Ort: Ancienne Belgique, Brüssel
Vorband:

Pixies

Mein erstes Pixieskonzert war 1991. Zusammen mit drei Freunden sah ich die Band damals auf dem Gießener Bizarre Festival. Wir waren jung und hatten kein Geld, aber Mutters Ford Fiesta.
Das Bizarre Festival war sehr bizarr, neben einer Menge an guten Bands (Lush, Ride, Iggy Pop, Pixies, The Alarm, Danzig, House of love,…) brachte es auch eine Menge an Widrigkeiten.

1991 wurde das bis dahin eintägige Festival auf zwei Tage ausgedehnt. Dazu wurde als Veranstaltungsort das Waldstadion in Gießen gewählt. Als Veranstaltungstage waren Samstag und Sonntag vorgesehen. Für die ungefähr 28.000 Karten des Vorverkaufs stand nur Platz für etwa 5000 Zelte zur Verfügung. Die meisten Besucher reisten schon Freitag abends an, dadurch entstanden sehr chaotische Verhältnisse in Gießen. Für die Festival-Besucher wurden daher von der Polizei Wiesen der örtlichen Bauern beschlagnahmt und als Zeltplätze ausgewiesen.
Einige Zelte wurden sogar auf Verkehrsinseln und in Vorgärten gesichtet. Sinngemäße Lautsprecherdurchsage nach dem ersten Festivaltag: „Bitte verbrennt keine Gartentürchen mehr. Die Feuerwehr kommt mit dem Löschen der Brände nicht mehr nach.“ Aufgrund dieser extrem chaotischen Situation in der Stadt dachte man über personelle Konsequenzen im Stadtrat nach. (wikipedia)

Da war dieses Campinggelände, mitten im Gießener Stadtpark. Da war unser unvorbereitet sein, als Festival Neulinge hatten wir außer einem Zelt nicht viel dabei. Essen, kann man doch vor Ort kaufen, dachten wir. Und schlafen, na ja, wird schon irgendwie gehen, im vier Mann Zelt zu viert. Und Gießen, soweit ist das doch nicht, da kann man hinfahren. Alles Fehleinschätzungen.
Mc Donalds hatte noch kein Frühstück im Sortiment, das Gelände öffnete erst um 12 Uhr und das Zelt war viel zu klein und die Fahrt elendig lang. Erst recht für mich als einzigen Fahrer. Am Sonntag waren wir alle hundemüde. Den gesamten Abend saßen wir auf der Tribüne des Fußballstadions (das Bizarre fand in einem Stadion statt) und schauten dem Treiben zu. Spektakulär war das Plastikflaschen in die Luft werfen. Zu Iggy Pop war zeitweise der Himmel über dem Innenraum voll mit Plastikflaschen. Heute unvorstellbar.
Der Rückweg am Sonntagabend war fürchterlich. Mutters Fiesta nicht ausgelegt für eine volle Belegung und das Kassettenradio beschallte den Standardlautsprecher nur notdürftig.
Aber es waren zwei tolle Tage, alles in allem. Da wir bereisten freitags in Gießen waren, konnten wir den Tag voll auskosten. Gegen Mittag startete das Festival, die Pixies spielten am Samstagabend gegen Mitternacht als letzte Band. An sehr viel kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur noch, dass wir den Auftritt nicht bis zum Schluss sahen. Müdigkeit, Übersättigkeit durch die vielen Bands davor und Regen trieb uns zum Zelt. Aber das wenige, was ich von den Pixies mitbekam, blieb mir im Gedächtnis.

Anfang der 90er Jahre war ihre stärkste Phase. Bossanaova („Dig for fire“, „Cecilia Ann“) und Doolittle (alles Hits) sind ihre besten Alben. Davor hatten sie schon „Gigantic“ und „Where’s my mind?“. Die Pixies waren eine große Band, als sie in Gießen auftraten. Im Jahr darauf lösten sie sich auf, Frank Black machte ein paar Solosachen, Kim Deal kümmerte sich um ihre Breeders. Anfang der 2000er Jahre fanden sie wieder zusammen, schrieben ein, zwei Songs und spielten Festivals. 2009 gingen sie mit Doolittle auf Tour.
Das war auch mein nächstes Wiedersehen mit der Band. In Frankfurt sah ich ihr Doolittle-Konzert. Es ließ mich mit gemischten Gefühlen zurück. Natürlich war es toll, aber irgendwie auch nicht. Die Zeit der Pixies schien vorbei, das Publikum nahm die Band eher reserviert zur Kenntnis, als dass sie abgefeiert wurde.
Als dann vor einigen Monaten die Brüsselkonzerte bekannt gemacht wurden, sagte ich das Mitkommen zwar direkt zu, ich war aber nicht voller enthusiastischer Begeisterung. Dafür reichte es nicht, dafür war das letzte Konzert nicht atemberaubend genug. Es machte sich ein Gefühl von ’nun, da fahr ich hin, ich geh ja auch zu Built to spill, Bob Mould, Lee Ranaldo und Sebadoh‚ breit, ein ’nun, das nehme ich eben mit, weil Zeit ist‘. Dementsprechend erwartete ich einen guten und schönen Abend, mehr aber nicht.
Meine Enttäuschung hielt sich dann auch in Grenzen, als es kein guter Abend wurde. Denn es wurde ein herausragender Abend, der mich dazu bringt, mir die Band wenn möglich noch in Luxemburg anzusehen. Knappe 30 Songs, darunter bis auf „Dig for fire“ und „Debaser“ alle Hits und ein herausragendes Publikum wecken in mir einfach Lust auf mehr. Selbst dass Kim Deal nicht mehr dazugehört, störte mich nicht. (Die neue Kim, Kim Shattuck, kann viel besser singen und passt gut zu den anderen alten Pixies Frank Black, Joey Santiago und David Lovering).

Wir kamen noch pünktlich im AB an. Die Autobahnen vor dem Brückenfreitag, und somit vor einem verlängerten Wochenende für viele, waren vollgestopft. Es war der einzige Wermutstropfen an diesem Abend, die geliebten Fritland Pommes auslassen zu müssen. Dabei hätte eine Portion Fritten mit Soße Andaluse dem Abend gut gestanden. Wäre das Konzert z. B. im E-Werk angesetzt gewesen, hätten wir vermutlich auch das Konzert leicht knicken können. Irgendwo im nirgendwo zwischen Theke und Technikpult hätten wir uns hinstellen können. Im AB, oder generell in Benelux-Ländern, läuft das anders. Zum einen bedeutet hier auserkauft nicht proppenvoll, zum anderen ist das Publikumsverhalten ein anderes. Hier geht der größte Teil erst kurz vor Konzertbeginn in den Saal. Somit konnten wir uns selbst 10 Minuten vor Konzertbeginn noch gute Plätze im vorderen Bereich suchen, ohne uns unhöflich als Drängler bezeichnen lassen zu müssen.

Die Pixies eröffnen mit „Wave of mutilation“ und „Where is my mind“ akustisch. Akustisch deswegen, weil Frank Black die ersten 10 Songs mit der akustischen Gitarre spielt, bevor er zur E-Gitarre wechselt. Bereits am Ende von „Wave of mutilation“ ist mir klar, dass es ein herausragendes Konzert werden würde. Ich hoffe an diesem Abend auch sehr auf „Hey“, einen Song, den ich seit Anfang der Woche im Ohr habe. Sehr oft passiert mir das nicht, dass ich unbedingt einen bestimmten Song auf einer Setlist haben möchte. Als sie es dann als erste Zugabe spielen, gibt es für mich endgültig kein Haar mehr in der Pixiessuppe auszumachen.
Egal, das „Debaser“ und „Gigantic“ fehlen. Aber „Gigantic“ ohne Kim Deal zu spielen, wäre wohl zu frevelhaft. Und was fehlte sonst noch? Nichts. Die Pixies bieten alles auf und haben dann immer noch einen Hit in der Hinterhand. Als die am wenigsten gute Phase empfinde ich die beiden Songs „Indie Cindy“ und „Another toe in the ocean“, aber wer danach ein „River Euphrates“, „Monkey gone to heaven“, „Velouria“, „Havalina“, „Gouge away“ und „Bone machine“ nachlegen kann, macht sich schnell wieder Freunde. Es ist eine Werksshow und ich komme aus dem Grinsen gar nicht mehr raus. Ach ja, das gibt’s ja auch noch. „Gouge away“, noch ein Hit. „Bone machine“, „Isla de encanta“, die Spanier hinter uns gingen steil. Ich habe selten ein Konzert erlebt, in dem sich bei mir ein Begeisterungssturm mit dem nächsten ablöste. Was passiert denn hier gerade. Es gelingt mir nicht, einzelne Momente herauszuheben, es ist einfach alles wunderschön.
Nach 90 Minuten sind sie so gut wie durch. Als Zugabe das von mir sehnlichst herbeigeflehte „Hey“ und zum zweiten Mal „Wave of mutilation“, diesmal in der non-Surf Mix Version. Der Kreis zum Anfang des Konzertes ist geschlossen.
Für gewöhnlich enden AB Konzerte um halb elf, da kann man die Uhr nach stellen. Aber hey, es war erst 22.25 Uhr, als die Pixies die Bühne verließen. Sie hätten noch fünf Minuten Zeit gehabt.
Schwamm drüber! Saugutes Konzert, TOP 3 2013.

Kontextkonzerte:
Pixies – Frankfurt, 11.10.2009 / Jahrhunderthalle

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