kann, wieso wundert man sich dann noch über die Lethargie in den Gesichtern der Bandmitglieder???
    Wer Built to Spill wirklich kennt und liebt, der müsste eigentlich wissen, daß die Typen immer so aussehen und daß dahinter sicher keine Erkältung oder eine Depression steckt.
    Ich persönlich bin aus Berlin nach Bochum gekommen um BTS zu sehen. Hatte den Rest der Woche frei und hab die Gelegenheit gleich mit Bekanntenbesuche verknüpfen können.
    Nun gut, die Stimmung bei Euch komischen Westfalen war tatsächlich seltsam katholisch. Das liegt aber eher an Euch!!!
    Wieso singt ihr bei “ i wanna see movies of my dreams“ nicht mit, wenn „Car“ euer Highlight ist??? Bei meinen letzten beiden BTS Konzerten im Postbahnhof/Berlin und in NY, haben die Leute bei fast jedem Song irgendwelche Textpassagen mitgesungen. Das ging dann schon teilweise in Richtung Entertainment. Es kam halt was vom Publikum zurück. Folgedessen hat Doug Martsch auch viel mehr rumgeflapst und gelacht und auch die anderen Bandmitglieder haben sich sichtlich gefreut.
    Das war in Bochum nicht im Ansatz zu spüren. Indiespiesser mit dicken Stöcken im Arsch schienen mir da haufenweise rumzurennen.
    Oder Leute denen 30 Sekunden Stimm-Pause zwischen 7 minütigen Gitarrenschrammeln zu wenig Erlebnis ist.
    BTS sind nun mal keine massenkompatiblen Rampensäue. Und wer Entertainment will muss dann halt eben auf Fanta 4 Konzerte gehen. Die geben sich dafür aber auch nicht die Mühe mit DREI Gitarristen und einem Cellospieler auf Tour zu gehen. Es würde ihnen auch sowieso keiner danken.
    Wenn Ich mal an dieser Stelle ein Vergleich ziehen darf, war es soundtechnisch und musikalisch das schönste meiner bisher drei BTS Konzerte. War aber auch das einzige mit Cello. Ich rechne den Typen das hoch an, weil ich genau weiß, was sowas kostet und was letztlich an Geld hängen bleibt.
    Nur schade daß es auf der Welt noch Orte gibt, in denen mental der Mond abends noch mit ner Stange nach oben geschoben wird.

  4. frank

    Hallo Monique,
    vielen dank für Deinen interessanten Kommentar. Ich habe ihn aufmerksam gelesen und ich möchte kurz was dazu schreiben.
    Tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass der Drummer schwächelte und seinen Schal u. Jacke nicht umsonst bis zum Konzertstart anhatte. Er sah wirklich angenockt aus, dies mein Eindruck. Depressiv glaub ich können BTS von Natur aus gar nicht sein.
    Das es in Westfalen eher innerlich ausgelassen zugeht, ist ja allgemein bekannt. Wir müssen nicht jedem zeigen, dass wir uns über etwas freuen. Und auf’s mitsingen verzichte ich konsequent, weil ich nicht singen kann.
    Alles andere, naja, waren halt meine Beobachtungen zu den Dingen und keine Kritik an der Band. Wenn du das anders sieht, umso besser.
    Aber Indiespiesser, nein, dass sind wir nicht. Wir sind interessierte Zuhörer, und vielleicht keine massenkompatiblen Konzertgänger. Sonst würden wir uns ja bei den Fanta 4 vergnügen. ;-)

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