„Scheiß Stimmung hier“, sagte das Mädchen neben mir zu ihrem Freund nach einer guten Viertelstunde des Trail of Dead Konzerts in der Bochumer Zeche. Da sie dabei ihren Kopf nach links hinten drehte, hörte ich es unaufgefordert. Zu diesem Zeitpunkt war es in der Tat eine verdammt merkwürdige Atmosphäre in der überschaubaren Halle. Das Publikum war verhalten, schaute mehr respektvoll zur Bühne als enthusiastisch abzufeiern. Und das bei Trail of Dead, der Band, die bei jedem Konzert ordentlich Gas gibt und sich und ihren Instrumenten alles abverlangt. Das passte so gar nicht überein.
Aber kurz zurück zu der Person neben mir. Hatte sie bisher etwas zur Scheiß Stimmung beigetragen? Ja, ihre Hände waren so mit dem festhalten des Bierbechers beschäftigt, dass sie bis dato noch keinmal applaudiert hatte. Sie sollte es auch in den nächsten 80 Minuten nicht tun, denn inspiriert durch die Äußerung konnte ich nicht umher, sie ab und an aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten. Sie war also mitverantwortlich für die ihrer Meinung nach „Scheiß Stimmung“. Und dann darf man so was nicht sagen, höchstens denken, aber nicht laut – und ich meine sogar einen vorwurfsvollen Unterton gehört zu haben – sagen.

Themenwechsel: der Tag begann wie so oft im Juli mit Rad fahren. Nein, nicht ich, Tour de France gucken war für den frühen Nachmittag angesetzt. Pyrenäenetappe, Jan Ullrich Wetter. Es ist mittlerweile 12 Jahre her, dass ganz Deutschland Jan Ullrich und das gesamte Team Telekom angeschoben hat. Es gab stundenlange Liveberichte, Analysen und das volle Sportfernsehensprogramm. Einige Blutdopings und Pillenaffären später hat sich einiges relativiert; kaum ein Mensch guckt noch ganze Etappen, Jan Ullrich darf man nicht mehr kennen und Radsport läuft in epischer Breite nur noch auf Eurosport. Fehlt ja nur noch Tomi Rominger als Co-Kommentator, dann wär’ wieder 1995.
Ich interessiere mich aber nach wie vor für die Tour, habe auch keine Skrupel davor, mir Bergetappen von Anfang bis Ende zu geben. Im Gegenteil: es macht mir Spaß und der Radsport fasziniert mich nach wie vor. Doping hin oder her.
So saß ich denn ganzen Nachmittag auf dem Sofa, schaute fern und erinnerte mich an 1997. Damals wohnte ich noch in Bochum, in dieser netten, überschaubaren Ruhrgebietsstadt. Ich fand es dort sehr angenehm, und so freu ich mich noch heute jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit ergibt, nach Bochum zu fahren. Auf eine gewisse Art und Weise mag ich diese Stadt.
Natürlich war die Anfahrt unproblematisch. Ich hatte Zeit, war relativ zeitig losgefahren und so gab es keinen Grund für den Verkehr, sich zu stauen. Staus gibt es nur, wenn man in Eile ist! So war ich früh in der Zeche. Wie Samstags üblich, der nachfolgenden Disco muss genügend zeit eingeräumt werden, startete der Abend um halb acht mit einer sehr ambitioniert wirkenden Vorband aus Köln, deren Namen ich leider vergessen habe. Sie schienen gerade dem Schülerbandalter entwachsen zu sein, hatten aber bereits – vermutlich durch intensives Livestudium von Bands wie Beatsteaks, Dredg, Mars Volta und ähnlichen – alle großen Bühnengesten drauf. Anfangs war ich interessiert und schlecht war es nicht, was die fünf auf der Bühne fabrizierten, doch nach 10 Minuten und ab Song Nummer 3 wurde es mir langweilig und ich schaute lieber umher und schrieb noch schnell eine sms, als mich auf die Musik zu konzentrieren.

… and you will know us by the trail of dead hatten anfangs Mühe. Wie eingangs erwähnt war es eine komische Atmosphäre. Das Publikum hielt einen zwei Meter Abstand zur Bühne, und konnte erst nach Conrad Keelys Aufforderung dazu bewegt werden, näher zu kommen. Trail of Dead werfen zwar schon mal Gitarren und ähnliches ins Publikum (zumindest waren sie früher so drauf) aber beißen tun sie nicht. Daher war der Respektabstand eher unbegründet.
Eine „Scheiß Stimmung“ herrschte aber keineswegs. Es lag mehr ein kollektives Gefühl innerlicher Freude und Ausgelassenheit in der Luft, die ich hier und da in den Gesichtern sah. Nach außen wurde diese Freude durch zarte Pogoversuche und Hände-in-die-Luft recken ab und an erkennbar. Meine Theorie zu diesem Erscheinungsbild ist folgende: Trail of Dead machen Musik für introvertierte Menschen und introvertierte Menschen jubeln nicht lauthals. Aber wie gesagt, die Stimmung war nicht unterirdisch, sie passte nur nicht zur explosiven, Kräftezerrenden Musik der Austiner.
Die Band schwitzte schon nach drei Songs. Conrad Keelys Handrücken war so nass, dass darauf die Schweißperlen tanzten, wenn er wie ein Gestörter die Gitarrensaiten quälte. Man sah es ganz deutlich im Gegenlicht der Scheinwerfer.
Trail of Dead spielten eine gute Mischung aus ihren drei Alben Source tags & codes, Worlds apart und The century of self. Einzig Songs des vierten Albums So diveded fehlten im Set.
Und ihr Set war laut. So laut, dass ich das Gefühl hatte, meine Nasenflügel vibrieren. Gott sei Dank hatte ich meine Ohrentücher dabei, das linderte ein wenig, half aber nicht vollständig, so dass ich zuhause noch einen leichten Druck auf den Innenohren spürte. Bochum als lauteste Konzertstadt des Jahres? Ein eindeutig ja, Mogwai und Trail of Dead setzten die Maßstäbe. Gut, beide Bands stehen jetzt auch nicht gerade für die leisesten Konzerte…

Ab der Mitte des Sets wurde es dann moderater. Sei es reine Einbildung, weil ich mich an den Lärm gewöhnt hatte, oder war es tatsächlich so, weil es auf der Bühne größere Technikprobleme gab. Kevin Allen pausierte einen ganzen Song lang, weil irgendetwas mit seinem Verstärker nicht funktionierte. Einen Song und zwei Wechselgitarren später schien es dann wieder einigermaßen zu klappen. Die Band ließ sich daraus nicht aus der Ruhe bringen, routiniert änderten sie kurzerhand die Setlist und überspielten so im wahrsten Sinne des Wortes die Probleme.
Da lag „Another morning stoner“ bereits hinter uns. Es ist eines meiner Trail of Dead Lieblinge, aber so schnell gespielt wie in Bochum habe ich es wohl noch nie gehört. Live spielen sie ihre Songs durch die Bank schneller, aber „Another …“ war wirklich unglaublich schnell.
Nach einer Stunde war das reguläre Set um. Nach mehreren Minuten, in denen erneut zwei Gitarren ausgetauscht wurden, kamen sie noch mal zurück. Conrad Keely erklärte, dass so ziemlich alles auf der Bühne kaputt sei, sie aber dennoch zwei Stücke spielen wollen.
Die neuen Trail of Dead zerstören ihre Instrumente nicht mehr mit körperlicher Gewalt, keines der beiden Schlagzeug wurde auch nur ansatzweise umgehauen, geschweige denn eine Gitarre geschreddert, nein, sie spielen sie kaputt.
Bedingt dadurch ist die offizielle Setlist auch mehr als vager Anhalt zu verstehen. Das erste Lied der Zugabe war ein anderes („All St. Days“ ?) und ich glaube auch mittendrin gab es einige Umstellungen.

Setlist:
01: The Giants causeway
02: It was there that i saw you
03: Isis unveiled
04: Homage
05: Bells of creation
06: Will you smile again
07: Caterwaul
08: Another morning stoner
09: Clair de Lune
10: Aged dolls
11: Perfect teenhood
Zugabe:
12: All St. Days(?)
13: Totally natural

Kontextkonzerte:
Trail of Dead – Köln, 14.05.2009
Trail of Dead – New York, 12.11.2006

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