Wie lange musste ich seinerzeit auf die Charlatans warten, bis sie endlich Konzerte in Deutschland gaben. Das war Anfang der 90er Jahre, Rave-o-lution der heiße Scheiß aus UK und „The only one i know“ der Indietanzflächenfüller der Charlatans, die neben den Inspiral Carpets und den Stone Roses zu den größeren Großen gehörten.The Charlatans 23092008
Irgendwann kamen sie dann über den Kanal und spielten in Oberhausen, im Music Zirkus, einer Disco, die ähnlich einem Zirkuszelt installiert war, vor vielleicht 200 Leuten. Es war enttäuschend.
Ein Jahrzehnt später darf ich Tim Burgess und Kollegen gleich zweimal innerhalb von wenigen Monaten sehen. Im Februar in Brüssel, im kleinen und gemütlichen vK Club, war es laut und gut, gestern im etwas kleineren Luxor war es nicht so laut und vielleicht auch nicht ganz so gut.
Meine Vorfreude auf das gestrige Konzert war nicht ganz so groß. Nachvollziehbar, denn ich hatte meine Rave-Lieblinge ja nun gesehen, und das vor erst gar nicht langer Zeit.
Es hätte nun etwas sehr Besonderes passieren müssen, um dass das zweite Wiedersehen toller zu finden als unser letztes Treffen.
Es ist ein bisschen wie bei einem Date mit einem alten, lange nicht gesehenen Freund. Der erste Kontakt ist neu, frisch, unbelastet, man freut sich hauptsächlich auf das eigentliche Wiedersehen, die Gesprächsthemen sind eher hintergründig relevant. Es gibt viel zu entdecken, viele Fragen die man sich beantworten muss. Ist die Person noch so wie früher, oder hat sie sich verändert? Was macht sie jetzt? Was hat sie so lange getan? Und während des Wiedersehens vergleicht man immer mal wieder mit der alten Zeit, verfällt vielleicht in Wehmut und freut sich gleichzeitig über die erkannten Veränderungen. Trifft man sich dann zum zweiten Mal, ist dieser Zauber futsch. Nun werden die Inhalte bedeutsamer: was erzählt sie da? Wie gibt sie sich?The Charlatans 23092008
So auch gestern. Also, was gibt’s, Charlatans? Gut, Tim Burgess hat immer noch diese Ravefrisur von damals; weiß ich, hab‘ ich schon gesehen. Okay, sie spielen auch die richtig guten alten Sachen (natürlich „The only one i know“, „Weirdo“, „Then“), weiß ich, war in Brüssel auch so, und dass sie sind in Würde gealtert sind, ist mir schon im Frühjahr positiv aufgefallen.
All diese Bekanntheiten, die beim ersten Mal einen guten Eindruck noch verstärkten, machen die Beurteilung des Kölner Abends schwierig. Hinzu kommt, dass die damalige Vorfreude riesig war, und so einfach nur ein gutes Konzert dabei rumkommen musste, selbst wenn es unterirdisch gewesen wäre. Was es nicht war. Vorfreude ist ein guter Selbstmanipulator und Blender.
Gegen viertel vor zwölf an der Garderobe des Luxors bewerte ich den Kölner Abend spontan mit solide und gut, aber im Vergleich zum Februar nicht mit überragend. Und ich denke, dass trifft es ganz gut.
Wir stehen vorne. Der Profifotograf, der sich kurz vor dem Gig an uns vorbeidrängelt, sagt mir, dass er in ein paar Minuten wieder verschwindet. Ich erwidere, dass ich mir das schon gedacht hatte und er sagte, „dann sei’s ja gut, aber es gäbe auch Leute, die würden gleich in Panik verfallen, wenn er sich auf einmal vor sie stelle“ und: „bei Stevie Wonder sei er auch schon nach 30 Sekunden weg gewesen, weil man dort nicht so lange fotografieren durfte.“
Was mag er wohl denken, wenn gleich wieder die Digitalkleinbildkameras und Fotohandys gezückt werden und morgen Fotos auf Flickr, Ipernity und sonst wo im Netz stehen. Ein undankbarer Beruf in einer Zeit, in der jeder seine Erlebnisse bildhaft in die digitale Welt hinausbläst.
Mint, die belgische Vorband aus Hasselt, haben wir zu diesem Zeitpunkt schon gesehen. Sie hinterließen mit ihrem Beneluxindiepop einen sympathischen Eindruck. Punkte sammelten sie bei mir, weil der Sänger Erwin Marcisz dem ehemaligen Seachange Frontmann Dan Eastop ähnelt, weil sie mich zeitweise an Sharon Stoned erinnerten und weil sie aus Belgien kommen.
Sie spielten ein gutes, unaufgeregtes Set, das musikalisch zwischen My Bloody Valentine (sehr schönes letztes Stück) und dem von mir gemochten Ostwestfalenindiepop der mitteneunziger koordiniert ist.The Charlatans 23092008
Bis zum Charlatansauftritt füllte sich das Luxor dann erheblich. Vor mir also die Bühne und Tim Burgess’s Mikrofonständer, hinter mir gefühlte zwei Busladungen Briten. (In echt geschätzte drei Autoladungen.
Die zehn, zwölf machten Stimmung fürs ganze Luxor und verbreiteten ein wenig Inselatmosphäre. Das tat dem Ambiente ganz gut.
Tim Burgess trägt neue 8-Loch Dr Martens und hätte er nicht eine skinny Jeans an – die Pottfrisur hatte ich schon erwähnt – so könnte man meinen, es wäre 1993.
Überhaupt ist der Charlatans Frontmann der Alleinunterhalter auf der Bühne. Während die anderen vier Charlatane, Mark Collins an der Gitarre, Martin Blunt am Bass, Jon Brookes am Schlagzeug und Tony Rogers an den Keyboards / Orgel, ihr Ding unspektakulär herunterspielen, ist Tim ein großer Smiley. Das Grinsen geht während des gesamten Auftritts nur in höchsten Konzentrationsphasen (beim Ablesen der Setlist z.b.) aus seinem Gesicht. Er tanzt und grinst in einem durch.
Fanfreundlich (negativ betont würde ich fotogeil schreiben) ist er auch. Er winkt und zwinkert in jede Kamera und jedes Fotohandy, das ihm hingehalten wird. Und immer wieder sucht er Blickkontakt zu den Mädchen und Frauen vor der Bühne. Und findet er einen, dann grinst er noch stärker.The Charlatans 23092008
Er wirkt ein bisschen zugedröhnt, der gute. „The only one i know“ spielen sie relativ früh im Set. Direkt nach „One to another“ und so entsteht ein kleines Nostalgiepackage. Doch die neuen Sachen gefallen mir besser. Sie zünden mehr. „The Misbegotten“, „Bird/Reprise“, und „Bad days“ sind live absolut überragend. Dagegen wirken die alten Stücke eher hausbacken. Aber sie gehören zu den Charlatans und es ist schön, sie wiederzuhören. Sie bilden aber nicht den Kernpunkt im Set, und dass ist auch gut. So verkommt das ganze nicht zu einer Nostalgieshow mit ein, zwei neuen Songs, sondern zu einem Set mit Ausflügen in die Vergangenheit.
Als Zugabe gibt es nach einer Stunde noch „How High“ und „A day for letting go“ . Bei letzterem muss Tim die Textzeilen von einem Zettel ablesen. Denn Abschluss bildet das von den britischen Musikfreunden eifrig geforderte „Sproston Green“. Ein würdiger Abschlusssong mit schönen, langen Gitarrenpassagen. Und fast auf die Minute genau sind die für britische bands obligatorischen 90 Minuten rum.
Abpfiff.
Es war ein schöner Abend.

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