Ort: Hansa 39, München
Vorweitere Band: Rocket from the tombs (RFTT)

Darüber, was mich bei meinem Konzertausflug nach München erwarten sollte, war ich mir unsicher. Mudhoney hatte ich zuletzt 1992 im Bielefelder PC 69 gesehen und überhaupt keine Erinnerungen mehr. Das einzige, was von diesem Abend blieb war ein Konzertposter, welches noch jahrelang in meiner Bochumer Studentenbude hing. 1998 habe ich es weggeschmissen, Umzugsaufräumarbeiten fallen manchmal die falschen Dinge zum Opfer. Mudhoney waren aber damals schon so gut wie aus meinem Blickwinkel gerutscht, seit Beginn der 00er Jahre hatte ich sie dann gänzlich verloren. Ihre 00er Sachen gingen völlig an mir vorbei, „Tomorrow hit today“ blieb mein letztes Mudhoney Album. Nichtsdestotrotz wollte ich sie bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert unbedingt sehen, dass ich dafür einen Ausflug nach München unternehmen musste, welche Rolle spielt das schon?
Es sollte mein erstes Konzerterlebnis in der Stadt des Endspielverlierers sein, dass Feierwerk kannte ich daher noch nicht. Als ich gegen 20 Uhr das Gelände betrat, war ich überrascht. Mich erwartete keine herabgekommene Clubkaschemme, sondern ein mittelgroßer Kulturbetrieb. U-Bahntechnisch gut angebunden beherbergt das Feierwerk neben verschiedenen Veranstaltungsräumlichkeiten auch das Hansa 39, den Club, in dem das Konzert um 20.30 Uhr angesetzt war. Ich schätzte den Saal auf 500er Größe und ich glaube, so viele Leute fanden sich auch im Laufe des Abends hier ein.
„Haben wir wirklich ‘92 zusammen Abitur gemacht?“ Mensch Mann, an diese junge Frau musst du dich doch erinnern!
Auf der Hinfahrt fragte ich mich noch, wer – außer so bekloppten wie mir – 2012 ein Mudhoney Konzert besucht, zumal der Ticketpreis mit knappen 30 Euro nicht gerade günstig war. Da hatte ich es: die Klasse von ’92 also, und, wie natürlich vermutet, Menschen wie ich: männlich, mittelalt, musikvernarrt. Aber auch NeoGrunger und viele ältere Semester notierte ich, letztere scheinbar auch wegen der Vorband Rocket from the tombs. Obwohl, Vorband ist er falsche Begriff, denn das Konzert von Mudhoney und Rocket from the tombs war als Doppelheadlinershow angekündigt worden.
Also, wir alle hatten Mudhoney schon vor 20 Jahren verehrt und machen das immer noch irgendwie. Und genau wie vor 20 Jahren freuen wir uns auch heute, wenn wir „Touch me I’m sick“ hören. Einige singen dann sogar lauthals mit, hüpfen und tanzen wie wild mit den NeoGrungern um die Wette und trinken noch mehr Bier. Dabei fiel mir auf, dass ich lange nicht mehr auf einem Rockkonzert war. Bier und Schweissgeruch lag schon nach einer halben Stunde penetrant in der Luft und mehr als einmal hatte ich Angst um meine Brille. Nicht, dass ich all das vermisst hätte, beileibe nicht.
Dabei begann der Abend überschaubar. Rocket from the tombs starteten pünktlich und es schienen sich nur wenige für die erste Band des Abends zu interessieren. Vielleicht zehn Mann begrüssten die Band mit erwartungsvollem Applaus.
Und ich gestehe, auch ich kannte die Band nur aus rasch angelesenem Wissen. Unter anderem dies:

Das wäre nicht weiter von Interesse, wären Rocket From The Tombs nicht in die Popgeschichte eingegangen. Und zwar aus drei Gründen. Der erste und der zweite Grund sind die beiden Bands, die aus den Resten entstanden: Zum einen die Dead Boys, aus denen später wiederum Lords Of The New Church wurden. Zum anderen Pere Ubu, bis heute die Band des schwergewichtigen Thomas und von den Kritikern verehrt.
Der dritte, ungleich wichtigere Grund, ist ihre kurze, heftige, tragische Geschichte, die Rocket From The Tombs auf der Liste der großartigsten Bands, aus denen nie geworden ist, was aus ihnen hätte werden können, noch vor den schon ziemlich grandios gescheiterten Big Star auf Platz eins platziert. (taz.de)

Zusammengefasst merkte ich mir: 70er Jahre Protopunks (was immer das auch heisst), nie ein Album aufgenommen aber mindestens genauso wichtig wie Suicide, existierten nur ein knappes Jahr.
2 Mitsechziger, ein Mitfünfziger und ein viel jüngerer Bassist betraten die Bühne und machten nichts. Eine gute Minute standen sie regungslos herum und warteten. Doch worauf? Darauf, dass die Leute endlich aufhören zu quatschen und ihr Interesse gen Bühne richten, vermutete ich und dachte: „Ah, die sind jetzt schon vom Publikumsdesinteresse angenervt.“. Aber falsch gedacht, sie warteten auf ihren Sänger und RFTT Mitbegründer David Thomas. Der kam unsicheren Schrittes aus der Bühnentür, sortierte seine Textzettel, die neben dem Mikrofon auf einem Notenständer lagen, und ließ seine Bandkollegen mit einer unwirschen Handbewegung das Konzert starten. David Thomas erinnerte mich an Hans Dieter Hüsch, Peter Lustig und Joe Cocker, je nach Situation. An diesem Abend habe ihn locker auf Mitte 70 geschätzt, heute lese ich, dass er zehn Jahre jünger ist. Rocket from the tombs spielten eine gute Stunde und hatten am Ende alle. Der Abijahrgang ’74 stieg natürlich direkt drauf ein, zeigte sich teils textsicher und hatte von Beginn an dieses Glänzen in den Augen. Die NeoGrunger schauten solange irritiert den alten Herren zu bis sie merkten, dass RFTT gute Melodien und tolle Songs hatten, die gar nicht so weit weg sind von Mudhoney, Green Day, Nirvana und Co..
Genau, RFTT passten ausgezeichnet in diesen Abend. Nach einer halben Stunde war der Anfangsdampf raus. RFTT spielten nun ein zwei langsamere Stücke, die in ihren Gitarrensoli an Bon Jovi erinnerten. Ein Song kündigten sie mit „Romeo and Juliet“ an, eine sehr zähe Angelegenheit. Da hier der Gitarrist die Gesangsparts übernahm, setzte sich David Thomas auf einen Plastikgartenstuhl neben den Gitarristen und gönnte sich eine Pause. Mit den folgenden „Foggy Notion“, „30 seconds over Tokyo“ und „Sonic Reducer“ wurde es dann wieder rumpliger und schneller, Rocket from the tombs setzten zum Finale an. Der Tisch war gedeckt.

Und dann kamen Mudhoney.
Der Saal füllte sich nun zu sehnst mit weiteren Abijahrgängen ’89 bis ’91 und wartete auf die große Show. Die kam nach einer ausgedehnten Umbaupause, die ihren Namen verdiente. Das RFTT Bühnenequipment wurde komplett abgebaut, das Dan Peters Schlagzeug aufgebaut. Mark Arm, Guy Maddison, der 2001 dem alten Haudegen Matt Lukin am Bass nachfolgte, Steve Turner und Dan Peters enttäuschten in ihren knapp 2 Stunden Konzert nicht. Es kam mir vor wie ein großes Best-of Spektakel. Von „This gift“ bis zu „Tomorrow hits“ spielten sie fast ausnahmslos alle Hits. Fast, weil das von mir sehr geschätzte „Make it now“ nicht dabei war. Generell fand ich das Album „Piece of cake“ sehr unterrepräsentiert. Bis auf „Blinding sun“ fand es in der Setlist nicht statt. Ich hatte ihre Alben länger nicht gehört, stellte aber während das Konzertes wie so oft fest, dass trotz allem die Songs noch in meinem Kopf abgespeichert waren. Es musste nur jemand kommen, um sie abzurufen. Dies geschah und so jagte eine Erinnerung die nächste. Um nochmal kurz auf die Setlist zurückzukommen. Mudhoney liessen kaum ein Album aus.
Vor der Bühne sah es aus wie in einem dieser Singles Konzerte. Das klingt schlimm abgedroschen, ich weiß, aber der Publikumsmix und die Grundstimmung passten. Ich konnte das gegen Ende des Abends gut beobachten, weil ich mich, vor fremden Schweiß und ungemütlichem Geschupse an den seitlichen Bühnenrand verdrückt hatte. Die Bühne im Hansa 39 war von zwei Seiten offen, und so stand ich quasi fast neben der Band und hatten gute Sicht auf die Rücken von Mark Arm und Guy Maddison und Augenkontakt zur ersten Reihe. Hier stand es sich etwas ruhiger – den 2 Meter Schreihals links von mir mal ausgenommen – und es war weniger warm. Es war die wildeste Zeit des Konzertes. Die erste Reihe kniete förmlich auf der Bühne und es sah alles nach einer Bühneneroberung aus. Es blieb aber bis auf einige Stagediver und etwas Rumgeschupse harmlos. Harmlos schön.
Das ganze Konzert war eine runde Sache. Songs oder Passagen herauszuheben geht nicht. Alles war toll, alles war grandios. Vor einer Konzertreise irritieren mich immer Gedanken wie, ist es das Wert, lohnt sich der Aufwand. Alles Quatsch. Es lohnt sich immer und für diesen Abend lohnte es sich ganz besonders. Ach bevor ich’s vergesse: Mit „Slipping away“ spielten Mudhoney einen neuen Song. Der ging zu Beginn beinahe unter. Die später eingestreuten neuen Stücke „Widow of nain“ und „Chardonnay“ blieben da schon etwas intensiver hängen.

Setlist:
01. Poisoned water poisons the mind
02. Into the drink
03. You got it
04. Slipping away
05. This gift
06. Fearless Doctor Killers
07. Hard-on for War
08. When tomorrow hits
09. In ’n‘ out of race
10. Judgement, rage, retribution and thyme
11. Sweet young thing ain’t sweet no more
12. Let it slide
13. Good enough
14. Touch me I’m sick
15. I’m now
16. The lucky ones
17. Chardonnay
18. The open mind
19. Widow of nain
20. Tales of terror
Zugabe I:
21. Blinding sun
22. Here comes sickness
23. The money will roll right in
Zugabe II
24. Hate the Police
Zugabe III
25. Fix me

Setlist hören bei Spotify: Mudhoney – Live @ Feierwerk, Munich, 24-05-2012

Multimedia:
Flickr-Photos Mudhoney
Flickr-Photos RFTT

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hi Frank,

    na dann bis zum nächsten Konzert in Bayern ;-)
    Falls du lustig bist, schau mal rein beim Link, ich war (zum Glück) auch auf dem Mudhoney RFTT Konzert und habe ein paar Bilder gemacht.
    grüße
    RTC

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